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Alt 26-09-2008, 17:10   #890
Starlight
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Deutsche Politiker schlagen Wellen
Donnerstag, 25. September 2008

Jedes Jahr gegen Ende September findet an der Wall Street ein internationales Schaulaufen statt. Anlässlich der Generalversammlung der Vereinten Nationen sind immerhin Staatsoberhäupter aller möglichen Länder in New York, und viele wollen sich ein medienwirksames Foto an der New York Stock Exchange nicht entgehen lassen.

NYSE CEO Duncan Niederauer hat also ein paar spannende Tage hinter sich. Am Montag führte er den Premierminister von Kuwait und den Präsidenten von Montenegro auf den kleinen Balkon, wo jeden Tag per Glockenschlag der Handel eröffnet und beendet wird. Am Dienstag kam der Präsident der Ukraine, am Mittwoch läuteten der Premierminister von Dänemark und der Präsident von Mexiko die Glocke, am Donnerstag war Portugal am Ruder, und zum Wochenschluss erwartet man noch das türkische Staatsoberhaupt.

Zwischen all den Staatschefs bleibt wenig Zeit für Gäste aus der zweiten Reihe, doch eine Ausnahme machte die Börse gerne: Für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier nahm man sich am Mittwoch Zeit. Eine halbe Stunde lang diskutierte der Vize-Kanzler mit Niederauer in dessen Büro im sechsten Stock – über die Finanzkrise ebenso wie über die zurückliegende Steuben Parade; immerhin war Niederauer als Sohn deutscher Einwanderer mit von der Partie und Steinmeier ist als Unterstützer der deutsch-amerikanischen Kulturarbeit bekannt.

Doch das hektische Auf und Ab auf dem Parkett bestimmte natürlich das Gespräch der beiden, denn Deutschland sorgt sich ebenso über die instabile Lage an den US-Finanzmärkten wie der Rest der Welt. Das brachte zuletzt Steinmeiers Berliner Kollege, Finanzminister Per Steinbrück, auf den Punkt, dessen Kommentare vor dem Bundestag in den USA allerdings als wenig diplomatisch aufgenommen werden.

Der Fingerzeig auf Amerika als Urheber der Finanzkrise kam dabei zwar nicht überraschend, wurde aber ebenso mißmutig zur Kenntnis genommen wie Steinbrück’s Mahnung, dass sich die Vorherrschaft der Amerikaner als wirtschaftliche Weltmacht dem Ende neige.

Das hört man nicht gerne in den USA, und kaum ging die Meldung aus Berlin über die Ticker, meldeten sich die Blooger zu Wort. Viel Munition hatten sie allerdings nicht. Der Kommentator „Griffiths“ wirft Deutschland vor allem Neid vor; schließlich sei das Land „nur ein Viertel so groß wie Amerika“ und dazu eine „Bürokratie“, die „technisch nicht auf der Höhe der Zeit“ sei. Der Blogger „Freedomman“ fragt, wie der Deutsche sich solche Töne überhaupt erlauben könne… schließlich habe Amerika das Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine gebracht.

Doch anerkennende Kommentare sind in der Überzahl: „Traderjoeny“ gibt zu, dass eine historische Konsumsucht Amerika in Schwierigkeiten gebracht hat, ein anderer Blogger anerkennt, dass das Land „konkurs“ sei, und „kelcuk“ freut sich geradezu „darauf, nicht mehr Supermacht sein zu müssen“. Dieser Status habe die USA jehrzehnteland Geld gekostet und „Hybris und Arroganz“ in die politische Führung gebracht.

Inmitten der Finanzkrise schlagen die Wellen auf beiden Seiten hoch, doch darf sich Finanzminister Steinbrück wohl Hoffnung machen, an der Wall Street doch noch empfangen zu werden, wenn er wieder einmal New York einen Besuch abstatten wird.
© Inside Wall Street
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