Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 19-11-2008, 18:18   #910
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 34.578
Auto-Pleiten würden ganz Amerika belasten
Dienstag, 18. November 2008

„Die großen Drei“ sind zwar längst eher die „kleinen Drei“ oder „drei unter ferner liefen“, und doch dominieren die einstigen Industrie-Giganten General Motors, Ford und Chrysler das Gespräch an der Wall Street – und in Washington, wo am Dienstagnachmittag schon wieder über einen Bailout gestritten wird. Experten glauben nicht, dass der US-Autobranche zu helfen ist.

Doch Experten werden in Washington seit Jahren geflissentlich überhört. Denn Politiker haben zahlreiche Interessen, wenn es um weitreichende – und teure – Entscheidungen geht. Für den neugewählten Präsidenten Barack Obama sähe es schlecht aus, wenn ausgerechnet zu Beginn seiner Amtszeit die Branche zugrunde gehen würde, die seine Heimatregion dominiert. Seine Stadt Chicago liegt nur wenige Kilometer von Detroit entfernt, und wer hier nicht bei den „großen Drei“ arbeitet, der steht bestimmt bei einem Zulieferer am Fließband. Oder kocht in einer Großküche für die Kantinen der Autobauer. Oder verkauft Wagen im Autohaus. Oder schreibt für eine Zeitung, die einen Großteil ihrer Anzeigeneinnahmen von den Autohäusern bezieht. Oder… und da liegt der Kern des Problems: An den „großen Drei“ hängen zig Millionen von Jobs; einge direkt, andere (sehr) indirekt.

Über die direkten Jobs gibt es recht genaue Statistiken. GM beschäftigt noch 120 000 Mitarbeiter, Ford 80 000 und Chrysler 60 000. Insgesagt stehen also eine starke Viertelmillion in den Diensten der Unternehmen. Dazu kommen 740 000 Angestellte in den rund 14 000 Autohäusern, und 610 000 Arbeiter bei den Zulieferern. Insgesamt summieren sich die indirekten Auto-Jobs laut einer Studie von Moody´s auf knapp 2,3 Millionen. Damit sind rund 2 Prozent aller arbeitenden Amerikaner irgendwie von den drei Unternehmen abhängig, und zwar in allen Gegenden.
Gingen GM, Ford und Chrysler unter, befürchten Insider, könnten allein die direkten Zulieferer – Glas, Stahl, Stoffe, Elektronik – hunderttausende von Leuten entlassen und eine Arbeitslosenschneise von Wisconsin bis Texas und von Vermont bis Florida schlagen. Doch unklar ist, ob und wie schnell das geschehen würde.

Denn ein geordneter Bankrott für einen oder alle der großen US-Hersteller hieße nicht, dass ab morgen keine Autos mehr vom Band rollen würden. Im Gegenteil: In einem Verfahren nach „Chapter 11“ können Unternehmen weiter bestehen und unter Aufsicht Unternehmensteile verkaufen, Schulden begleichen und den Betrieb restrukturieren. Für die Autobranche brächte „Chapter 11“ die einmalige Chance, die bestehenden Gewerkschaftsverträge aufzulösen, die mit unnötig hohen Versicherungs- und Rentenzahlungen den Untergang der Branche eingeleitet haben.

Ein solcher Vorgang könnte die Branche also revolutionieren; vielleicht würden sogar ausländische Investoren Teile der US-Autobauer aufkaufen, wenn diese nicht mehr an die Gewerkschaftsverpflichtungen gebunden wären.

Ein Argument hingegen spricht gegen „Chapter 11“: Die Unternehmen fürchten, dass ein offizielles Konkursverfahren die ohnehin dramatisch schwachen Automobilabsätze gänzlich kaputt machen würde. Kein vernünftiger Kunde würde schließlich ein Auto kaufen, dessen Hersteller keine sichere Zukunft hat. Immerhin würden mit der Existenz des herstellers Garantie-Leistungen, Service-Verträge und nicht zuletzt der Wiederverkaufswert steigen und fallen.

Die Fakten über die Autobranche und einen möglichen Bailout liegen also auf dem Tisch; in Washington wird nun abgewägt. An der Wall Street ist klar, dass ein geordneter Bankrott der Branche wohl eher helfen könnte als einige Milliarden, die die Regierung bereits kaputten Unternehmen hinterherschmeißen würde. Allerdings hat man im New Yorker Finanzviertel die Sorgen der Arbeiter nicht so sehr im Blick.

Die Gespräche in der Hauptstadt werden in den nächsten Tagen weiter das Interesse der Wall Street und von Amerikanern im ganzen Land auf sich lenken. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass der aktuelle Kongress keine Hilfe für die „großen Drei“ beschließt und entsprechende Maßnahmen der Regierung Obama überlässt. Bis die vereidigt wird, könnte es aber zumindest für GM schon zu spät sein.
© Inside Wall Street
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten