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Alt 13-09-2008, 10:58   #1
Benjamin
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Energieversorgung

Standpunkt: Christoph W. Frei, Senior Director Energy beim World Economic Forum, über den dreifachen Energieschock

1000 $ pro Kopf zur Sicherung der Energieversorgung

VDI nachrichten, Basel, 12. 9. 08, rus -


Verringertes Angebot, gestiegene Nachfrage und die Probleme des Klimawandels zeichnen für erhöhte Energiepreise verantwortlich, so Christoph W. Frei vom World Economic Forum. Die gestellten Herausforderungen zu bewältigen, erfordert seiner Meinung nach neues Denken. Reichen künftig alle zehn Jahre Investitionen 1000 $ pro Kopf der Weltbevölkerung aus, um eine nachhaltige Energieversorgung zu sichern? Zeigt die Stadt Boulder in Colorado, wie man sofort etwas tun kann? Frei zeigt in seinem folgenden Beitrag Lösungswege auf.


Die Ölkrise der Siebziger steht bis heute symbolisch für die Krise im Energiesektor schlechthin. Damals entstand die Verknappung des Rohstoffs aus dem Verhalten des von den Saudis geführten Kartells, was innerhalb einer Dekade zu einer Verzehnfachung der Preise führte. In den letzten zehn Jahren sind die Ölpreise noch einmal fast um das Zehnfache gestiegen und dieser Preisanstieg hat besonders in den letzten drei Jahren rasant zugenommen.

Heute erleben wir einen dreifachen Energieschock:

1. Wieder sind es Nationalismus und Verknappung der Ressourcen, wie etwa in Russland und Venezuela, die die Krise auslösen
2. dazu kommt der gestiegene Energiebedarf von Ländern wie China und Indien
3. und schließlich erfordert der Klimawandel, dass wir unser Wirtschaftsverhalten und unseren Lebensstil ändern.
Dazu kommen der schwache Dollar sowie umstrittenerweise Marktspekulanten als Kostentreiber - wir dürfen uns also weder über hohe Rohölpreise noch deren zukünftige Verteuerung wundern.

Unser Energiesystem muss sich weiterentwickeln und sich den Herausforderungen von verringertem Angebot, gestiegener Nachfrage und Klimawandel anpassen. Bis 2030 wird dies nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) 21 Trillionen US$ kosten. Insbesondere muss in Energieinfrastruktur wie Kraftwerke, Pipelines oder Stromleitungen investiert werden.

Die 21 Trillionen US$ entsprechen etwa einer Investition von 1000 Dollar pro Kopf der Weltbevölkerung alle zehn Jahre. Eine erkleckliche Summe, die in den verschiedenen Teilen der Welt natürlich unterschiedlichen Wert hat, aber unbezahlbar ist sie nicht.

Das Finanzielle ist aber nur eine Seite der Medaille. Die wahre Herausforderung besteht darin, Emissionsreduktionen und Entwicklungsziele effizient zu gestalten. Und das kann nur geschehen, wenn unterschiedliche Fraktionen zusammenkommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Selbst Versorgungsunternehmen in Ländern mit starkem "grünen" Engagement haben es nicht immer leicht, große Projekte umzusetzen. Die Begeisterung für CO2-Sequestrierung zum Beispiel hat merklich nachgelassen, seit deutlich geworden ist, dass diese Technik zur Lagerung von Kohlendioxiden kurz- und mittelfristig keinen spürbaren CO2-Rückgang in der Atmosphäre bewirken kann. Selbst im Idealfall dauert es zwei bis drei Jahrzehnte, bis diese Lösung vom Pilot zur Flächenanwendung reift - und das auch nur, wenn die Öffentlichkeit dahinter steht.

Vor allem die Industrienationen müssen also handeln. Insbesondere einzelne Städte und Verbraucher suchen jetzt innovative Partnerschaften, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Die 100 000 Einwohner zählende Stadt Boulder in Colorado will zum Beispiel Vorreiter für Smartgrids, also intelligente Stromversorgungsnetze, werden. Eintausend US-Dollar pro Kopf sollen in das stadtweite Pilotprojekt der grünen Studentenstadt am Fuße der Rocky Mountains investiert werden - die eingangs erwähnte magische Summe.

Smartgrids, die "Intelligenten Stromnetze", so die Vorstellung der regionalen Versorger, die das Projekt leiten, soll lokale Kleinststromerzeuger, Speicherungssysteme und elektrogesteuerte "smarte" Haushaltsgeräte so miteinander verdrahten, dass das Gesamtsystem effizienter wird, während gleichzeitig die dezentrale Stromerzeugung gefördert wird. Verbraucher können Informationen über die Herkunft ihres Stromes und die zeitpunktgenauen Strompreise online abrufen - dies ist problemlos möglich, da Boulder die höchste Internet-Breitbandzugangsrate in den USA hat. Umgesetzt werden soll das ambitionierte Projekt in den nächsten zwei Jahren und man hofft, dass bei zukünftigen Ausweitungen die Pro-Kopf-Kosten auf 300 $ bis 400 $ gesenkt werden können.

Natürlich gibt es auch bei diesem Projekt Stolpersteine, die aus dem Weg geräumt werden müssen, wenn Smartgrids anderswo eingeführt werden sollen. Zunächst müssen Geräte wie Kühlschränke, Batterieauflader und lokale Speichereinheiten "smart" werden - das heißt, deren Energieverbrauch soll sich gemäß den aktuell über Breitband gelieferten Strompreisen optimieren. Dazu müssen Fachgeschäfte Druck auf Gerätehersteller und IT ausüben, derlei intelligente und zugleich benutzerfreundliche Geräte und Systeme zu entwickeln.

Gleichzeitig ist die Politik gefragt: Noch verdienen Versorgungsbetriebe vor allem an der Höhe des Stromverbrauchs. Nur mit entsprechenden Regulierungen, wie das Binden der Lizenzvergabe an die Unternehmen, die die Smartgrids unterstützen, werden solch neuen Modelle für alle Beteiligten wirtschaftlich attraktiv. Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) mitgetragene Technologie-Wettbewerb "E-Energie" zielt in diese Richtung.

Nachhaltige Energieversorgung hat Zukunft, aber sie braucht den Einsatz aller. Technologien alleine können das Problem nicht lösen Industrie, Politik und Interessenverbände müssen zusammen an innovativen Lösungen arbeiten. Eine derartige globale Plattform zum Austausch innovativer Partnerschaftsmodelle bietet die Global Energy Basel, die vom 12. bis 14. November 2008 erstmalig in der Schweiz stattfindet und vom Weltwirtschaftsforum unterstützt wird.

Die Zielsetzung dieses von der Messe Schweiz veranstalteten Kongresses ist genau dies: Entscheider aus Politik und Wirtschaft mit Industrie und Interessengruppen zusammenzuführen, und gemeinsam Lösungen zur nachhaltigen Energieversorgung zu erarbeiten. Teilnehmer dürfen auf den Erfahrungsaustausch mit Shaun McGrath, dem Bürgermeister von Boulder, gespannt sein. CHRISTOPH W. FREI
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