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Alt 20-01-2005, 20:25   #135
Starlight
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Bushs zweite Amtseinführung lässt die Wall Street kalt

In Washington nichts Neues, so könnte die Bilanz nach der Inauguration von George W. Bush lauten: Nachdem Bush und sein Vize Dick Cheney ihre Amtseide abgelegt hatten, referierte der alte und neue Präsident kurz über die Agenda der nächsten vier Jahre – in denen sich augenscheinlich gar nichts ändern wird.

Viele Länder werden mit Schrecken sehen, dass „Nummer 43“ wohl noch bis 2008 am alten Kurs festhalten will. In einer Umfrage in 21 Ländern haben sich 60 Prozent der befragten bedorgt über die nächsten vier Bush-Jahre geäußert. Erste Stellungnahmen von Bush und Co. zum Iran und der sehr heimlich vollzogene Abbruch der Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak dürften dazu beigetragen haben.

Unter den Ländern, die Bushs zweiter Amtszeit am kritischsten gegenüberstehen, sind neben Deutschland und Frankreich auf der Irak-Verbündete Großbritannien und im weiteren Russland, China und Mexiko.

Allein in den USA hat sich der Protest gegen Bush beruhigt. Sicher, erst in der vergangenen Woche haben erneut 52 Prozent der von Gallup befragten Bürger den Irak-Krieg als falsch kritisiert, während sich nur noch eine Minderheit für den militärischen Einsatz ausgesprochen hat. Doch haben die Amerikaner weitgehend anerkannt, dass Bush – anders als noch vor vier Jahren – diesmal wirklich die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen konnte. Entsprechend verlief die (noch nicht abgeschlossene) Inaugurations-Zeremonie bislang ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Auch die Wall Street verhält sich ruhig. Auf den Fernsehschirmen am Parkett zeigen CNN und der zu General Electric gehörende Börsensender CNBC die Live-Bilder aus der Hauptstadt, doch schauen nur wenige Händler zu. Den Tageshandel bestimmen Ebay und Citigroup sowie der Ölpreis.

Dabei hätte die Wall Street durchaus Grund, sich über den Kurs der Regierung auszulassen. Denn schließlich wird nicht allein die Außenpolitik die Zukunft des Landes bestimen. Innenpolitisch steht Bush vor riesigen Problemen, und die zuletzt häufig diskutierten Reformen in der Sozialversicherung sind nur ein Teil davon.

Auffällig an der Amtseinführungsrede des Präsidenten war nun, dass der weiterhin an einer extrem beschönigenden Darstellung der Lage festzuhalten scheint. Sicher, die Rede am Donnerstagmittag war – in Länge und Inhalt – kein Bericht zur Lage der Nation, wie er im nächsten Monat ansteht. Doch hätte Bush nicht ohne Not an den Halbwahrheiten über die konjunkturelle Lage im Land und die neue „Eigentümer“-Rolle der Amerikaner festhalten müssen.

Denn der durchschnittliche Amerikaner besitzt unter Bush nicht mehr als unter früheren Präsidenten. Das wird umso deutlicher am Beispiel des Immobilienmarktes, der als Boom-Indikator der vom Präsidenten am liebsten zitierte Konjunkturindex geworden ist. Mehr Menschen denn je besäßen dieser Tage ihr eigenes Haus, lobt Bush immer wieder. Doch das ist nur zum Teil wahr. Nie zuvor nämlich gehörte den Amerikanern ein so kleiner Teil an ihrem Haus wie zurzeit.

Die Amerikaner sind verschuldet bis zum Hals. Immer mehr Konsumausgaben – die nicht von irgendwo so stark zulegen konnten – gehen auf Kredit. Wo Kreditkarten gesperrt werden beleihen Jane und John Doe ihr Haus. Die Zahl der persönlichen Konkurse hat ein Rekordniveau erreicht. Ändert sich dieser Politik nicht auf absehbare Zeit, dann wird der US-Verbraucher bald unter der Last von Schulden und Zinsen zusammenbrechen.

Mitten in der Ertragssaison muss die Wall Street indes vielleicht nicht reagieren, weil sich die allgemeine Entwicklung in einigen Quartalszahlen niederschlägt – so beispielsweise im Automobil-, im Einzelhandels- und nicht zuletzt im Transportsektor. Diese Zahlen haben den Markt bereits bewegt und halten ihn weiter auf Trab. Die Feierlichheiten in Washington sind hingegen für eine dramatische Entwicklung nicht mehr als ein Symbol.

© Wall Street Correspondents Inc.
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