Freitag, den 22.04.05
Der Markt fürchtet sich
Ein Mann kommt zum Arzt: „Herr Doktor, mir geht es so schlecht. Ich habe bestimmt viel zu hohen Blutdruck:“ Der Arzt schaut ihn an. „Sie scheinen mir eher einen zu niedrigen Blutdruck zu haben.“
„Ist ja auch egal“, antwortet der Mann, „Hauptsache es erklärt, dass ich mich so schlecht fühle.“
Der Markt fürchtet, dass die Zinsen weiter steigen. Der Markt fürchtet, dass die Konjunktur weiter schwächelt. Der Markt fürchtet, dass wir in den USA Inflation haben. Der Markt fürchtet, dass wir in Europa Deflation haben. Der Markt fürchtet, dass die Aufweichung des Stabilitätspaktes negative Auswirkungen hat. Der Markt fürchtet die Diskussion um Mindestlöhne und die Abgrenzung des Arbeitsmarktes. Die Marktteilnehmer fürchten, dass die Kurse weiter sinken werden. Die Marktteilnehmer fürchten, dass auch die guten Unternehmensgewinne daran nichts ändern. Die Marktteilnehmer fürchten, dass auch ein sinkender Ölpreis das negative Szenario nicht tangiert.
Am meisten fürchten sich die Marktteilnehmer vor ihrer eigenen Furcht. Und ich fürchte, es ist immer der Ausgangspunkt der Suche, der bereits festlegt, was letztlich gefunden werden kann. Ich fürchte, wer Furcht sucht, wird auch Furcht finden. Das ist das Fürchterliche an der fürchterlichen gegenwärtigen Marktsituation. Doch wenn das Fürchterliche dann wieder vorbei ist, werden die sich Fürchtenden erst recht das Fürchten lernen. Es ist schon eine fürchterliche Welt, in der wir leben. So fürchterlich hoffnungslos. So hoffnungslos, dass das einzig Sichere die Furcht zu sein scheint. Doch nicht einmal das ist sicher. Ist das nicht fürchterlich?
berndniquet@t-online.de
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