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Alt 06-06-2005, 17:28   #2
Graf Zahl
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Steigende Besorgnis
Weniger für den Confederations Cup als für die WM gilt das Sicherheitskonzept als gigantische Herausforderung

Der Slogan der Powerpointfolie über dem Schreibtisch von Helmut Spahn ist einprägsam. "So viel Sicherheit wie nötig, so wenig Einschränkung wie möglich" steht auf dem Blatt, das der 44-Jährige an jedem Arbeitstag im Blick hat. "Ein Leitspruch", versichert Spahn, seit September 2003 als Abteilungsleiter Sicherheit beim Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eingesetzt.

In seinem Zimmer 107, erste Etage der OK-Räumlichkeiten im Frankfurter Stadtwald, laufen die Fäden in Fragen Sicherheit zusammen. Fünf Mitarbeiter kümmern sich um das heikelste Thema der WM; alles eng abgestimmt mit Polizeibehörden und Innenministerium, Rettungsdiensten und Feuerwehr, aber auch Fangruppierungen und -projekten. Wenn in neun Tagen in Frankfurt der Confederations Cup beginnt, dann wird auch Spahn mit Argusaugen wachen. "Das ist auch für uns ein Testlauf." Es sollen die Sicherheitsanforderungen gelten, die auch bei der WM 2006 greifen: Ein äußerer und ein innerer Kontrollring ist um die Spielstätten gezogen, der Zuschauer wird vor dem Einlass auf seinen Platz allein dreimal kontrolliert, das Ticket elektronisch gecheckt, Rucksäcke oder Taschen geprüft. "Sicherheitsmäßig sind wir gut aufgestellt", sagt der für die Sicherheit im Stadion zuständige Spahn. Man wolle keinen Hochsicherheitstrakt schaffen, wohl aber "auf alles vorbereitet sein."

Eingesetzt sind in den Arenen meist jene Security-Organisationen, die auch in der Bundesliga Dienst tun, "in Qualität und Quantität verstärkt", wie Spahn anfügt. 500 Ordnungskräfte gelten als die Regel, bei WM-Spielen können zeitweise auch mehr als 1000 Bedienstete im Einsatz sein. Dazu gesellt sich eine ähnliche Zahl Polizeikräfte.

Sicherheitsprobleme beim Probelauf Confed-Cup erwartet der OK-Abteilungsleiter Spahn, bis zum 31. August 2006 von seinem Job als Polizeibeamter des Landes Hessen beurlaubt, nicht wirklich. "98 Prozent der Besucher kommen aus Deutschland. Dieses Ereignis erreicht nicht die internationale Dimension der WM." Friedlich und stimmungsvoll soll es zugehen, mit dem Aufmarsch von (ausländischen) Hooligans wird allgemein nicht gerechnet. Und doch hat beispielsweise Sachsens Polizei 79 bekannte Störer ins Visier genommen; Meldeauflagen erlassen und so genannte Gefährdungsansprachen versandt, was nichts anderes bedeutet, als dass ein Brief zugestellt wird, in dem der Adressat aufgefordert wird, Gewalt zu unterlassen. Ob's hilft?

Seit dem 26. März dieses Jahres herrscht eine gewisse Alarmbereitschaft. Es war der Tag, als deutsche Chaoten im slowenischen Celje wüteten und ein Länderspiel als Plattform nutzten. Die Vorfälle sorgten nachhaltig für Schockwirkung - noch auf dem DFB-Bundestag in Mainz Ende April titulierte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder in der Eröffnungsrede die Täter von Celje als Abschaum. "Ich habe noch nie so hasserfüllte Gesichter und so blinde Zerstörungswut erlebt." Nach seinem Dafürhalten ist die Polizei aufgefordert, "repressiv und präventiv einzugreifen, damit das Ansehen des Fußballs nicht leidet."

"Das, was in Slowenien passiert ist, wird in Deutschland nicht passieren", versichert OK-Chef Franz Beckenbauer. "Da müssen alle mithelfen, vor allem die Nachbarländer. Die Slowenen haben die Sache unterschätzt." Beckenbauer setzt wie Mayer-Vorfelder sein Zutrauen in die harte Hand des Bundesinnenministers. Beckenbauer: "Otto Schily ist überzeugt, dass man die Sicherheit garantieren kann - so weit das eben möglich ist." Schily selbst betrachtet sein Sicherheitskonzept als "eine gigantische Aufgabe". Sein erklärtes Ziel: Die Stadien zu den sichersten Orten in ganz Deutschland zu machen.

Herrscht in seinem Haus eine übertriebene Sorge? Vor einem verschwindend geringen Teil der Krawallmacher in der großen Gruppe der Fußballfans? Die Zentrale Informationstelle Sporteinsätze (ZIS) des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen verfügt über eine genaue Auflistung derer, die im Umfeld des deutschen Fußballs zu den Störenfrieden zu rechnen sind. Erfasst sind 6480 Personen aus der Anhängerschaft beider Profiligen, die zur Gewalt neigen oder dazu entschlossen sind (siehe Infokasten rechts). Die Interessensgemeinschaft Pro-Fans geißelt dies als "unglaubwürdig" und schätzt diese Zahl als viel zu hoch ein. Dagegen wächst bei der ZIS, deren Mitarbeiterstab zur WM von gegenwärtig 13 auf 150 Mitarbeiter aufgestockt wird, die Sorge. Zumal die in ausländischen Dateien erfassten 10 000 Hooligans das Gefährdungspotenzial fürs nächste Jahr verstärken. "Die WM ist das größte organisatorische Projekt, das wir je hatten", sagt Andreas Morbach, der stellvertretende ZIS-Leiter, "wir wollen uns keine Blöße geben, es darf nichts schief gehen." Deshalb würden jetzt schon bei Bundesliga-Spielen potenzielle Gewalttäter beobachtet und von kundigen Polizisten angesprochen. "Wir wollen den Einzelnen aus der Anonymität reißen", erklärt Morbach die Präventionsstrategie.

Die Zahl der in seiner Dienststelle erfassten Strafverfahren und vorübergehenden Festnahmen im Zusammenhang mit dem Fußball ist seit Jahren ungefähr konstant - vereinfacht ausgedrückt, verursachen so genannte Fans in und an den Stadien pro Saison knapp 3000 Strafverfahren und mehr als 5000 Festnahmen (siehe Grafik). Die Bandbreite reicht vom Schwarzmarkthandel und Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz über Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung hin zu Raub und Diebstahl bis zu Körperverletzung und zum Tötungsdelikt. Am häufigsten treten Körperverletzung, Widerstand oder Sachbeschädigung auf. Die WM bietet eine Bühne, auf der weit Schlimmeres passieren könnte.

Der mit dem OK im engen Kontakt stehende DFB-Sicherheitsbeauftragte Alfred Sengle ist sich sicher, "dass es 2006 in den Stadien nicht zu Ausschreitungen wie in Celje kommen wird." Ihm schwebt eine gastfreundliche Atmosphäre und eine Event-Stimmung wie bei der EM 2004 in Portugal vor. "Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch dort Hooligans in den Badeorten ihr Unwesen trieben und die Regierung das Schengener Abkommen zeitweise außer Kraft gesetzt hat. Der Zuschauer hat sich sicher zu fühlen - so sind alle Sicherheitsfragen zu beantworten." Das Dumme ist nur, dass sich noch niemand sicher ist, ob die Antworten richtig sind. hel/geo

Frankfurter Rundschau
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