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Alt 23-02-2005, 20:14   #171
Starlight
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Lunch-Geschäfte in New York

Wenn an der Wall Street der kleine Hunger kommt, muss es meist sehr schnell gehen. Auf dem Parkett ist Zeit bares Geld, und so hauen sich die meisten Trader zu Mittag nur schnell ein Stück Pizza oder ein Sandwich zwischen die Kiemen. Die lokalen Delis wissen um die Hektik ihrer Kundschaft und schicken Lieferanten deshalb gleich bis an den Hintereingang der Börse.

Dem Gourmet mag es ein Graus sein, was sich alltäglich im Finanzviertel New Yorks abspielt. Da wird auf der Straße aus der Hand gegessen und nur manchmal mit Plastikbesteck, mal stehend zwischen den Türen oder – bei wärmerem Wetter – auf dem stählernen Durchfahrtsperren, die die Polizei nach dem 11. September 2001 aufgestellt hat. Von einer Ess-Kultur ist weit und breit nichts zu sehen.

Doch machen die Trader auf dem Parkett nur einen Teil der New Yorker Lunch-Kommune aus. Den anderen Teil bilden die Chefs, die ein Mittagessen weniger zur Befriedigung eines Hungergefühls als zum Abschluss von Geschäften nutzen. Seit einigen Monaten wird diese Gruppe wieder größer, wie die New Yorker Restaurants dieser Tage erfreut berichtet haben.

Mauro Maccioni, einer der Besitzer des New Yorker Nobel-Restaurants „Le Cirque“, denkt nur ungern an die letzten drei Jahre zurück. Die schwache Konjunktur und die Kostensenkungen bei vielen Unternehmen hatten nach Einbruch der Rezession dazu geführt, dass sich immer weniger Top-Manager bei ihm blicken ließen. Meistens habe man zur Mittagszeit gerade einmal vier oder fünf Flaschen Wein verkaufen können.

„Gestern waren es zwanzig“, freut sich Maccioni nun. Unterm Strich seien die Lunch-Umsätze um 20 Prozent gestiegen. Ein Wachstum von bis zu 35 Prozent für das laufende Jahr hält er durchaus für möglich.

Maccionis Zahlen sind durchaus branchentypisch: 53 Prozent der New Yorker Gastronomen hat im letzten Jahr steigende Umsätze und Gewinne verbucht, darunter sind die Schuppen sämtlicher Edelköche von Jean-Georges Vongerichten bis zu Eric Ripert.

Der Trend dürfte anhalten, denn die Restaurants bekommen aller Wahscheinlichkeit nach auch noch Unterstützung aus Washington. Im Rahmen der Steuerreform, über die der Kongress dieser Tage brütet, soll der steuerfreie Anteil am Geschäftsessen von 50 auf 80 Prozent steigen.

Für amerikanische Unternehmen ist das ein schöner Batzen Geld, und vor allem kleine und mittelständische Betriebe könnten wieder mehr Entscheidungen aus dem ungemütlichen Konferenzraum in ein schönes Lokal verlegen. Lee Culpepper, Vizepräsident des Branchenverbandes der Restaurants, rechnet mit drastischen Auswirkungen: Für die Branche könne 2005 zum stärksten Jahr des noch jungen Jahrtausends werden, bereits 2004 habe ja die Erwartungen übertroffen. Am Arbeitsmarkt dürfte das für bis zu 200 000 neue Stellen sorgen.

© Wall Street Correspondents Inc.
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