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Alt 13-11-2007, 17:43   #774
Starlight
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Die Baumwoll-Krise

“Oh, when them cotton bolls get rotten / You cant pick very much cotton”, geht ein alter Folk-Song von Lead Belly. Über die Jahre haben Johnny Cash, Harry Belafonte, Buck Owens und sogar die Beach Boys das Lied gecovert – und doch wusste keiner von ihnen, wie schlimm es einmal wirklich um die Baumwoll-Ernte stehen würde.

Auch Konjunkturexperten wissen nicht, welches Ausmaß die aktuelle Baumwoll-Krise annehmen wird. Eines steht aber fest: Ein weiterer Rohstoff wird immer knapper, was wiederum für steigende Preise sorgt und die Inflation in den USA weiter anfacht. Doch von vorne:

Baumwolle hat eine lange Geschichte in den USA, wo sie seit Jahrhunderten angebaut wird und im späten 19. Jahrhundert vor allem in den Südstaaten landschafts- und kulturprägend war. Nach der Emanzipation der Sklaven sahen die Amerikaner die erste Krise, denn für kaum eine Pflanze war ein so hoher Ernteaufwand erforderlich wie für „Cotton“. Baumwollfarmer behalfen sich nach Abschaffung der Sklaverei lange mit „sharecropping“: Sie stellten schwarze Arbeiter ein, die prozentual am Ernte-Umsatz beteiligt waren. Erst in den Fünfzigerjahren gab es die ersten Maschinen, die Baumwolle ernten konnten ohne die Fasern zu zerstören.

Seither lief das Geschäft mit der Pflanze recht gut für die amerikanischen Farmer, die vom Staat subventioniert wurden. Die zuletzt 20 Cent pro Pfund, die die US-Regierung für Baumwolle zahlte, machten den ansonsten recht spärlichen Erlös reizvoll, große Anbauflächen überdauerten – bis jetzt.

Doch seit kurzem ändert sich die Lage. Amerikanische Bauern ahnten schon seit Jahren, dass die Subventionen nicht ewig fließen würden – jetzt wurden sie bestätigt. Die Welthandelsorganisation hat die staatliche Bezuschussung der Ernte in den USA für illegal erklärt, und aus dem Ausland – vor allem von afrikanischen Staaten – kommt massiver Druck auf Washington.

Ohne die Subventionen ist aber kaum ein Farmer mehr willig, Baumwolle zu pflanzen. In den wichtigsten amerikanischen Baumwoll-Staaten Texas und Kalifornien ist die Anbaufläche innerhalb eines Jahres um fast 30 Prozent zurückgegangen. „Wir können mit weniger Aufwand Getreide anbauen“, rechtfertigt sich der Farmer Frank Williams, der südlich von San Francisco riesige Felder hat. „Da ist der Ertrag größer. Baumwolle lohnt sich einfach nicht.“

Wie Williams denken viele Bauern, zumal die zur Zeit im Zuge des Ethanol-Trends recht stabilen Subventionen für Mais noch andere Alternativen nahelegen.

Das Baumwoll-Problem ist allerdings kein rein amerikanisches. Nicht nur in den USA, auch in anderen produzierenden Staaten ist die Anbaufläche rückläufig. Gleichzeitig steigt die Nachfrage. Am deutlichsten zeigt sich die Trendverschiebung in China: Das Land war einst größte Export-Nation für Baumwolle und gehört heute zu den Importeuren. Mit dem Lebensstil steigt in China eben auch die Nachfrage nach Kleidung.

An den Rohstoffmärkten zeigen sich die ersten Ergebnisse: Allein in den vergangenen zwei Jahren ist der Preis für Baumwolle von durchschnittlich 60 auf zur Zeit etwa 70 Cent pro Pfund gestiegen. Dieser Preisanstieg um immerhin 15 Prozent reicht nicht, amerikanische Bauern wieder für den Baumwoll-Anbau zu begeistern – er ist allerdings groß genug, die Inflation weiter anzuheizen.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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