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Alt 29-03-2006, 20:54   #448
Starlight
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Wie hoch steigen die US-Zinsen?

Die Wall Street erholt sich am Mittwoch vom Zins-Schock des Vortages. Dabei ist nicht ganz klar, was für einen Schock man überhaupt erlitten hat. Immerhin war von vorne herein klar, dass die Fed die Zinsen auf 4,75 Prozent angeben würde. Und auch die Möglichkeit weiterer Anhebungen war in den Zins-Futures reflektiert.

Was die Wall Street letztlich so aus der Bahn geworfen hat – die Blue Chips fielen aus dem grünen Bereich immerhin dreistellig ab –, war letztlich nicht mehr als der zugegenermaßen unbequeme Schritt vom Traumland zurück in die harte Realität.

Trotz aller Vorzeichen, der bisher gelesenen Fed-Erklärungen und zahlreichen Reden von verschiedenen Währungshütern, trotz starker Konjunkturdaten und wiederholter Hinweise auf anhaltende Inflation, hatten sich zuviele Anleger der Hoffnung hingegeben, dass sich Ben Bernanke um jeden Preis aus dem Schatten von Alan Greenspan heraus als eigenständige Person etablieren wolle. Dass er schon deshalb den Zinsanhebungen ein Ende machen würde, um zeitgleich mit seinem Amtsantritt eine neue Zinspolitik und gleichsam eine „Ära Bernanke“ einzuleiten.

Das alles sind Phantasien, die natürlich wenig Sinn gemacht hätten. Die Fußstapfen von Alan Greenspan mögen groß sein, doch dürften Ben Bernanke auf seinem neuen Posten keine Selbstzweifel plagen. Der Mann kommt ja nicht aus dem Nirgendwo, sondern war lange Jahre Fed-Gouverneur und zuletzt Wirtschaftsberater im Weißen Haus. Aus dieser starken Position heraus kann sich der neue Notenbank-Chef durchaus Zeit lassen, seine Politik zu finden, und muss nicht etwa den vorgegebenen Pfad verlassen – zumal wenn der recht unumstritten der richtige ist.

Das wiederum belegt ein Blick zurück: Auch mit 4,75 Prozent notiert der US-Leitzins noch deutlich unter seinem historischen Mittelwert von 5,85 Prozent. Allein um diesen zu erreichen wären noch ganze vier Anhebungen um jeweils 25 Basispunkte fällig. Nun mögen Kritiker – zu recht – sagen, dass der historische Mittelwert durch zweistellige Zins- und und Inflationsraten in den Achtzigerjahren verwässert ist.

Doch auch diese Unreinheiten deutet aus der Vergangenheit nichts darauf hin, dass die Fed schon bald auf die Zinsbremse drücken müsste. Man blicke nur auf die Realzinsen, also den Leitsatz minus der Inflationsrate. Deren Mittelwert liegt für die letzten 50 Jahre bei 1,75 Prozent und aktuell bei 1,1 Prozent.

Wer nicht ganz so weit zurückblicken will, mag sich die Jahre 1994 bis 1998 anschauen. Die Fed hatte nach Zinsanhebungen den richtigen Ausstieg gefunden um Wirtschaftswachstum optimal anzukurbeln – der Realzins-Durchschnitt liegt in den maßgeblichen Jahren bei 3,1 Prozent und damit volle 200 Basispunkte über dem aktuellen Stand. Wollte die Fed dahin zurück, wären noch acht Anhebungen fällig.

Nun muss man hoffen, dass sich die Wall Street von solchen „Horrorszenarien“ nicht in Panik versetzen läßt. Schließlich ist keineswegs gesagt, dass die Notenbank sich an historischen Werten orientiert – man will vielmehr, so der Pressetext der jüngten Entscheidung, die weitere Zinspolitik anhand anstehender Konjunkturdaten festmachen. Doch ist eines klar: Bernanke wird nicht unter allen Umständen einen Kurswechsel herbeiführen. Für Mai ist eine weitere Zinsanhebung durchaus zu erwarten und entsprechende Ankündigungen für die nächsten Monate dürfen den Markt nicht schocken.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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