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Alt 03-03-2005, 20:31   #177
Starlight
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Demokratie für Corporate America!

Dank des uneigennützigen Einsatzes von Präsident George W. Bush tragen die Amerikaner bekanntlich die Demokratie in alle Welt. Im eigenen Land hapert es hingegen noch mit dem Mitbestimmungsrecht aller Beteiligten, vor allem in Corporate America. Doch das soll sich dieser Tage ändern.

In den nächsten Wochen stehen bei einigen der größten Unternehmen Amerikas die jährlichen Generalversammlungen an, und Aktionäre – auch die kleinen – kämpfen immer mehr um ein Mitspracherecht. Immerhin gehört ihnen ein Teil des Unternehmens, und nicht immer können Investoren mit den Entscheidungen des Management einfach so zufrieden sein. Vor allem die fürstliche Entlohnung der Vorstände oder schon deren Berufung in das Führungsgremium sorgen für Unmut.

Da greift eine neue Regel, die die amerikanische Börsenaufsicht SEC im letzten Monat verabschiedet hat. Anleger – im fraglichen Fall die Investoren der Citigroup – haben danach ein Anrecht auf freie Vorstandswahlen. Sie dürfen Kandidaten nominieren, die dann im Mehrheitsverfahren gewählt werden.

Was sich eigentlich ganz selbstverständlich anhört, war bislang nicht mehr als ein demokratischer Traum für die Anleger. Bislang nämlich hatte das Unternehmen stets eine ganze Reihe Aufsichtsratsmitglieder nominiert – üblicherweise genau so viele wie Sitze zu besetzen waren –, und diese wurden en gros gewählt. Wer mindestens eine Stimme hatte, dem war damit auch einer der hoch dotierten Sitze im Gremium sicher. Gegenkandidaten gab es üblicherweise nicht.

Nun müssen sich die Citigroup-Führer, und mit ihnen die Amtskollegen von etwa achtzig anderen Unternehmen aus dem S&P-500-Index, warm anziehen. Erstmals seit vielen Jahren dürfen die Investoren eigene Kandidaten ins Rennen schicken, und die können durchaus im Gremium landen. Das dürfte vor allem auf Kosten einiger Top-Manager gehen, die mit Interessenskonflikten in verschiedenen Aufsichtsräten sitzen.

In Unternehmen wie Ford und Toys R Us oder bei der Pepsi Bottling Group werden die heftigsten Diskussionen erwartet, weiter betroffen sind Merrill Lynch, ChevronTexaco und Motorola. In Panik werden die dortigen Aufsichtsräte indes nicht verfallen. Bis alle angestrebten Reformen verabschiedet und genügend Stimmen im Kreis der Aktionäre gesammelt sind, können noch zwei Jahre vergehen.

Wichtigstes Anliegen der Aktionäre nach der Besetzung der Gremium wird die Vergütung der Mitglieder sein. Zahlreiche Anleger fordern ein leistungsbezogenes System bei der Zuteilung von Optionen und Boni. Im vergangenen Jahr landeten jedoch nur fünf entsprechende Anträge auf den Tagesordnungen, die nach 20 Prozent im Vorjahr immerhin 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten. Diesmal sollen es mehr Anträge werden, und manch einer könnte eine Mehrheit finden.

Bestes Beispiel für den Strukturwandel ist Lucent. Bei der Versammlung vor zwei Wochen stimmten 48 Prozent der Anteilseigner für eine leistungsbezogene Bezahlung der Chefin Pat Russo. Das war zwar wieder keine Mehrheit, doch hatten sich im Vorjahr nur 20 Prozent der Investoren hinter das revolutionäre Konzept gestellt.

Ebenfalls auf der Tagesordnung mancher Konferenz dürfte der Bereich „Mergers & Acquisitions“ stehen. Denn nicht alle Aktionäre können so zufrieden sein wie beispielsweise die des Einzelhändlers Kmart, die allgemein hinter der Übernahme des Konkurrenten Sears stehen. Bei Qwest Communications fragen sich manche Investoren, wie sinnvoll der Milliarden-Poker um den bereits mit Verizon verlobten Konkurrenten MCI ist.

Dass sich Qwest nach Einspruch der Aktionäre aus den andauernden Verhandlungen mit MCI zurückzieht ist zwar ebenso unwahrscheinlich wie ein Szenario, nachdem sich die CEOs der großen amerikanischen Unternehmen für ihre Kohle plötzlich mächtig ins Zeug legen müssen. Doch könnte mit den kommenden Aktionärsversammlungen zumindest ein Umdenken eingeleitet werden, das über die nächsten Jahre zu mehr Demokratie in Corporate America führen wird.

Ob das im Sinne von George W. Bush ist, bleibt fraglich.

© Wall Street Correspondents Inc.
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