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Alt 31-01-2006, 18:05   #409
Starlight
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Abschied von Alan Greenspan

Viel ist geschrieben worden über Alan Greenspan in den letzten Tagen. Wenn der scheidende Notenbank-Chef am Dienstagnachmittag die Federal Reserve in Washington, D.C. verlässt, dann geht eine Ära zu Ende. Die Greenspan-Jahre waren gute Jahre für die US-Konjunktur, doch wird der „Magier“ auch gerne überschätzt.

Es gibt kaum einen Experten heutzutage, der sich allzu kritisch über Alan Greenspan äußern bag. Der Kauz hat über anderthalb Jahrzehnte an der Spitze der Notenbank eine gottgleiche Aura aufgebaut, die ihm keiner streitig machen will. Zumal Greenspan es keineswegs leicht hatte, in seine nun über alle Kritik gestellte Position zu kommen.

Im Gegenteil: Als Greenspan 1987 sein Amt antrat, kommentierte der Wirtschaftsjournalist Jude Wanniski in der USA Today, er habe „nicht die notwendige Kompetenz, die Geschicke der Notenbank zu leiten“. Solche pauschale Kritik verbeitet sich heute natürlich, seine Kompetenz hat Greenspan ja lange genug bewiesen.

Denn die Bilanz seiner Amtszeit ist beeindruckend. Unter Greenspans Führung sah die US-Konjunktur die zwei längsten Wirtschaftsaufschwünge und die zwei mildesten Rezessionen ihrer Geschichte. Arbeitslosigkeit und Inflation waren in den zwanzig Jahren vor Greenspan auf deutlich höheren Niveaus. Der „Leidensindex“, der Inflation und Arbeitslosigkeit vereinfachend zusammenfasst, fiel während Greenspans Amtszeit auf durchschnittlich 8,6 Prozent zurück. Vorher, zwischen 1967 und 1987, hatte der Durchschnitt bei 13 Prozent gelegen.

Doch gibt es durchaus Punkte, in denen sich an der Allmacht von „Mr. G“ zweifeln lässt. Denn nicht alles, was man Greenspan heute zuschreibt, war auch dessen Verdienst. Gemessen am Inflationsverlauf, beispielsweise, kann die Performance aller großen Zentralbanken glänzen. Der Abwärtstrend bei der Inflation ist kein amerikanisches, sondern ein globales Phänomen. Bei den Verbraucherpeisen steht der US-Kerninflation von 2 Prozent ein Wert von 1,7 Prozent in den OSZE-Staaten gegenüber. So gesehen schnitt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht besser ab als alle anderen Industriestaaten.

Und auch dass die US-Konjunktur in den vergangenen 18 Jahren im internationalen Vergleich durchaus robuster arbeitete, liegt nicht unbedingt am Fed-Chef. Dass das reale Wirtschaftswachstum in den USA zwischen 1987 und 2004 jährlich 3,1 Prozent betrug, hinkten die Euro-Zone hingegen 2,3 Prozent und in Japan nur 2,1 Prozent, ist eher mit strukturellen Schwierigkeiten in anderen Staaten als mit der Zinspolitik zu erklären.

Das soll nicht heißen, dass Greenspan beliebig austauschbar gewesen wäre. Der scheidende Notenbanker hat es verstanden, nach Finanzschocks wie dem Platzen der Spekulationsblase aggressiv durchzugreifen und dadurch wirtschaftliche Schäden zu begrenzen. Durch seine manchmal verwirrenden, aber wohl durchdachten Äußerungen nahm er zudem häufig unnötige Volatilität aus dem Markt.

So hat Greenspan seine Verdienste, und die Wall Street wird ihn vermissen – zumindest kurzzeitig. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Börse meist negativ auf einen Führungswechsel in der Notenbank reagiert hat. Auch die Stab-Übergabe an Ben Bernanke könnte den Markt zunächst einmal belasten, obwohl dessen Qualifikation für den Job außer Frage steht.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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