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Alt 28-12-2004, 20:40   #113
Starlight
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Wall Street: Wo bleibt die Ethik?

Kapitalmärkte können unmenschlich und brutal sein. Ungeachtet der tragischen Naturkatastrophe in Südost-Asien, geht es an der Wall Street weiter aufwärts. Auf den heiligen Planken der New Yorker Finanzmeile werden die über 44 000 Flutopfer der Tsunamis zwar beklagt, und doch geht es hier vorrangig um ein ganz anderes Thema: das liebe Geld.

Die kühlen Rechner haben ihre Bleistifte gespitzt und den Taschenrechner vor sich liegen. So groß der finanzielle Schaden in der betroffenen Region auch sein mag, kommt Corporate Amerika doch ziemlich ungeschoren davon. Die mit Abstand größte Naturkatastrophe in über vierzig Jahren hinterlässt in den USA nur kleine Schrammen.

Welche Branche wird durch die tragische Katastrophe in Südost-Asien besonders hart getroffen? Weder den Versicherungen noch den Hotels und Fluggesellschaften drohen große Schieflagen. Während Hilton fünf beschädigte Hotels verbucht und Four Seasons acht, kommt Starwood Hotels & Resorts ungeschoren davon. Die Tsunamis haben bei den Sheraton Hotels in Phuket, Krabi und Langkawi keine strukturellen Schäden angerichtet, erklärte das Management. Die Aufräumarbeiten und Reparaturen haben bereits begonnen, mit einem nahezu normalen Betrieb der Resorts.

Auch der Chip-Branche drohen nur minimale Schäden, schätzt das Brokerhaus Smith Barney. Von den weltweit 906 Produktionsstandorten sind nur 7 Prozent der Kapazitäten in den besonders stark betroffenen Regionen angesiedelt. Laut Schätzungen von Intel und Micron Technology liegt der branchenweit drohende Produktionsausfall bei schätzungsweise unter 5 Prozent.

Was die Umsätze und Produktionskapazitäten der großen Konsumgüter-Konzerne betrifft, könnte die Lage schon etwas anders aussehen, mahnt das Brokerhaus A.G. Edwards. Im Vergleich zu Procter&Gamble scheint das Risiko von Umsatzausfällen bei Colgate-Palmolive und Kimberly-Clark ausgeprägter zu sein. Die Produktionsstandorte dieser beiden Konzerne liegen in den besonders hart getroffenen Regionen. Südost-Asien trägt zwar weniger als 10 Prozent zu den Gesamtumsätzen bei, gehört aber zu den Wachstumsmotoren der Konzerne. Wie groß der Finanzschaden letztendlich sein wird, hängt maßgeblich von den Schäden der Fabriken ab.

Ob Geräte zur Qualitätsprüfung von Trinkwasser, Mittel zur Reinigung von Wasser, Stromgeneratoren oder Erdbeben-Frühwarnsystemen, die Nachfrage nach diesen Produkten dürfte in Folge der Tsunamis sogar steigen. Die an der Wall Street gehandelten Aktien der EuroTech Holdings, ein auf die Wasserbehandlung spezialisiertes Unternehmen, legen über 40 Prozent zu. Die Kurse des Abwasser-Spezialisten Analytical Surveys klettern wiederum um rund 30 Prozent.

Auch Unternehmen aus dem Bereich der Lebensmittelprüfgeräte verbuchen nachhaltige Kursgewinne. Investoren hoffen bei Benthos und Strategic Diagnostics auf größere Auftragseingänge.

Der mit Abstand größte Gewinner aber bleibt Taylor Devices. Seit Wochenbeginn legte die Aktie des Herstellers von Erdbeben-Frühwarnsystemen über 180 Prozent zu.

Bei all dem Reichtum im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, stellt sich zwangsläufig eine Frage: warum stellen die USA vorerst nur 15 Millionen Dollar für die zerstörten Regionen in Südost-Asien zur Verfügung?

„Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben“, so Immanuel Kant.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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