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Alt 23-07-2004, 00:53   #16
Starlight
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Das zweite Halbjahr ist nicht mehr in weiter Ferne, sondern es hat vor drei Wochen begonnen.


Drückend liegt die Sommerhitze über der Wall Street, und in den schmalen Gassen an der Südspitze Manhattans weht kein Wind. Die Broker schleppen sich eher in die Mittagspause als das sie laufen, und da haben sie mit den Kursen etwas gemeinsam – die allerdings kamen jetzt fast sechs Wochen lang nicht von der Stelle.

Die Volatilität ließ Anleger und Analysten zuletzt gleichermaßen gähnen. Anfang Juni notierten die Blue Chips bei 10 400 Punkten, dann schlossen sie fast vier Wochen lang immer dreißig Punkte über oder unter der Marke – mehr war nicht drin. Anfang Juli schlitterte der Leitindex der New Yorker Börse auf 10 250 Punkte, und dort verharrte er abermals für gut zwei Wochen. Doch in dieser Woche wendet sich das Blatt:

Ein paar starke Quartalszahlen hatten Anleger hellhörig werden lassen, und als sich Alan Greenspan in seinen Auftritten vor dem Kongress erneut optimistischt gab, von einer kurzzeitigen „Schwachstelle“ in einem aktuellen Trend konjunktureller Erholung sprach und die Wirtschaft auf Wachstumskurs sah, hoben die Börsen ab. Allein von Dienstag bis Mittwochmittag machte der Dow gut 250 Zähler gut und tastete sich an die Marke von 10 300 Punkten heran – nur einen weiteren Tag später sind die Blue Chips für kurze Zeit erstmals seit Mitte Mai wieder in den vierstelligen Bereich gerutscht. Auch die Nasdaq handelte auf dem niedrigsten Niveau des ganzen Jahres.

Woran liegt’s? – Hatte nicht die Mutter aller Konzerne, General Electric, starke Zahlen vorgelegt? Haben nicht United Technologies und Honeywell beigepflichtet. Hat nicht Ebay ein starkes Quartel hinter sich, während Microsoft Aktionären satte 32 Milliarden Dollar schenkt? UPS liefert Pakete im Rekordtempo, der Transportriese J.B. Hunt hatte sogar händeringend neue Fahrer gesucht, die Industriegüter aller Art über das Hunderttausend Meilen lange US-Highway-Netz steuern.

Nun, bekanntlich wird an der Börse die Zukunft gehandelt, und Anleger scheinen nach einigen Warnungen aus allen möglichen Branchen nicht mehr so optimistisch auf das zweite Halbjahr zu blicken. Ebay kündigt einen Einbruch im Umsatzwachstum an, die Chip- und Softwarehersteller bezeichnen das Umfeld als schwierig und nicht wenige haben die Prognosen zurückgefahren. General Motors und Ford haben jetzt schon Lagerbestände von 50 Prozent über dem normalen Niveau und kaum eine Möglichkeit, signifikant Kosten zu sparen.

Dazu kommt die Problematik eines anhaltend hohen Ölpreises, die wie ein Damoklesschwert über dem Markt droht. Ein Preis von mehr als 40 Dollar pro Barrell bremst die Konjunkturerholung aus. Mit dem Rohstoff nämlich wird nicht nur Benzin teurer und der Verbraucher belastet. Auch Chemikalien und Materialien werden teurer, und mindern die Investitionsfreude von Corporate America.

Die Wall Street hatte mit Ablauf des ersten Quartals ein starkes Jahr hinter sich: Ohne jede Gegenbewegung kletterte Der Dow-Jones-Index um satte 3000 Punkte, da eine konjunturelle Erholung glücklich mit Führungs- und Strategiewechseln in vielen Unternehmen zusammenfielen. Anleger konnten sich zwölf Monate über eine Erholung freuen, die den Bärenmarkt vergessen ließ. Warnungen vor sinkenden Gewinnen im dritten und vierten Quartal in den Wind zu schlagen, konnte und wollte man sich eine Zeit lang leisten.

Damit ist es jetzt vorbei: Das zweite Halbjahr ist nicht mehr in weiter Ferne, sondern es hat vor drei Wochen begonnen. Angesichts des jüngsten Charts kann sich die Wall Street freuen, wenn sich die nächsten sechs Monate nicht komplett im vierstelligen Bereich abspielen. Den Optimisten zu glauben, die noch bis vor wenigen Wochen ihre Index-Prognosen auf das Jahresende angehoben haben, hat sich wohl erübrigt.

Markus Koch/ Lars Halter © Wall Street Correspondents Inc.
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