Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 24-06-2007, 09:35   #3
Benjamin
TBB Family
 
Registriert seit: Mar 2004
Beiträge: 10.374
Das Ergebnis für Polen:
Die Stimmverteilung von Nizza bleibt bis 2014 bestehen. Außerdem können sich Staaten, die dies wünschen, in Streitfällen bis 2017 noch auf den jetzt geltenden Vertrag von Nizza berufen und zusammen mit anderen den Aufschub einer unliebsamen Entscheidung fordern, selbst wenn sie keine Sperrminorität haben. Erst dann tritt das Prinzip der Doppelten Mehrheit in Kraft, das im Verfassungsvertrag vorgesehen war. Polen kann damit faktisch noch zehn Jahre seinen bisherigen Einfluss wahren.

Das Mandat des EU-Gipfels
... legt den Rahmen für die jetzt folgende EU-Regierungskonferenz fest, die die neuen EU-Grundlagenverträge im Detail ausformulieren soll. Diese neuen Grundlagenverträge sollen ab 2009 gelten (rechtzeitig zur Europawahl) - und die EU-Verfassung ersetzen, die 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war. Im Detail soll die EU dabei in folgenden Punkten reformiert werden:


Das neue Abstimmungssystem
Bei EU-Abstimmungen soll künftig die neue "doppelte Mehrheit" gelten. Dies wird aber nicht schon 2009 eingeführt , sondern auf polnischen Druck erst ab 2014. Außerdem können sich Staaten, die dies wünschen, in Streitfällen bis 2017 noch auf den jetzt geltenden Vertrag von Nizza berufen und zusammen mit anderen den Aufschub einer unliebsamen Entscheidung fordern, selbst wenn sie keine Sperrminorität haben ("Kompromiss von Ioannina"). Auch dies ist ein Zugeständnis an Polen, das damit seinen bisherigen Einfluss in der EU faktisch noch zehn Jahre lang wahren kann. Unter dem System der "doppelten Mehrheit" versteht man, dass die Stimmen der EU-Staaten nicht mehr wie bisher "gewichtet" werden. Stattdessen gilt ein Beschluss in der EU künftig als angenommen, wenn 55 Prozent der Staaten zustimmen und diese mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Der neue EU-Präsident
Der Europäische Rat (womit die EU-Gipfel und die Gesamtleitung der EU gemeint sind) soll für jeweils zweieinhalb Jahre von einem dafür bestimmten Präsidenten geleitet werden. Die Präsidentschaft des normalen Ministerrates rotiert dagegen weiter wie bisher alle sechs Monate zwischen den EU-Staaten.

Das Europa der zwei Geschwindigkeiten
Staaten wie Großbritannien können aus EU-Beschlüssen über engere Zusammenarbeit in Fragen der Justiz- und Polizeizusammenarbeit aussteigen. Auch in der Sozialpolitik können Staaten aus der gemeinsamen Politik ausscheren. Wenn innerhalb von vier Monaten keine Einigung erreicht wird, können jene Staaten, die das wollen, vorangehen – Experten sprechen dann vom "Europa der zwei Geschwindigkeiten".

Die Außen- und Sicherheitspolitik
... soll "Gegenstand besonderer Verfahrensweisen" sein. Das heißt: Dieser Bereich wird nach wie vor anders geregelt als die übrige EU-Arbeit. EU-Kommission und Europaparlament bekommen keine erweiterten Zuständigkeiten in der Außenpolitik. Der Außenminister der EU, der im Einvernehmen mit den Regierungen arbeitet, heißt auf Wunsch der Briten offiziell "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik". Er ist auch Vizepräsident der EU-Kommission. Der große Vorteil dieser Regelung: Bisher ist für EU-Außenpolitik sowohl die Kommission als auch der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs zuständig – diese Doppelstruktur wird nun beseitigt. Der neue Chefdiplomat erhält außerdem einen eigenen Machtapparat: Die EU baut einen eigenen diplomatischen Dienst auf.

Weniger EU-Kommissare
Die EU-Bürokratie schrumpft. Die Zahl der EU-Kommissare wird von derzeit 27 auf 15 im Jahr 2014 reduziert. Bisher ist jeder EU-Staat immer mit einem Kommissar vertreten - das ist dann nicht mehr der Fall, künftig wird ausgewählt.

Mehr Rechte für die Parlamente
Binnen acht Wochen können nationale Parlamente gegen geplante EU-Gesetze Einspruch erheben, falls sie meinen, dass sie die nationale Zuständigkeit verletzen. Das Europaparlament entscheidet künftig gleichberechtigt mit dem Rat der EU-Staats- und Regierungschefs über den EU-Haushalt.

EU-Bei- und Austritt neu geregelt
Erstmals erlaubt der EU-Vertrag offiziell den freiwilligen Austritt eines Staates - inoffiziell war dies schon bisher möglich (Beispiel Grönland). Beitrittswillige Staaten müssen die Werte der EU respektieren und sich verpflichten, diese zu fördern. Mit diesen Formulierungen wird Forderungen aus Frankreich und den Niederlanden nach strikteren Beitrittskriterien entsprochen.

Charta der EU-Grundrechte
Die Grundrechte-Charta ist nicht mehr Teil der eigentlichen EU-Verträge. Durch einen Verweis wird sie jedoch für ebenso bindend erklärt wie der Vertrags selbst - allerdings wird Großbritannien ausgenommen, das keine Verfassung hat und deshalb fürchtete, durch die europäische Grundrechte-Charta eine Verfassung von außen aufgezwungen zu bekommen.

Keine Fahne, keine Hymne, keine Verfassung, keine Gesetze:
Die in der EU-Verfassung einst vorgesehenen Symbole der EU - Fahne und Hymne – sollen in den jetzt geplanten Verträgen nicht mehr auftauchen. Sie werden aber faktisch beibehalten. Das Wort "Verfassung" ist ebenfalls gestrichen, es ist nur von neuen EU-Grundlagenverträgen die Rede. Auch "Gesetze" erlässt die EU künftig nicht, sondern weiter nur sogenannte Richtlinien und Verordnungen.

Geändert von Benjamin (24-06-2007 um 10:21 Uhr)
Benjamin ist offline   Mit Zitat antworten