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Alt 18-01-2005, 19:17   #132
Starlight
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Die Lobbyisten walzern nach Washington, D.C.

In dieser Woche blickt die Wall Street nach Washington, wo ab Donnerstag George W. Bush erneut als Präsident der USA vereidigt werden wird. 40 Millionen Dollar wird die viertägige Sause kosten, die größtenteils von amerikanischen Unternehmen bezahlt wird. Für die soll sich die Investition lohnen – die Inauguration ist Pflicht für die Lobbyisten.

Man mag es „Vitamin B“ nennen oder den Faktor „Beziehungen“ ganz einfach mit „Bestechung“ gleichsetzen, jedenfalls geht in Washington nichts ohne persönlichen Kontakt an die Regierungsspitze. Vor allem seit George W. Bush im Weißen Haus das Ruder übernommen hat, fallen wichtige Entscheidungen über Gesetzgebung, Steuern, Freihandel in einem kleinen Kreis, zu dem ein Ticket zu lösen manches Unternehmen tief in die Tasche zu greifen bereit ist.

Da können Kritiker lange mäkeln, dass 40 Millionen Dollar zurzeit besser an die Soldaten im Irak oder gar an die Opfer des Tsunami fließen sollten. Um „W“ eine rauschende Ballnacht samt Rahmenprogramm mit Rockkonzert, Gala-Dinners und dreistündiger Parade auf der Pennsylvania Avenue zu ermöglichen, kann dem klugen CEO kein Kritiker zu laut und kein Scheck zu teuer sein.

Die meisten edlen Spender werden ihre Agenda schon ausgearbeitet und fertige Konzepte in der Tasche haben, wenn sie in den nächsten Tagen auf Bush und seinen Vize Cheney, auf Hintergrund-Genie Karl Rove und auf alle möglichen Minister, Senatoren und Kongressabgeordnete treffen werden. Die bekommt zwar nut zu Gesicht, wer zur Inauguration den Höchstbetrag von 250 000 Dollar spendet – mindestens 53 Unternehmen haben das aber bereits getan.

Zu den großzügigsten Spendern mit jeweils einer viertel Million Dollar gehören mit Altria Group, ExxonMobil, Pfizer, Home Depot und United Technologies immerhin fünf Dow-notierte Firmen – wobei vor allem die Ziele der drei erstgenannten weithin bekannt sein dürften. Kleinere Spenden kommen von JP Morgan und Microsoft, von SBC Communications, Boeing und Coca-Cola und auch außerhalb des Dow fließen die Geldströme reichlich: Kein Sektor zwischen Banken und Versicherungen, Automobil und Medien, der sich nicht jetzt die Gunst der Regierung sichern will.

Während die meisten der Unternehmen ihre eigenen Ziele verfolgen – weniger Regulierung im Kommunikationssektor, beispielsweise, oder weniger harte Auflagen für Emissionswerte – so teilen die großen Unternehmen aus Corporate America einen Wunsch, der sich durch alle Branchen zieht: Man will den jüngst eingeführten Sarbanes-Oxley-Act entschärfen, der nach zahlreichen Bilanzskandalen wieder Ordnung an die Wall Street bringen sollte und der manchem CEO dabei viel zu weit geht.

Mehr als verfünffachen sollen sich beispielsweise die Buchführungskosten beim Software-Hersteller National Instruments, klagt Finanzchef Alex Davern. Dabei habe man in 27 Jahren nie einen Fehler gemacht und nie einen Anleger übers Ohr gehauen. Das mag nun sein, gilt aber einerseits nicht für jeden amerikanischen Konzern. Und andererseits sind an den teilweise wirklich exorbitant gestiegenen Buchhaltungskosten weniger die Gesetzgeber schuld als die Buchprüfer, die sich in ihrem Oligopol eine goldene Nase verdienen.

Umso bizarrer ist, dass die Attacken der Unternehmen der ganzen „Sektion 404“ aus dem Sarbanes-Oxley-Act gelten. In diese Passage wird unter anderem gefordert, dass Bilanzen intern und extern genauer geprüft werden und CEO und Finanzchef für deren Richtigkeit gerade stehen müssen. Außerdem sollten Informanten, die illegale Machenschaften ans Licht bringen, gesetzlich geschützt und mit Job-Garantien ausgestattet werden. Eigentliches Ziel des Gesetzes: Dramen wie bei Enron und WorldCom künftig zu verhindern, bei denen in der Vergangenheit Anleger um Milliarden-Beträge gebracht worden waren.

Über den Sarbanes-Oxley-Act hinaus geht es zahlreichen Unternehmern auch um die Zukunft der SEC und deren Chef, William Donaldson. Der war erst vor zwei Jahren unter allgemeinem Jubel gekommen, um die lange gelähmte Börsenaufsichtsbehörde wieder auf Trab zu bringen – jetzt möchte ihn mancher gerne wieder loswerden. Vor allem Donaldsons Ansichten über die Managergehälter sind vielen ein Dorn im Auge.

Donaldsons Name wird in dieser Woche häufig fallen, wenn sich die Lobbyisten in Washington drängeln. Bleibt zu hoffen, dass dann bei aller Politik das Tanzvergnügen nicht ganz vergessen wird – sechs Bälle immerhin werden auf dem rutschigen Parkett in der Hauptstadt abgehalten.

© Wall Street Correspondents Inc.
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