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Alt 28-02-2006, 18:27   #430
Starlight
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Olympia in der Fernseh-Krise

Dabei sein ist alles, lautet das olympische Motto. Das olympische Problem heißt: Es sind nicht allzu viele dabei. Wenige Tage nach Ende der Spiele in Turin ziehen amerikanische Fernsehsender und Sponsoren Bilanz, und man ist nicht zufrieden. Die Spiele scheinen viel von ihrem früheren Reiz verloren und kaum mehr Zuschauer gefunden zu haben.

Die Zahlen, die der Olympia-Sender NBC für die letzten zwei Wochen vorgelegt hat, sind erschütternd. Verglichen mit den Winterspielen vor vier Jahren sind die Einschaltquoten um 33 Prozent zurückgegangen. Zwar hatte man damals Heimvorteil mit den Spielen in Salt Lake City. Doch liegt man nach Turin auch um satte 20 Prozent unter den Quoten für Nagano 1998.

Olympia hat ein Image-Problem. „Die Spiele sind nicht mehr Tagesgespräch“, hat die Trendforscherin Irma Zandl beobachtet. „Die Winterolympiade hat keine Seele mehr.“

Das klingt umso erschütternder als sich vor allem die Amerikaner im Vorfeld redlich bemüht hatten. Wohl wissend, dass John and Jane Dow nicht aus Spaß am fairen Wettstreit einschalten, sondern um die Landsleute gewinnen zu sehen, baute man Superstars auf. Dass die gold-verdächtigen Eislaufsternchen aber entweder verletzt abreisten (Michele Kwan) oder stürzten (Sasha Cohen) half ebenso wenig wie der Komplett-Ausfall von auf Ski- und Party-As Bode Miller oder die Niederlage der Eishockey-Herren im Halbfinale.

Doch ob die Sportler punkten oder nicht, dürfte allein für die Fans wichtig sein. Für die Unternehmen, die Millionen in die Winterolympiade investiert haben, sind schwache Leistungen keine Entschuldigung für schlechte Quoten. NBC, die Fernsehtochter von General Electric, hat für die Olympiarechte von 2004 bis 2008 2,3 Milliarden Dollar gezahlt. Hauptsponsoren wie McDonald´s, Coca-Cola und Visa waren mit jeweils 50 Millionen Dollar beteiligt – da müssen Resultate her.

Da mag NBC-Sportchef Dick Ebersol lange besänftigen, die Olympiade verliere auch nicht mehr Zuschauer „als andere Glamour-Events wie Oscars oder Grammys“, letztlich hat der Sender keine Wahl: Die Olympia-Strategie muss geändert werden, um das Interesse wach zu halten. Erste Entwürfe lassen aber Zweifel daran aufkommen, ob die Rettung der Spiele gelingt. Denn neben wenigen guten Ideen finden sich einige, die ganz schnell nach hinten losgehen könnten:

So schlägt der auf Business-Events spezialisierte Produzent David Adler vor, die Spiele künftig wie Reality-TV aufzuziehen. Sportler sollten zur Beichte gebeten werden, wie es Zuschauer aus oder „The Bachelor“ kennen. Auch könnten die Athleten Mini-Kameras in der Mütze haben, während versteckte Kameras nächtliche Aktivitäten im Olympischen Dorf aufzeichnen. „Big Brother“ bei Olympia? In einer ersten Umfrage beim Internet-Portal AOL sprechen sich 88 Prozent gegen solchen Quatsch aus.

Ebenfalls aus Reality-Shows kommt die Idee von Fernsehproduzentin Catherine Muller. Wie bei den Talent-Shows sollten Zuschauer bei Telefon und Text-Message abstimmen und Ergebnisse beeinflussen können. Beim Eiskunstlauf hätten zwar auch die Preisrichter noch mitzureden, das „heißeste Paar der Olympiade“ könnten Fans aber wohl selbst ermitteln. Reality-Check: 84 Prozent der Befragten halten von dieser Idee nichts.

Andere programmatische Änderungen könnten durchaus zu höheren Quoten führen und würden auch dem Olympischen Geist nicht widersprechen. Dass bei Zeit-basierten Wettkämpfen wie Eisschnelllauf die besten drei in einem Final-Lauf direkt gegeneinander antreten und die Medaillen unter sich ausmachen müssten, könnte 62 Prozent zum Einschalten verleiten.

Mehr Musik und weniger Moderation könnte immerhin etwa der Hälfte der Amerikaner die Spiele interessanter machen. Mehrheitlich sprechen sich die Befragten aber gegen eine zu arge Modernisierung aus: Aus Olympia sollen keine X-Games werden, nach Snowboarding dürften damit nicht allzu viele neue Trendsportarten folgen.

Größte Enttäuschung für seriöse Trendforscher dürfte sein, dass sich neue Fernsehgewohnheiten scheinbar nicht nutzen lassen. Gemäß dem Trend schlägt der Medienprofessor Sreenath Sreenivasan von Columbia University vor, die Spiele auch im Handy-Format zu übertragen und kostenpflichtige Pakete für einzelne Sportler oder Disziplinen anzubieten. 87 Prozent der Befragten bei AOL erteilen dem Konzept eine klare Absage. Hätte man sich aber auch denken können: Wer abends schon nicht kostenlos bei NBC mitfiebern will, wird bestimmt nicht für Live-Curling auf dem Handy-Display in die Tasche greifen wollen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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