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Alt 31-12-2004, 07:53   #116
Starlight
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2004: Erfolgreich durchgewurstelt

Wenn’s um die Konjunktur geht, gibt es auf Sicht des ablaufenden Jahres nicht viel auszusetzen. Das reale Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen vier Quartalen bei immerhin über 4 Prozent.

Obwohl einige Volkswirte vor einer drohenden Abkühlung warnen, rechnet die Mehrheit doch mit einer Fortsetzung des überdurchschnittlich hohen Wachstums. Während die unbelehrbaren Optimisten ein BIP-Wachstum von bis zu 4,5 Prozent für realistisch halten, peilt die Bush-Regierung eine Steigerungsrate von ebenso gesunden 3,5 Prozent an.

Die Inflation hat zwar an Schwung gewonnen, dürfte aber zu keinem ernsthaften Problem führen. Nach 2,4 Prozent im ersten Halbjahr liegt die Preissteigerung bei nun knapp 3 Prozent. Nicht zuletzt wegen den deutlich gesunkenden Energiepreisen dürfte die Kernrate im Dezember um nur 0,2 Prozent gestiegen sein.

Für Corporate Amerika ist ein gewisses Maß an „Pricing Power“ durchaus wünschenswert. Können Preisanhebungen erfolgreich durchgesetzt werden, und die Gewinnmargen expandieren, profitiert letztendlich auch der Arbeistmarkt. Die dortige Erholung mag sicher nicht sonderlich robust ausgefallen sein, und doch ist die Arbeitslosenquote seit Mitte 2003 von 6,3 auf nur noch 5,4 Prozent gesunken.

Ein Konjunkturumfeld, das generell eher für als gegen Aktien spricht. Und trotzdem traten die Kurse für ein Großteil des Jahres auf der Stelle. Warum stagnierte die Wall Street und was können Investoren daraus lernen? Psychologie spielt eine durchaus große Rolle. Aktien sind langfristig an das Ertragswachstum von Corporate Amerika und das Bewertungsniveau gekoppelt.

In den vergangenen ein bis zwei Jahren wurden fundamentale Fakten durch die Psyche der Anleger überschattet. Ob die Angst vor Terroranschlägen, der noch immer tobende Irakkrieg oder die abwartende Haltung vor den Präsidendschaftswahlen – Investoren blieben bis zum Herbst am sicheren Ufer. Trotz einer robusten Konjunktur, sinkender Arbeitslosenzahlen und einer stabilen Inflation stagnierte die Wall Street.

Wäre da noch die Saga mit dem Ölpreis. Neben der Nachfrage spiegeln sich im Kurs des schwarzen Goldes auch der schwache Dollar, die Inflation und die Nahost-Politik wider. Wirklich ausschlaggebend ist letztendlich aber das Angebotsumfeld. Wie viel Öl kann gefördert werden und wie hoch ist die Auslastung der globalen Kapazitäten?

Das Risiko drohender Angebotsengpässe dürfte im Laufe des kommenden Jahres nachlassen, schätzt das Brokerhaus Lehman Brothers. Die dortigen Analysten senken das für 2005 angepeilte Nachfragewachstum um täglich 200 000 Barrel. Will die Opec den Ölpreis über 40 Dollar halten und die Förderquoten werden gesenkt, droht ein weiterer Rückgang der Benzin-Nachfrage in den USA. Eine gute Nachricht für die Konjunktur.

Als weiterer Bremsklotz am Bein des Aktienmarktes entpuppte sich die hohe Bewertung der Wall Street. Die KGVs der großen Blue Chips lagen Anfang 2000 noch bei bis zu 75 und sind schrittweise auf das aktuell Niveau von rund 21 zurückgekehrt. Der historische Durchschnitt von 25 wurde erst in diesem Jahr wieder unterschritten.

Wer in 2004 auf die „besonders sicheren“ Aktien setzte, erlebte sein blaues Wunder. Aktien mit nahezu unverwüstlich robusten Ergebnissen, wie Pfizer und AIG, fielen aus dem Bett. Besonders preiswerte Aktien wie Alcoa und Washington Mutual wurden zur Überraschung der Investoren im Jahresverlauf noch preiswerter.

Wenn sich eine Lehre aus all den Ereignissen ziehen lässt, dann die Unberechenbarkeit der Investoren und Aktienmärkte. Ob die Konjunkturvorhersage nun aufging oder nicht, ist zweitrangig.


Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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