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Alt 27-06-2004, 08:34   #4
Börsengeflüster
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Bei Kanonendonner kaufen, bei Harfenklängen verkaufen


Was mich betrifft, habe ich es mir nahezu gänzlich abgewöhnt, das Büro eines Maklers zu betreten, vor allem, wenn ich bereits einen Entschluß gefaßt habe. Aber wenn ich mich durch einen Rest von Neugier doch verleiten lasse und zu ihm oder zur Börse gehe, dan bemühe ich mich, dem Tumult fernzubleiben- Gerede, Kommentare und sogar die Meldungen über Kursschwankungen an mir vorbeiziehen zu lassen. Am liebsten fasse ich meine Entschlüsse allein, eingeschlossen in mein Arbeitszimmer, fernab von jeglicher hysterischen Atmosphäre.

Um ganz aufrichtig zu sein: Ich treffe die besten Entscheidungen, während ich Musik höre.

Das Wichtigste ist, sich von der allgemeinen Stimmung freizuhalten. Denn fast immer muß man aus dem Markt heraus, während alles "himmelhoch jauchzend", und einsteigen, während alles "zu Tode betrübt" erscheint. Poetisch könnte man das so ausdrücken:
Bei Kanonendonner kaufen und bei Harfenklängen wieder verkaufen.

Auf Nachrichten, die von der Börse selbst kommen, ist kein Verlaß.
In den meisten Fällen machen nicht die Nachrichten die Kurse, sondern die Kurse die Nachrichten.
Das ist dasselbe in New York, London, Paris und anderswo. Nach Börsenschluß versucht jeder, die Kursvariationen oder jedwede Änderung der Tendenz zu erklären- und das mit Hilfe von Argumenten, die er sich vor zwei Stunden noch nicht einmal hätte erträumen lassen. Jeder glaubt das, was ihm am besten in den Kram passt. Der verbissenen Haussier wird immer gute Gründe finden, die steigenden Kurse zu erklären, der Baissier ebenso gute für einen weiteren Kursrückgang.
Doch der allergefährlichste Fallstrick, dem alle Spekulanten, vom naivsten bis zum gerissensten, zum Opfer fallen könnte, ist die falsche Auslegung richtiger Nachrichten, denn eine halbe Wahrheit ist soviel wie eine ganze Lüge.


Die "Hartgesottenen" und die "Zittrigen"
Es gibt zwei Arten von Wertpapierbestitzern, Spekulanten und Börsenspieler.

Die Hartgesottenen
Die Zittrigen

Die Hartgesottenen haben Geld, Geduld und Gedanken. Das heißt, ihr Eigenkapital, egal wie hoch es ist, ist intakt, und sie haben keine Schulden. Unter Geduld verstehe ich Nerven, die nicht auf jedes kleine Ereignis heftig reagieren. Und er hat Gedanken, ich meine, er handelt intellektuell richtig oder falsch, Hauptsache mit Überlegung und Vorstellungskraft.

Der Zittrige ist jener, der wenig Geld, keine Geduld oder keine Gedanken hat. Keine Geduld haben, das heißt, er hat schwache Nerven und versteht nicht, daß die Börse nicht automatisch auf jedes Ereignis so reagiert, wie sie es nach seiner Logik sollte. Er weiß nicht, daß die Reaktion auf ein Ereignis eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt,das heißt, bis das Publikum dieses richtig versteht, richtig interpretiert und danach handelt. Oder er hat keine Vorstellungskraft und handelt nicht mit dem Kopf, sondern rein emotional. Kaufen die anderen, kauft er auch, verkaufen sie, verkauft auch er. Er ist ein Glied der Masse und handelt mit ihr. Und übrigens: Auch ein schwerreicher Millionär ohne Schulden kann ein Zittriger sein, wenn er keine Nerven oder keine Vorstellung hat, das heißt emotional handelt.
Die ganze Frage besteht also darin, in welchen Händen die Papiere sind. Besitzen die Hartgesottenen den großen Anteil der Aktien, so ist die Börse sogar, wenn die Nachrichten ungünstig sind, zu einer explosiven Aufwärtsbewegung bereit. Ist jedoch das Gros der Papiere in den Händen der Zittrigen, kann es schon bei der ersten schlechten Nachricht zu einem Debakel kommen. Den ersten Fall nenne ich einen "überverkauften" Markt, den zweiten einen "übergekauften". Die ganze Kunst ist nun zu wissen, ob der Markt überverkauft oder übergekauft ist. Ein routinierter Börsenhase hat dies im Fingerspitzengefühl, auch wenn er es nicht immer in Worten ausdrücken und definieren kann. Es gibt natürlich Symptome, Hinweise und gewisse Signale, die auf die eine oder andere Situation schließen kann.
Werden bei fallenden Preisen eine gewisse Zeit lang große Umsätze getätigt, bedeutet dies, daß zahlreiche Aktien von Zittrigen in hartgesottene Hände übergehen. Es kann sogar zu einem Moment kommen, in dem die Zittrigen ausverkauft haben und die Aktien in den "sicheren" Tresorschränken der Hartgesottenen liegen. Die Papiere kommen aus diesem Versteck dann später erst bei steigenden Preisen heraus. Denn bei fallenden Preisen kaufen in überwiegender Mehrheit die Hartgesottenen, die selbst bei weiter fallenden Kursen nicht sofort in Panik geraten, denn sie haben ja Geld, Geduld und Gedanken.
Das heißt also: wenn bei immer steigenden Umsätzen die Preise weiterhin fallen, ist dies ein Zeichen dafür, daß man sich dem Niveau nähert, wo die nächste Aufwärtsbewegung starten wird. Meistens handelt es sich jedoch dabei um ein unberechtigtes Tief, an dem lediglich die Hysterie des Publikums und der generelle Ausverkauf der Aktienbesitzer schuld sind, was ich vorher als die dritte Phase der Abwärtsbewegung bezeichnet habe. In einer solchen Situation verschleudern die Zittrigen auch die besten und widerstandsfähigsten Papiere, die sie vorher als Reserven gehalten haben.
Wenn dagegen die Papiere ununterbrochen mit immer größeren Umsätzen steigen, ist dies eine sehr schlechte Perspektive für die Zukunft. Je größer der Umsatz, um so verletzbarer der Markt. Die Börse kommt nämlich in die sogenannte dritte Phase der Aufwärtsbewegung. Die Analytiker und Broker behaupten, das große Publikum kaufe, und dies sei gut. Stimmt, für den Tag, an dem sie kaufen. Aber ist es wirklich so gut, wenn das große Publikum, das heißt die Zittrigen kaufen?
Wenn der Markt hingegen mit kleinen Umsätzen steigt, ist dies außerordentlich günstig. Obwohl die Analytiker behaupten werden, diese Marktsituation sei nichtssagend. Die Papier sind immer noch in den Händen der Hartgesottenen und noch nicht zu den Zittrigen übergegangen. Die Preise müßen noch weiter steigen, damit die Hartgesottenen bereit sind, die Papiere an die Zittrigen abzustoßen.
André Kostolany
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Zitat:
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Die Börse ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunst.

André Kostolany


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Geändert von Börsengeflüster (27-06-2004 um 08:39 Uhr)
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