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Alt 15-11-2004, 17:35   #81
Starlight
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Bush dreht weiter am Personalkarussell

Eine wirkliche Überraschung war es nicht, doch kocht es nun in den Redaktionen der Meinungsmacher und auch auf dem Parkett der New Yorker Börse. Als fünfter Minister der Regierung Bush ist am Montagmorgen Außenminister Colin Powell zurückgetreten. Wer ihn ersetzen wird, sagt viel aus über den Weg, den Bush und Co. in Zukunft einschlagen werden.

Colin Powell war eine Schlüsselfigur im ersten Bush-Kabinett, und zwar eine tragische. Der gemäßigte Außenminister besorgte dem US-Präsidenten das bisschen internationaler Unterstützung, das er überhaupt bekommen konnte. Dass er sich vor den Vereinten Nationen auf lückenhaftes und teilweise sogar gefälschtes Material der US-Geheimdienste stützen musste, kostete Powell international zwar an Glaubwürdigkeit, doch behielt er seinen Status bei als einer, der das Spiel der Falken in Washington nicht bedingungslos weiterspielen würde.

Umso bedenklicher scheint am Montag der Rückzug Powells. Sofort nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses, das Bush vor zwei Wochen als klaren Sieger auswies, diskutierte Amerika darüber, wie der Präsident seine zweite Amtszeit gestalten wird – es halten sich zwei Szenarien:

Einerseits könnte Bush seinen radikalen Kurs weiter fahren, da er in weiteren vier Jahren ohnehin nicht mehr antreten kann. Bush könnte seine Steuersenkungen zugunsten der Oberschicht ebenso ausbauen wie den Abbau der Grundrechte für alle Bürger, die sozialen Gräben tiefer buddeln und sich als Weltpolizist nach dem Irak auch im Iran und in Nordkorea einschalten.

Bush könnte aber auch – dafür gibt es Beispiele in der Geschichte – einen sanfteren Kurs fahren. Wie sein großes Idol Ronald Reagan könnte er nach einer radikalen ersten Amtszeit die zweite Periode nutzen, um seinen Fußabdruck in der Geschichte zu setzen. Soziale Reformen, eine weniger radikale Haltung, die Besetzung des Supreme Courts durch überparteilich angesehene Richter… Bush hätte viele Möglichkeiten, einen Kurswechsel einzuleiten. Und dazu bewegen könnte ihn ebenfalls die Tatsache, dass er in vier Jahren nicht mehr antreten wird, denn nun muss Bush auch nicht mehr so konsequent einer radikal konservativen Basis zuarbeiten.

Welchen Weg Bush einschlagen wird, sollte sich nun in der Umbesetzung des Kabinetts zeigen, und da sieht es schlecht aus. Trotz zahlreicher Gerüchte um einen möglichen Rücktritt von Colin Powell haben viele Amerikaner doch gehofft, dass der gemäßigte Außenminister weiterhin eine Stimme in Bushs Umfeld sein würde. Dass eine zweite Amtszeit für die Republikaner etwas mehr Powell und etwas weniger Rumsfeld sein würde.

Das hat sich nun erledigt. Powell geht und Rumsfeld sitzt (noch) im Pentagon. Allerdings wackelt auch sein Stuhl, denn Rumsfeld sind nicht nur die Fehlplanung des Irakkrieges zuzuschreiben, sondern auch der Folterskandal von Abu Ghraib und die skandalöse Behandlung von Kriegsgefangenen im kubanischen Gefängnis in Quantanamo.

Einen Erfolg können die Fans einer etwas liberaleren Bush-Politik indes verbuchen: Bereits in der vergangenen Woche ist Generalstaatsanwalt Ashcroft zurückgetreten. Ebenfalls nicht mehr im Kabinett sind Handelsminister Evans und Energieminister Abrahams, und auch die Ressorts Landwirtschaft und Erziehung werden neu besetzt. Bei so zahlreichen Umbesetzungen dürften Amerika, die Welt – und natürlich auch die Wall Street – spätestens im Januar wissen, wohin die Reise gehen wird. Denn bis dahin soll Bushs Kabinett wieder vollständig besetzt sein, zum Jahreswechsel beginnt seine zweite Periode.

Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.
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