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Alt 07-06-2005, 20:31   #411
621Paul
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Der perfekte Trade !



von Jochen Steffens

Wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm. So verhalten sich die Trader in meiner Umgebung: Wie lange geht die Konsolidierung, wann kann man wieder einsteigen? Soll man short gehen? Soll man nicht jetzt schon einsteigen, sonst verpasst man nachher noch den Aufwärtsmove. Geht es wirklich weiter, bis wohin geht es noch, wann geht es weiter? Was wird Old Greeny machen? Wird er nun ein Aussetzten der Zinserhöhungen ankündigen? Wo geht der Euro hin, steigt oder fällt er? Ist das nur eine Gegenbewegung gerade, oder ist das schon der Trendwechsel im Euro? Warum ist Silber so stark, kommt jetzt die Goldrally? Wird der Ölpreis die Märkte in die Knie zwingen?

Börse: Keiner weiß Bescheid, aber alle machen mit ...

Eigentlich versuchen die Trader nur, die Schmerzen zu minimieren. Den Schmerz, eingestiegen zu sein, in der Hoffnung, dass die Kurse weiter steigen, dass die Rally weiter geht, um dann mitverfolgen zu müssen, wie die Kurse fallen und fallen, in der Gewissheit, wieder einmal das Hoch erwischt zu haben.

Den Schmerz, der einen ereilt, weil man zu vorsichtig war und nun mit ansehen muss, wie eine Rally immer weiter und weiter geht und man nicht dabei ist.

Der Schmerz, zu früh ausgestiegen, zu früh eingestiegen, zu spät eingestiegen, zu spät ausgestiegen zu sein. Der Stop-Kurs, der im Tief gezogen wurde und die alles entscheidende Frage: Wie erklärt man es seiner Ehefrau ...

Hinter diesem Wahnsinn steckt Methode, eine kleine Neurose, die all diese Unsicherheit und Schmerzen bewirkt: Der perfektionistische Kontrollwahn.

Wann gibst du endlich auf?

Ich frage Trader immer etwas provokativ, wenn Sie mir in aller Ausführlichkeit davon berichten, was sie alles falsch gemacht haben: Wann gibst du endlich auf?

Sie verstehen das zunächst als Aufforderung, mit der Börse aufzuhören, erschreckte Gesichter sind zumeist die Folge. So viele Schmerzen die Börse auch schon bereitet hat, aufhören? Niemals!

Ich meine jedoch eigentlich etwas anderes: Im kurzfristigen Bereich ist die Börse nicht zu kontrollieren. Man wird immer mehr "falsch" als "richtig" machen. Es geht nicht um den perfekten Trade! Es gibt nicht mal einen perfekten Trade! Es geht lediglich darum, unter dem Strich nachher mehr Geld auf dem Konto zu haben als vorher. Dabei ist es völlig unerheblich, wie viele Fehler man gemacht hat. Börse ist niemals beherrschbar. Es gibt keine Schmerzen, es gibt auch keine Fehler.

Sie können keine Fehler machen!

Das ist vielleicht einer der wichtigsten Erkenntnisse für einen kurzfristigen Trader. Die Börse kann sich lediglich anders entwickeln, als Sie gedacht haben, das ist alles und das wird sie verdammt oft tun.

Darum bleibt Ihnen im kurzfristigen Bereich auch nichts anderes übrig, als sich in den Wind zu stellen und sich tragen zu lassen, um so Ihre Gewinn-Wahrscheinlichkeiten leicht zu erhöhen. Der Wind, der Trend, ist Ihr Freund. Das ist alles – es geht immer und ausschließlich darum, die Gewinnwahrscheinlichkeiten um wenige Prozentpunkte zu erhöhen, um letzten Endes mehr Geld zu gewinnen, als zu verlieren.

Gegen den Trend?

Warum wollen so viele Trader ein Top erwischen, um genau dort short zu gehen? Warum wollen sie genau im Tief einsteigen? Warum ärgern sie sich, wenn sie weit vor dem Hoch einen Gewinn mitgenommen haben, was ist dabei, bei einem Stop ausgestiegen zu sein, auch wenn es das Tief war?

Dieser "perfektionistische Kontrollwahn", alles perfekt zu machen, um damit zu beweisen, dass man die Börse kontrollieren kann, macht blind für das, was wirklich passiert. Und das, was passiert, zeigt die Börse ihren Jüngern, Tag für Tag, unablässig, liebevoll und sehr anschaulich.

Die Märkte steigen, die Konsolidierungen sind schwach, warum sollte man also short gehen, gegen den Trend, gegen den Markt? Nur um einmal das Hoch erwischt zu haben (und viele Male ausgestoppt zu werden)? Warum sollte man seine Gewinnwahrscheinlichkeit so dramatisch verringern? Man geht long und kauft, solange die Börsen steigen, nach und nach, so weiter sie steigen.

Positionen, die im Plus sind, verkauft man irgendwann, um dann in weitere einzusteigen. Wenn Sie jedoch mit einer angedachten Marschrichtung irgendwann zu viel Minus machen, müssen Sie ihre Meinung zum Markt ändern, egal wie überzeugend die Argumente auch waren. Der Markt zeigt genau, was er will.

Sie können ein oder zwei tiefe Kauflimits in den Markt legen, werden Sie erreicht, ist es gut, wenn nicht, dann sucht man sich neue Gelegenheiten, oder steigt vorsichtig in weiter steigende Märkte ein. Wenn der aktuelle Anstieg in eine wirkliche Rally mündet, dann kann sie sehr weit gehen, dann bleibt sehr viel Zeit seine Positionen auszubauen.

Und ich möchte darauf hin weisen, trotz dieses Anstiegs, ist immer noch nicht wirklich viel passiert. Die Bewegungen des Dax in den ersten sechs Monaten dieses Jahres, waren halb so stark wie die schon schwachen Bewegungen des Jahres 2004 in den ersten sechs Monaten. Und ein Fünftel so stark wie in den Jahren davor!


Gruß
621Paul

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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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