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Alt 15-01-2006, 19:57   #706
Benjamin
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Beim Öl sind wohl derzeit einmal die bleibend hohe Nachfrage sowie bereits der abwertende Dollar (siehe meine Elliott-Analyse zu EUR/USD) + die immer ungemütlichere Iran-Geschichte + "Sonstiges" wesentlich. Ich rechne mit Ölpreise in der Region 60 - 100 $ für 2006/2007.

Meine aktuelle Spekulation betr. Iran ist, dass der Westen wohl wird hinnehmen müssen, dass der Iran eine Bombe entwickeln und auch Raketen haben wird, um später prinzipiell Atombomben im Ausland einsetzen zu können. Alles nur eine iranische Politik der Abschreckung - wenn alles gut läuft.

Die Folge dürfte sein, dass der Nahe Osten zu einem Minenfeld für die USA-Politik (im Irak) werden wird. Alle westliche Welt wird "den Spinner im Iran" mit Argusaugen und hoher Nervosität beäugen und laufend irgendwelche Diplomatie aktivieren, um die Gemüter blos ruhig zu halten.

Vermutlich die größte Gefahr eines nuklear gerüsteten Irans ist weniger die iranische Regierung + Generalität, sondern die denkbare Möglichkeit, dass dort evtl. nukleares Material - gegen den Willen der politisch-militärischen Entscheider - entwendet werden könnte, um damit schmutzige Terrorbomben zu bauen. Wie diebstahl- bzw. betrugssicher werden iranische Bestände an nuklearem Material später einmal sein?

Diese "akzeptierende Sichtweise" setzt voraus, dass im Iran rational denkende Entscheider sitzen, die Kosten-Nutzen-Abwägungen in einer "materiellen" Denkweise durchführen, letztlich orientiert am Wohl des ganzen eigenen Volkes. Falls diese Annahme jedoch falsch sein sollte, weil die dortigen Entscheider fanatische Überlegungen anstellen - ohne Rücksicht auf Verluste - dann wären die mentalen Schleusen für die Phantasie geöffnet: Alles wäre möglich.

Die Staatengemeinschaft wird voraussichtlich solange von einem letztlich doch "rationalen" Iran ausgehen, bis das Gegenteil zwingend zur Kenntnis genommen werden müßte. Also für die anstehenden vielen Monate ein hoher Ölpreis - aber keine militärische Gewalt.

Denn erst falls der Westen irgendwann davon ausgehen müßte, dass Iran nicht nur in irgend welchen Reden und Interviews (um die Massen im eigenen Land für die Politik der Entscheider einzunehmen, und um Warnsignale bzw. Imponierrituale an den Westen abzusenden) fanatisches Zeug absondert, sondern tatsächlich real fanatische Ziele strategisch anstrebt, die andere Staaten bedrohen und die auch durch ausgiebige Diplomatie nicht korrigierbar sind, dann erst wäre der Westen tatsächlich gezwungen, präventiv und vernichtend militärisch zuzuschlagen. Dann erst gäbe es einen furchtbaren Krieg. Aber auch nur dann.

Der obige Absatz gilt im übrigen in ganz genau der gleichen Weise umgekehrte auch für so etwas religiös-patriotisch-missionarisch veranlagte Menschen im Westen - wie z. B. George Bush und Teile der republikanisch erzogenen US-Entscheider.

Aber ich glaube nicht, dass es tatsächlich zum Fanatismus im System der Entscheider kommen wird.

Der Westen (und umgekehrt wohl auch der Iran) hat nämlich die Hosen voll vor Angst vor den Konsequenzen einer wirklich handfesten (letztlich militärischen) Eskalation (siehe Ölpreis + Ölverfügbarkeit). Solange keine schmutzigen Bomben mit iranischem Plutonium u. Uran in New York und Washington explodieren, solange werden die USA keine "Koalition der Willigen" mehr hinbekommen. Der Westen hat kein Geld mehr für Krieg. Zum Glück!

Dafür werden wir wohl früher oder später mit einem neuen "Gleichgewicht des Schreckens" im Nahen Osten leben müssen.

Ein viel effizienteres und klügeres Gegenmittel des Westens gegen den Iran wäre im übrigen, mit der eigenen Ölabhängigkeit Schluss zu machen. Denn wenn irgendwann einmal (in leider wohl fernerer Zukunft) Öl ersetzt sein wird durch nachhaltige Energieumwandlungstechnologien, dann wird auch der Iran strategisch keine große Bedeutung mehr haben. Kein Entscheider interessiert sich doch heute z. B. für arme Habenichtse wie den Sudan, egal was dort für eine Regierung sitzt oder was diese tut, Menschenrechte hin oder her. Nur das Öl macht den Iran relevant.

Aber so weitsichtig und klug sind wir alle wohl nicht.

Ersatzweise werden uns aber die eigene Angst + die eigene Geldknappheit imo ausreichenden Schutz bieten vor einem Krieg im Nahen Osten.

Geändert von Benjamin (15-01-2006 um 20:11 Uhr)
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