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Alt 09-11-2010, 14:11   #27
Benjamin
TBB Family
 
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Zitat:
Also so wird das nicht rüber kommen zu uns aus der USA.
Da widerspreche ich. Die Ursache ist doch u.a. dieser anwachsende Zeitgeist "Ich bin doch nicht blöd!" (MediaMarkt-Reklame). Mit anderen Worten: "Hauptsache mir geht's gut! Die anderen sind mir völlig wurst. Ich mach' doch nicht etwas (wie z. B. Steuern u. Abgaben zahlen), wenn sich das für mich nicht direkt auszahlt."

Wenn der Gürtel enger geschnallt werden muss (oder Angst davor besteht, es demnächst tun zu müssen), dann war's das mit der Solidarität. Dann gibt's nur noch "me, myself and I". Egoismus. Und das wird dann auch noch mit irgendwelchen Ausreden schöngeguckt ("Für die Freiheit!").

Das passiert in den USA wegen deren sehr hohen Arbeitslosigkeit, in Großbritanien wegen der allgemeinen Überschuldung, dem anlaufendem Sparprogramm und den vielen Entlassungen; und das wird auch in Deutschland kommen, wenn der aktuelle Aufschwung die Flügel hängen läßt.


Leider stärkt diese "Egoismus-Ideologie" nur die Mächtigen in der Gesellschaft, das wirkt also gerade gegen diejenigen, die sich so irgendwelcher Belastungen zugunsten Dritter entledigen wollen. Denn in Zeiten der Not verliert ein Einzelkämpfer. Dann haben primär Gruppen eine Chance.

Die Frage wird aber gestellt und beantwortet werden (mit den Füßen), wie groß diese "Gruppen" sein können bzw. sollen. Je ärger es den Leuten geht, um so niedriger siedeln sie sich emotional auf der folgenden Liste an:

"Wir Europäer" wird zu
"Wir Deutsche" wird zu
"Wir Hessen" wird zu
"Wir Wiesbadener" wird zu
"Wir in der Kleingartenkolonie XY (bei Wiesbaden)" wird zu
"Wir in unserer kleinen Familie".

Wer sich nicht zumindest auf den unteren beiden Stufen nachhaltig unterbringen kann, der fällt durchs Raster. Und zwar um so stärker, je mehr von dieser Bewegung aus den USA zu uns rüberkommt (in welcher Form auch immer) bzw. je tiefer der materielle Wohlstand der Bevölkerung absinkt.

Im Grunde haben die Leute Sehnsucht nach einer großen, starken Gruppe, der sie angehören können - und die Führung in dieser schwierigen Zeit bietet. Sie würden gerne emotional sich für eine Gruppe möglichst weit oben auf der Liste begeistern. Sie wollen an eine möglichst starke Gruppe glauben können. Darum wurde Obama so grandios gewählt, darum sind die Grünen jetzt in den Umfragen so weit oben.

Aber dieser Glaube wird später erschüttert werden durch 1000 Widersprüche und Verzögerungen und Enttäuschungen. Und schließlich sinkt das wieder zusammen auf die unteren beiden Gruppenebenen - und auf diese "Egoismus-Ideologie". Dann will man keinen Staat mehr mit seinen vielen Steuern. Dann will man nur noch für sich u. seine Familie was zusammenhalten. Die Straßen sollen andere pflegen.

Konkret beginnen dürfte das imo bei der EU mit deren Finanzrisiken für das eigene Land: Der Widerspruch zwischen dem eigenen persönlichen Geldbeutel einerseits und z. B. den gigantischen Finanzrisiken der EU ("Schutzschirme" für irgendwelche Sünderstaaten) andererseits wird bald schon nicht mehr kommunikabel sein. Die Folgen werden die Vorstellungskraft sprengen und die Wähler in eine Abwehrhaltung bringen: So etwas wird später nicht mehr wählbar sein! Dann haben wir die Tea-Party auch bei uns - und überall! Als Auslösung reicht es völlig, wenn irgendwann entweder die Zinsen anfangen zu steigen bzw. eine Geldentwertung den Leuten die Kaufkraft nimmt. Dann kollabiert das und wird rasant abwärts gehen - materiell wie auch auf der Liste.


Auf den beiden Charts sieht man, dass Arbeitslosigkeit einerseits und hohe Zinsen (als Reaktion auf Geldentwertung) andererseits miteinander korrelieren. Symptomatisch wird das Ansteigen der Renditen derzeit durch die Anleiheaufkäufe der Fed unterbunden, die Anleihe-Kurse also künstlich hoch, deren Rendite künstlich klein gehalten. Die Geldentwertung als Ursache steigender Renditen/Zinsen, die früher die Zinsen also nach oben getrieben hätte, wird derzeit absichtlich herbeigeführt.
Will sagen: Auch wenn der Anleihechart noch nicht nach oben geht - die Geldentwertung tut es sehr wohl, und nur um die geht es bei der Korrelation mit der Arbeitslosigkeit.

Genau so wird es imo in den nächsten Jahrzehnten kommen. Vom Staatsgebilde hin zu einer (militanten) Kleingruppengesellschaft (Mittelalter). Und auf dem Weg werden wir den größten Teil unseres materiellen Wohlstands einbüßen. Denn eine sehr arbeitsteilige, hochkomplexe Gesellschaft braucht eine große Gruppe (auf der Liste), um zu funktionieren, und natürlich billige Energie. Schon wenn eines davon nicht mehr gegeben ist, geht's materiell abwärts - und auch auf der o.g. Liste.

Leider!

Geändert von Benjamin (09-11-2010 um 15:30 Uhr)
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