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Alt 14-11-2004, 17:22   #78
Starlight
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Der Bush-Boom und seine Schattenseiten

George W. Bush liest bekanntlich keine Zeitung, und auch Nachrichten werden ihm nicht durch das Fernsehen, sondern durch seinen Stab übermittelt. Damit ist unwahrscheinlich, dass der Präsident in den letzten Tagen selbst einen Blick auf die Charts an der Wall Street geworfen hat – schade, eigentlich, er hätte etwas zu feiern.

Seit der Wiederwahl von George W. Bush ins Weiße Haus hat der Dow satte 5 Prozent an Wert gewonnen, und auch die Nasdaq sowie der breite Markt verzeichnen gute Gewinne. Das ist nicht alles: Am Freitagmorgen wurde das zuletzt fallende Verbrauchervertrauen mit leicht positiver Tendenz gemeldet, und das Gallup-Institut legt eine Umfrage vor, nach der die Amerikaner zu 53 Prozent mit Bush zufrieden sind. Vor der Wahl waren es nur 48 Prozent.

Da dürfte es dem Präsidenten auch recht egal sein, dass fast zwei Wochen nach der Abstimmung erneut alle möglichen Gerüchte über Wahlbetrug kursieren. Fest steht wohl, dass in einem Wahlkreis die Maschinen rückwärts zählten und in einem anderen Bush mit mehr als 4000 Stimmen gewann , obwohl dort nur knapp unter 700 Wähler wohnen. Zahlreiche andere Meldungen werden von Kritikern und von der Regierung indes als Verschwörungstheorien abgetan – es lässt sich gut leben dieser Tage im Weißen Haus.

Wie lange die Wall Street unterdessen die Bush-Rallye mitmacht, bleibt abzuwarten. Denn die ersten Analysten warnen bereits vor einem überkauften Niveau der Märkte, und nicht zuletzt der Verbraucher könnte schon bald merken, dass er unter der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik des regierenden Republikaners nicht so gut dasteht, wie sich das Ganze im Wahlkampf angehört hatte.

Ein Problem, das vor allem auf die von Bush so gepriesenen Hausbesitzer zukommt, beleuchtet dieser Tage der New Yorker Wirtschaftsprofessor Dr. Irvin Kellner von der Hofstra University auf Long Island. Der erinnert daran, dass Hausbesitz zwar eine beliebte Anlage ist, keinesfalls aber eine risikofreie. Hätten sich Hausbesitzer historisch eigentlich immer darauf verlassen können, dass sie aufgrund festgeschriebener Zinsen und steigender Löhne einen guten Deal machen, habe sich der Spieß längst umgedreht.

Kellner sieht die USA in einem Dilemma: Niedrige Zinsen haben Häuser attraktiver gemacht denn je, und mehr Amerikaner denn je haben bekanntlich zugeschlagen. Manche gingen angesichts der scheinbar historisch günstigen Angebote etwas weiter als ratsam: Viele Kreditnehmer haben flexible Raten akzeptiert oder zahlen zurzeit nur Zinsen, nicht aber den Hauspreis ab.

Diese Hausbesitzer, so Kellner, dürften unter Druck geraten. Denn einerseits lässt die Fed zurzeit die Zinsen wieder steigen, was die langfristig flexiblen Hypotheken teurer machen wird. Andererseits steigen auf einem anhaltend schwachen US-Arbeitsmarkt die Löhne nicht. Inflationsbereinigt haben Amerikaner immer weniger Geld in der Tasche, viele dürften sich ihr sicher geglaubtes Haus nicht lange leisten können.

Andere Probleme kommen, so Kellner, von der Gesundheits- und Rentenseite auf Jane und John Dow – die amerikanischen Durchschnittsbürger – zu: Hätten sich Arbeiter und Angestellte früher bei Rente und Krankenkasse auf gewisse feste Beträge verlassen können, so dürfen sie ihr angespartes Geld heute anlegen. Dass das nicht immer zum Nutzen des unbedarften Amerikaners ist, weiß man spätestens seit Enron. Die katastrophale Pleite des Energiekonzerns ist aber längst nicht das Ende der Entwicklung. Im Gegenteil: Unter der Regierung Bush soll immer mehr Geld aus einst sicheren Konten in den spekulativen Markt fließen – am Ende könnte es mehr Verlierer als Gewinner geben.

Gut für Bush – vor allem vor der Wahl – ist vor allem die weitgehende Unwissenheit der Anleger um die Feinheiten der Politik. Dass die USA zurzeit so viele Hauseigentümer wie nie zuvor zählt, verhalf dem Präsidenten im Wahlkampf immer wieder zu Jubelstürmen. Die Schattenseite der Bush-Politik ging dann in einem republikanisch-roten Fahnenmeer unter.

Zwei Wochen nach der Wahl hat sich an der Einfalt nichts geändert. Die Börse tanzt und freut sich auf weitere vier Jahre unter George W. Bush – die im Januar offiziell beginnen werden.

Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.
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