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Alt 13-03-2006, 18:18   #439
Starlight
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Die Börsen im Merger-Wahn

Merger und Übernahmen bewegen die Wall Street immer wieder, in diesen Tagen geht es aber besonders heiß zu. Zahlreiche Meldungen nämlich drehen sich direkt um die Handelsplätze selbst: Jeder will mit jedem, möglichst schnell… und auch der größte deutsche Handelsplatz in Frankfurt ist interessanter denn je zuvor.

Doch fassen wir noch einmal die letzten Tage zusammen: Am Dienstag vergangener Woche schlossen sich die New York Stock Exchange und Archipelago zusammen, am Mittwoch nahm die Aktie der neu geschaffenen NYSE Group unter dem Tickerkürzel NYX den Handel auf dem Parkett auf.

Am Donnerstag schickte die Nasdaq ein 4,2 Milliarden Dollar schweres Übernahmeangebot an die London Stock Exchange, das am Freitag abgelehnt wurde. Die Briten fühlten ihr Unternehmen angesichts der zu erwartenden Synergien mit der Nasdaq unterbewertet. Sie hoffen – recht offen – auf ein neues Angebot, und bei der Nasdaq laufen bereits die internen Gespräche.

An diesem Montag nun heißt es, auch die NYSE Group habe Interesse an London. Ganz überaschend ist das nicht, denn die Notierung eigener Aktien war für den New Yorker Börsenchef John Thain immer nur ein erster Schritt in einer gewaltigen Restrukturierung des Handelsplatzes, die auch die Umstellung vom Parkett- auf elektronischen Handel beinhalten könnte.

Nun mag die NYSE Group an einem Übernahmeangebot für die bereits elektronisch laufende London Stock Exchange arbeiten. Doch Analysten bezweifeln, dass die Paarung optimal wäre. Eine Integration der LSE in die Nasdaq dürfte einfacher und profitabler sein, was für alle beteiligten Unternehmen eine ebenso wichtige Überlegung sein dürfte wie der Preis an sich.

Die NYSE könnte indes mit der Deutschen Börse in Frankfurt besser bedient sein. Immerhin: Frankfurt scheint einem Verkauf an einen Partner nicht ganz abgeneigt zu sein, und das in Deutschland etablierte Hybrid-Modell zwischen Parkett- und elektronischem Handel könnte der Wall Street den Weg in die Zukunft weisen.

Und noch ein anderer Punkt spricht dafür, dass sich die deutsch-amerikanische Freundschaft auf dem Parkett auszahlen könnte: Die NYSE ist, wie CEO John Thain mehrfach erklärt hat, nicht länger allein am Aktienhandel, sondern auch an anderen Investmentprodukten interessiert. Die Deutsche Börse wiederum ist Mehrheitseigner der Eurex Futures-Börse und daher noch interessanter für die New Yorker.

So reizvoll eine Übernahme also sein könnte, ganz leicht dürfte sie nicht sein. Die NYSE Group hat zur Zeit eine Marktkapitalisierung von 57,1 Millionen Dollar – etwa ein Zehntel der 509 Millionen Dollar, die die Deutsche Börse wiegt.

Am Preis allein dürfte eine Übernahme aber nicht scheitern, zumal konkurrierende Ideen auch nicht ohne Fehl sind: Einer seit langem diskutierten Fusion der deutschen und der französischen Börse stehen ganz andere Hindernisse im Weg: Bei aller Freundschaft düfte es den Nachbarstaaten nicht leicht fallen, sich auf einen Hauptsitz für den möglicherweise wichtigsten europäischen Handelsplatz zu entscheiden. Da könnte ein Investment aus Amerika Sinn machen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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