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Alt 10-05-2010, 21:29   #207
Benjamin
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720-Milliarden-Euro-Schutzprogramm
http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E75...~Scontent.html

Auszüge (Zitate) aus der o.g. Quelle, von Werner Mussler und Patrick Welter
10. Mai 2010

Das Paket hat drei Komponenten.

Der erste Teil, der im Falle eines Notfalls auch als Erster aktiviert würde, kommt aus EU-Mitteln, die die EU-Kommission auf dem Markt aufnimmt. Er umfasst 60 Milliarden Euro.

Der zweite Teil besteht aus Garantien der Euro-Staaten über eine Gesamtsumme von bis zu 440 Milliarden Euro, die in eine dazu eigens gegründete Zweckgesellschaft eingehen sollen, die im Bedarfsfall Kapital auf dem Markt aufnehmen und an das bedürftige Land weiterreichen soll. Die Zweckgesellschaft soll drei Jahre bestehen.

Der dritte Teil besteht aus einem Beitrag des Internationalen Währungsfonds (IWF), von dem nach der Erklärung der EU-Minister erwartet wird, dass er „mindestens halb so viel“ wie den Beitrag der EU-Zweckgesellschaft über seine üblichen Kreditlinien zur Verfügung stellt. Das wären 220 Milliarden Euro, auch wenn der IWF offiziell keine Finanzierungszusage gemacht hat. Als Gesamtsumme ergeben sich 720 Milliarden Euro.

Wie funktioniert die Zweckgesellschaft?

Einige Details müssen in den kommenden Tagen noch ausgehandelt werden. Deshalb will die Bundesregierung noch keine genaue Auskunft darüber geben, wie hoch die deutsche Belastung ausfallen wird. Als Vorbild dient aber im Prinzip das Mischmodell aus Garantien und Krediten, das Deutschland - über die Kreditanstalt für Wiederaufbau - für die Griechenland-Hilfen angewandt hat: Die Euro-Staaten garantieren mit unterschiedlich hohen Anteilen für Kredite, die die Zweckgesellschaft im Notfall an den Märkten aufnehmen würde. Der Zinssatz, zu dem sich die Zweckgesellschaft Kapital beschaffen kann, läge unter dem, den das Empfängerland für seine Anleihen zahlen muss.

Der Beitrag zu den Garantien für die Zweckgesellschaft richtet sich - analog zur Berechnung der Anteile für das Griechenland-Hilfspaket - nach dem jeweiligen Anteil der Euro-Staaten am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB). Für Deutschland, das knapp 28 Prozent des Kapitals hält, ergibt sich danach eine Verpflichtung von knapp 123 Milliarden Euro. Es folgen Frankreich, Italien und Spanien. Der kleinste Euro-Staat Malta kommt noch auf knapp 400 Millionen Euro. Griechenland soll sich nach derzeitigem Stand nicht beteiligen. Sollte der Mechanismus zu Gunsten eines bestimmten Landes aktiviert werden, könnte es sich an der jeweiligen Auszahlung nicht beteiligen. Die Kredite aus dem 60-Milliarden-Paket der EU belasten die Mitgliedstaaten zunächst nicht. Sie würden aber indirekt - über Ausfälle im EU-Haushalt - belastet, wenn die Kredite nicht zurückgezahlt werden.

Wie funktioniert die direkte EU-Hilfe?

Die EU-Kommission nimmt diese Mittel am Kapitalmarkt auf und reicht sie weiter. Vorbild sind insoweit die Zahlungsbilanzhilfen an Nicht-Euro-Staaten, für die die EU-Behörde unverändert bis zu 50 Milliarden Euro aufnehmen kann. Die Summe von 60 Milliarden Euro für die neuen Mittel beschreibt den Rahmen, der sich im Falle eines Kreditausfalls maximal im EU-Haushalt verkraften ließe. Dafür müsste dann aber - im Falle eines Falles - der bestehende EU-Haushaltsrahmen aufgestockt werden, was auch zusätzliche Belastungen der EU-Nettozahler wie Deutschland bedeuten würde.

Welche Länder profitieren vom Rettungsschirm?

Klare Kriterien sind nicht genannt; die Vereinbarung erwähnt keine Länder explizit. Potentielle Kandidaten sind alle Länder, die überschuldet sind oder deren Risikoaufschläge auf Staatsanleihen so hoch werden, dass man dahinter spekulative Attacken vermuten muss. Zweck des Mechanismus ist explizit nicht eine schnelle Auszahlung, sondern die Abschreckung von Spekulanten. Ein Hinweis auf mögliche Kandidaten befindet sich allerdings indirekt in der Brüsseler Vereinbarung: Nur Spanien und Portugal werden zusätzliche Sparverpflichtungen abverlangt. Dem Vernehmen nach hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, diese zusätzlichen Verpflichtungen zur Bedingung für eine EZB-Beteiligung gemacht, vor allem für die EZB-Zusage, künftig Staatsanleihen aufzukaufen.

Wann fließt Geld?

Die Idee des Rettungspakets ist, ähnlich wie beim Rettungsschirm für die Banken vom Herbst 2008, dass es aufgrund seiner reinen Existenz möglichst wenig oder gar nicht gebraucht wird, also gar keine Mittel fließen müssen. Jede Entscheidung zur Auszahlung erfordert eine Vorabprüfung durch die EU-Kommission, die EZB und den IWF sowie eine Entscheidung der zuständigen Gremien - wie im Fall der Griechenland-Hilfen. Fest steht, dass die Gewährung von Krediten grundsätzlich mit harten Spar- und Reformauflagen verknüpft werden soll, wie sie EU und IWF auch mit Blick auf Griechenland angewendet haben.

Was zahlt der deutsche Steuerzahler?

Der deutsche Anteil an den Garantien für die Zweckgesellschaft von 123 Milliarden Euro wäre haushaltsrelevant. Zu einer direkten Belastung käme es erst, wenn die 60 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt erschöpft wären. Danach bemisst sich die deutsche Belastung nach dem oben genannten EZB-Schlüssel; nach diesem Schlüssel würden alle Euro-Staaten beteiligt, soweit sie zahlungsfähig sind. Weitere indirekte Belastungen über den deutschen Anteil am IWF sind schwer zu berechnen.

Bekommt die EU-Kommission mehr Macht?

Ja - aber nicht so viel wie sie gerne gehabt hätte. Dadurch, dass sie eigene Mittel in dem Programm einsetzen kann, erhält sie mehr Einfluss. Außerdem bekommt sie zusammen mit dem IWF das Recht zur Aufsicht über die Sparprogramme mehrerer Staaten, die deutlich über ihre Kompetenzen im Rahmen der bisherigen EU-Defizitverfahren hinausgehen. Ihren Hauptwunsch erhält sie aber nicht erfüllt: Anders als von Kommissionsbeamten übers Wochenende gestreut und vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy am Samstagmorgen behauptet, ist der neue Rettungsschirm kein „Gemeinschaftsinstrument“, mit dem die EU-Kommission direkt Mittel auf den Märkten hätte aufnehmen können. Die „Gemeinschaftsfazilität“ zur Unterstützung von Nicht-Euro-Staaten, die derzeit 50 Milliarden Euro umfasst, wird nicht aufgestockt und auf die Euro-Staaten ausgedehnt. Dies wäre auch schwierig gewesen, weil Euro-Staaten allein definitionsgemäß keine Zahlungsbilanzschwierigkeiten haben können. Vor allem Deutschland hatte den Wunsch von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach einer eigenen zusätzlichen Finanzierungsquelle abgelehnt.

Wird nun ein Europäischer Währungsfonds eingeführt?

Nein. Diese Idee von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war - im Gegensatz der auf drei Jahre begrenzten jetzigen Lösung - auf Dauer angelegt und sollte ein Gesamtpaket mit langfristig angelegten, abschreckend wirkenden Sanktionen für Sparsünder kombiniert werden. EU-Währungskommissar Olli Rehn wird aber schon an diesem Mittwoch Vorschläge für eine Reform des EU-Stabilitätspakts und einen langfristig angelegten „Krisenmechanismus“ machen.

Welche Rolle spielt die EZB?

In der Brüsseler Vereinbarung ist lediglich von einer unterstützenden Rolle der EZB die Rede. Diese hat aber - als sehr wichtigen Baustein des Rettungspakets - den künftigen Ankauf von Staatsanleihen zugesagt.

Welche Rolle spielt der IWF?

Der IWF unterstützt den neuen Europäischen Stabilisierungsmechanismus und steht bereit, sich fallweise an Hilfsprogrammen für seine europäischen Mitgliedsländer zu beteiligen. Eine finanzielle Vorabverpflichtung des Fonds ist damit nicht verbunden. Die Höhe möglicher IWF-Kredite würde im Einzelfall von den Verhandlungen zu den Anpassungsprogrammen für einzelne Euro-Länder abhängen. Nach Aussage des Geschäftsführenden Direktors des IWF, Dominique Strauss-Kahn, dürfte die Finanzhilfe des Fonds sich weitgehend in den Proportionen bewegen wie bei den jüngsten europäischen Kreditprogrammen. Nach der etwa in Griechenland genutzten Zwei-Drittel/Ein-Drittel-Regel könnte der IWF sich so insgesamt mit etwa 220 Milliarden Euro an möglichen Hilfspaketen beteiligen. Der Fonds würde dabei auf seine regulären Kreditfazilitäten zurückgreifen; direkt wird er sich an den von den Europäern neu aufgemachten Finanztöpfen nicht beteiligen. Mit einer gewissen Zufriedenheit wird im Währungsfonds registriert, dass die Europäer mögliche Auszahlungen aus ihren eigenen Finanztöpfen ausdrücklich an die Unterstützung durch den IWF knüpfen. Der Fonds soll in die europäischen Anpassungsprogramme seine Kompetenz einbringen, harte Auflagen für die wirtschaftliche Sanierung zu setzen. „Der Schlüssel für eine wirtschaftliche Gesundung Europas ist, dass die öffentlichen Finanzen auf eine nachhaltige Basis gestellt werden“, erklärte Strauss-Kahn. Damit ist vorgezeichnet, welche Bedingungen der IWF für Kredithilfen vorrangig setzen würde. Die verfügbaren Finanzmittel des IWF für Notfallkredite im regulären Rahmen belaufen sich derzeit insgesamt auf rund 362 Milliarden Euro. Ein Teil davon ist indes durch Zusagen über Kreditlinien gebunden. In den kommenden zwölf Monaten kann der IWF aber über rund 210 Milliarden Euro für neue Kredite im Rahmen von Anpassungsprogrammen verfügen.

Welche Rechtsgrundlage hat der Rettungsschirm?

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet in Artikel 123 ausdrücklich den unmittelbaren Erwerb öffentlicher Schuldtitel durch die EZB. Diese Regelung wird nun dadurch umgangen, dass die EZB nur auf dem Sekundärmarkt aufkauft. Ein weiteres juristisches Hindernis für das Paket ist Artikel 125 AEUV, der den Euro-Staaten die Haftung für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten verbietet (No Bail- out), erst recht für die Union als Ganzes. Die Bundesregierung argumentiert jetzt, dass gegen diese Regelung auch jetzt nicht verstoßen wird, weil es - ähnlich wie im Griechenland-Fall - auf bilateralen Garantien aufbaut. Außerdem heißt es in Berlin, mit der drohenden „systemischen Krise“ des Euro sei eine Situation erreicht, die Hilfen als „Ultima Ratio“ zulasse, sodass das Bundesverfassungsgericht zustimmen könne. Als juristische Grundlage für das Paket dient jetzt Artikel 122 Absatz 2 AEUV. Dieser erlaubt es, dass die EU einem Mitgliedstaat, der aufgrund von „außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von ernsthaften Schwierigkeiten bedroht ist“, unter bestimmten Bedingungen einen „finanziellen Beistand“ gewährt. Diese Bestimmung war mit Blick auf Griechenland ausdrücklich ausgeschlossen, weil das Land für seine Überschuldung selbst verantwortlich ist. Mit Blick auf die Verschuldung weiterer Staaten wird das jetzt offenbar nicht so gesehen, weil spekulative Attacken als „nicht selbst verschuldet“ gelten.

Geändert von Benjamin (14-02-2016 um 21:32 Uhr)
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