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Alt 30-01-2006, 20:29   #407
Starlight
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Prozessauftakt: USA gegen Enron

Nicht dass in dieser Woche nicht genug los wäre. In Washington tagt die Notenbank und spricht der Präsident, in Wien debattiert die Opec, an der Wall Street endet ein volatiler Monat – und trotzdem blickt alles nach Houston, Texas. Dort beginnt an diesem Montag der Prozess gegen Ken Lay und Jeffrey Skilling, die ehemaligen Chefs von Enron.

Es ist nicht der erste Enron-Prozess. Bereits siebzehn Top-Manager sind seit dem Zusammenbruch des Energieriesen Ende 2001 verurteilt worden oder haben sich schuldig bekannt. Allein der Prozess gegen die beiden CEO, Firmengründer Kenneth Lay und seinen Nachfolger für sechs Monate, Jeff Skilling, ließ lange auf sich warten. Mehr als vier Jahre liegt der größte Wall-Street-Skandal aller Zeiten nun zurück. Man wartet gespannt auf den Tag der Abrechnung.

Um es vorweg zu nehmen: Gegen Jeff Skilling, der vor seiner Zeit als CEO schon Chef des operativen Geschäfts war, liegen 31 Anklagepunkte vor, gegen Ken Lay sind es 11 Punkte. Befindet das Gericht die Angeklagten in allen Punkten für schuldig, dürften die Ex-Bosse für den Rest ihres Lebens hinter Gitter wandern.

Tausende amerikanischer Anleger und Enron-Mitarbeiter dürften das als große Genugtuung sehen. Denn sie blicken auf ein düsteres Kapitel zurück. Die meisten Geschädigten hatten bereits für General Electric gearbeitet, als dessen Ableger in Portland, Oregon, 1997 von Enron übernommen wurde. GE-Rentenpläne wurden in Enron-Pläne umgewandelt und fast ausschließlich in Enron-Aktien investiert. Als die Aktie im Herbst 2001 ihren Sturz begann, wurden die Mitarbeiterkonten eingefroren und Tausende mussten zusehen, wie sich ihre Ersparnisse in Luft auflösten. Sie alle dürften auf hohe Strafen für Lay und Skilling hoffen.

Doch genau das ist das Problem zum Prozessauftakt. Die Verteidigung hat zunächst beantragt, die Verhandlung zu verlegen – in Houston können Lay und Skilling keinen fairen Prozess erwarten. Das mag stimmen, immerhin haben allein in der texanischen Großstadt mindestens 4000 Einwohner Job und Altersvorsorge verloren. Doch anderswo sieht es nicht besser aus.

Ein großer Teil der Bevölkerung im westlichen Teil der USA steht Enron alles andere als neutral gegenüber. Während der Energiekrise nach der Deregulierung der Märkte zahlte so mancher Bürger Wucherpreise an Enron. Kalifornien traf es besonders hart. Enron verschickte Millionen von Kilowattstunden in andere Staaten und sorgte für eine künstliche Knappheit am Pazifik. In den Fabriken standen die Fließbänder still, in Krankenhäusern fielen Maschinen und in Labors die Kühlschränke aus. In Läden im ganzen Staat wurde es dunkel, Ampeln fielen aus. Derweil scherzte Skilling: Anders als Kalifornien sei die Titanic wenigstens hell erleuchtet untergegangen.

Einen Schaden von mehr als 10 Milliarden Dollar hat der Staat Kalifornien bis heute nur etwa zur Hälfte wieder gutgemacht.

Und dann wären da auch noch die Leute in Chicago. Auch sie dürften nicht gut auf Enron zu sprechen sein. Die Stadt war Hauptsitz des Bilanzprüfers Arthur Andersen, der nach dem Skandal um Enron gemeinsam mit dem Stromkonzern unterging. Die Verstrickung einzelner Mitarbeiter in den Enron-Betrug hatte die Glaubwürdigkeit der Agentur beschädigt, der sämtliche Kunden davon liefen. Arthur Andersen war bald pleite, und 28 000 Mitarbeiter standen auf der Straße.

Weitere Enron-Opfer finden sich an der Wall Street und in Konzernen im ganzen Land. Der Betrug beim Stromkonzern war es schließlich, der die Verabschiedung des Bilanzgesetzes Sarbanes-Oxley nach sich zog. Die verschärften Vorschriften für börsennotierte Unternehmen kosten Corporate America Millionen.

Nun haben Kenneth Lay und Jeffrey Skilling verfassungsmäßig ein Recht auf einen fairen Prozess mit unvoreingenommenen Geschworenen. Der ist ihnen in Houston nicht sicher. Anderswo aber auch nicht. Entsprechend lange wird es dauern, bis zunächst einmal die zwölfköpfige Jury steht. Wie lange sich der Prozess "USA vs. Lay/Skilling" hinziehen wird, steht ohnehin in den Sternen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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