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Alt 21-12-2005, 20:31   #388
Starlight
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Ein Streik und seine Folgen

Weihnachts-Shopping an der Fifth Avenue, der verschneite Central Park, der Christbaum am Rockefeller Center, die Aussicht vom Empire State Building auf die Metropole im Winter… New York zieht im Dezember Touristen aus aller Welt an. Doch in dieser Woche ist alles anders: Der Nahverkehrs-Streik behindert auch die Besucher.

Der Tourismus ist für New York ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Immerhin 40 Millionen Besucher aus aller Welt fielen im letzten Jahr über die Weltstadt ein, sie ließen 24 Milliarden Dollar zurück, verteilt auh Hotels und Restaurants, die Theater am Broadway und geführte Stadtrundfahrten. Letztere stehen auch dieser Tage hoch im Kurs, denn die roten Doppeldeckerbusse der Marketingfirma NYC & Company werden ja nicht bestreikt und dienen längst nicht nur Touristen, sondern auch dem ein oder anderen verzweifelten Pendler als gute Alternative zum kilometerlangen Fußmarsch.

Überhaupt tut die Tourismus-Behörde alles, um den Streik vot Weihnachten nicht ganz so katastrophal erscheinen zu lassen. Der Streik biete Touristen eine Chance, die New Yorker in einer außergewöhnlichen Situation zu beobachten und zu sehen, wie sie die Krise meistern, wirbt Cristyne Nicholas von NYC & Company. „Viele turnt das geradezu an“, meint sie.

Und noch einen Sektor findet die New Yorker Touri-Chefin, der vom Streik vielleicht profitiert. Einige Hotels haben spezielle Pendler-Deals angeboten. Zahlreiche höhere Angestellte, die sonst Probleme hätten, aus New Jersey oder Connecticut ins Büro zu kommen, mieten sich für ein paar Tage ein, zum Beispiel im Westin Hotel am Times Square, wo man sich über erste Besucherzahlen freut.

Ein paar Gewinner täuschen jedoch nicht über die wahren Kosten hinweg, die der Streik der U-Bahnen und Busse in New York kostet. Zwischen 440 und 660 Millionen Dollar könne man pro Tag abschreiben, schätzt Bürgermeister Michael Bloomberg. In seiner Rechnung enthalten sind entgangene Gewinne für Unternehmen, die mit weniger Angestellten weniger produktiv sind. Oder die seit Dienstag gar nicht mehr geöffnet sind, weil die Mitarbeiter nicht kommen könne und die Kundschaft ausbleibt. Viele kleine Läden und Restaurants lassen die Türen geschlossen.

Wenn der Streik länger andauert, könnte das für manchen kleinen Unternehmer dramatische Folgen haben. Bürgermeister Bloomberg rechnet mit einigen Konkursen, wo Geschäfte für einige Tage geschlossen bleiben aber hohe Mieten und Nebenkosten weitergezahlt werden müssen. Jeder Konkurs wiederum könnte Arbeitsplätze vernichten.

Ganz so dramatisch sieht es bei den großen Kaufhäusern nicht aus. Doch sind es die, über deren Verluste man später am meisten lesen – und nachrechnen – wird. Der Nobel-Juwelier Tiffany’, das Kaufhaus Saks und die beiden Federated-Töchter Macy’s und Bloomingdale’s machen bis zu 10 Prozent ihrer US-weiten Umsätze in den berühmten Läden in Manhattan. In denen herrscht zur Zeit gähnende Leere, vor allem weil Amerikaner aus dem weiteren Einzugsgebiet von New York auf ihre vorweihnachtlichen Tages-Ausflüge verzichten und ihre Einkäufe lieber in den Malls zuhause erledigen.

Michael Niemira vom Branchendienst der Kaufhäuser rechnet damit, dass manches Unternehmen nach dem Streik die Quartalsprognosen nach unten revidieren dürfte. Branchenweit allerdings dürfte sich nicht viel ändern, da Kunden ihr Geld zwar nicht in die New Yorker Läden, sondern eben woanders hin tragen dürften. Auch der Online-Handel dürfte wett machen, was der Branche durch den schwächeren Kundenstrom in den Geschäften entgeht.

Wie teuer der Streik die Stadt New York letztlich zu stehen kommt, wird von der Dauer abhängen. Am Mittwochmittag gehen die Verhandlungen der Nahverkehrs-Gewerkschaft TWU mit dem Arbeitgeber MTA weiter. Eine Einigung zeichnet sich noch nicht ab, obwohl die MTA bereits einem Drei-Jahres-Vertrag mit Gehaltserhöhungen von bis zu vier Prozent zugestimmt hat. Lediglich an der Selbstbeteiligung an der Krankenkasse für Neuangestellte und an der Erhöhung des Rentenalters auf 62 Jahre will man festhalten.

Dagegen erscheinen die Forderungen der Gewerkschaft unverschämt. Man fordert Gehatserhöhungen von bis zu 8 Prozent, was kaum ein Mittelständler in der Stadt nachvollziehen kann. Zumal die Arbeiter unter Grund und in den städtischen Bussen ohnehin durchschnittlich rund 60 000 Dollar verdienen und damit keineswegs so schlecht dastehen wie allgemein befürchtet worden war.

Nach jüngstem Stand wäre es an der Gewerkschaft, den Streik zu beenden. Und eine Millionenstrafe zu zahlen, zu der ein New Yorker Gericht die TWU am Dienstag verurteilt hat, denn die hat die Arbeit trotz eines gesetzlichen Streikverbots für Angestellte im öffentlichen Dienst niedergelegt. Ob und wann sich die TWU besinnt, wird auch über die Weihnachtsstimmung in New York bestimen, wo manchem Pendler zur Zeit abends weniger nach Baumschmücken zumute ist als nach einem warmen Fußbad.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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