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Alt 01-10-2008, 17:58   #897
Starlight
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Schon wieder ein „Bailout“
Mittwoch, 1. Oktober 2008

Wenn die Amerikaner 2008 nicht nur einen Präsidenten, sondern auch ein „Wort des Jahres“ wählen müssten, es gäbe einen klaren Sieger: „Bailout“. Als Verb steht „to bail out“ für „auslösen“ oder „freikaufen“, und es bezeichnet was die US-Regierung seit geraumer Zeit tut: Sie schießt kaputten Unternehmen Geld zu, um sie vor einer Pleite zu retten.

Der größte Bailout, ein 700 Milliarden Dollar schweres Geldpaket für die Finanzbranche, ist wohlgemerkt noch immer umstritten; eine erste Absage des Kongresses hat die Wall Street auf eine historische Achterbahnfahrt geschickt. Doch vor dem richtig dicken Brummer, um den Republikaner und Demokraten zur Zeit in Washington kämpfen, gab es schon eine ganze Reihe kleinerer Aktionen.

So kaufte die Regierung jüngst Fannie Mae und Freddie Mac auf, man schoss dem illiquiden Versicherungsriesen AIG 85 Milliarden Dollar zu, man sprang auch dem Investmenthaus Bear Stearns zur Seite – dem Konkurrenten Lehman Brothers allerdings nicht. Und auch außerhalb der Finanzbranche hat man Geld verteilt, unter anderem an die Autofirmen. Satte 25 Milliarden Dollar fließen dieser Tage nach Detroit; dort ist man damit nicht einmal zufrieden, denn zuletzt hatten General Motors und Ford 50 Milliarden Dollar gefordert.

Hinter dem Auto-Bailout steht ein ungeheuerliche Denkweise. Die Unternehmen scheinen endlich erkannt zu haben, dass man mit den alten Spritschleudern und ineffizienten Motoren in Zeiten hoher Öl- und Benzinpreise und eines stärkeren Umweltbewusstseins nicht mehr bestehen kann. Sie scheinen auch erkannt zu haben, dass man darauf schon viel früher hätte kommen können, und dass die Konkurrenz in Asien und Europa zur Zeit einen Vorsprung hat, den sie kaum einholen können.

Dass das alles selbstverschuldet ist, sieht man natürlich nicht. Vielmehr bemüht man sich plötzlich um die Erforschung alternativer Konzepte und energiesparender Motoren, und genau diese Forschungsarbeit will man sich vom Staat bezahlen lassen… davon, dass die Steuerzahler nachher an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt werden, findet sich in der Vorlage wohlgemerkt nichts.

Das ist ebenso ungeheuerlich wie die Tatsache, dass die großen Automobilhersteller die neuen Technologien längst besitzen. GM hat den „Volt“ auf der Basis von Lithium-Ionen-Batterien bereits vorgestellt und für 2010 in Serie angekündigt. Ford hat effiziente und spritsparende Wagen in Europa auf dem Markt, bringt sie aber wegen zu geringer Margen nicht auf amerikanische Straßen.

Branchenanalysten gehen davon aus, dass GM und Ford das Geld aus Washington gar nicht in die weitere Forschung, sondern in die Produktion stecken. Doch selbst das garantiert noch nicht einmal, dass die bereits entwickelten Konzepte künftig en masse verwendet werden. Für den „Volt“ von GM sind im ersten Produktionsjahr etwa magere 25 000 Einheiten geplant, später will das Unternehmen bis zu 60 000 Wagen pro Jahr herstellen. Warum dafür zig Millionen aus den Steuerkassen fließen sollen, ist den meisten Amerikanern unklar.

Wahrscheinlich wird „Bailout“ deshalb auch nicht zum „Wort des Jahres“ gekürt werden – eher zum „Unwort“.
© Inside Wall Street
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