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Alt 01-07-2003, 19:54   #8
cade
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Das kleine Finanz-1x1; heute: die Übernahme eines börsennotierten Unternehmens



Wie kauft man ein börsennotiertes Unternehmen und finanziert das ganze aus der Portokasse?

Zuerst sucht man sich ein attraktives, multi-nationales Wachstumsunternehmen mittlerer Größe, mit ausreichend liquiden Mitteln, geringen Verbindlichkeiten und einem starken Cashflow ... wie z. B. den Automobilzulieferer W.E.T. aus Odelzhausen, der eine Marktkapitalisierung von ca. 170 Mio. Euro aufweist.

"Wie kommt man nun möglichst billig an die gesamten W.E.T. Aktien ran?" dachten sich die Venture Capital Finanz-Gurus von HgCapital Funds.

Ganz einfach!

Zuerst überredet man den Aufsichtsratsvorsitzenden und Mehrheitsaktionär Bodo Ruthenberg, daß es in seinem doch-schon-leicht-fortgeschrittenen Alter besser sei sein Lebensabend auf dem Golfplatz oder auf einer ruhigen Südsee-Insel zu verbringen, als mit den anderen greisen Herren im Aufsichtsrat ständig über die letzten Geschäftsentwicklungen philosophieren zu müssen. Man bietet also dem guten Herrn Ruthenberg schlappe 110,74 Mio. Euro für seine 2.101.390 W.E.T. Aktien an. Das Jahresabo für den Golf-Club läßt sich damit sicher leicht berappen. Und für die nächste Cocktailparty bleibt auch noch was übrig.

Herr Ruthenberg willigt also ein und schließt einen Paket-Kaufvertrag mit HgCapital ab.

Jetzt sind da noch die lästigen freien Aktionäre mit ihren 1.098.610 Inhaberaktien, die es zu überreden gilt.

Dazu gibt man erst einmal ein Übernahmeangebot ab, das statt eines Kursaufschlages einen Kursabschlag enthält. Man ist doch nicht blöd! Es werden also Euro 52,70 für eine W.E.T. Aktie geboten, die an der Börse zum Zeitpunkt der Angebotsveröffentlichung bei Euro 53 notiert. Alles nach dem Motto: Geiz ist geil! Die freien Aktionäre werden schon die Aussichtslosigkeit ihres möglichen Widerstandes erkennen.

Pflichbewußt teilt man den freien Aktionären mit, "dass die angebotenen Euro 52,70 eine attraktive und angemessene Gegenleistung darstellt." Der Aktienkurs ist ja nur so "hoch", weil es schon lange diese Gerüchte um eine Übernahme gab. Daß sämtliche Analysten dies anders sehen, wird einfach ignoriert: Börse Online spricht z. B. von einer "mickrigen Offerte an die Aktionäre", andere Finanzzeitschriften bzw. Analysten äußern sich ähnlich. Es werden faire Kurse von bis zu Euro 74 (Falkenbrief) genannt.

Nun ja, es werden schon genügend freie Aktionäre dem Angebot folgen. Und den letzten Zweiflern wird in der Übernahmeerklärung sogar ein eigenes Kapitel mit dem Titel "Situation der Aktionäre, die das Angebot nicht annehmen" gewidmet. Hier finden sich jetzt neben gewissen „Drohungen“ unter anderem folgende bislang unbekannte Börsenweisheiten:

"Es kann nicht abgeschätzt werden, wie sich der Börsenkurs der W.E.T. AG-Aktie nach Abschluss dieses Übernahmeangebots entwickeln wird."

Aha! Die HgCapital Experten sind also auch noch nicht in Besitz der Börsen-Glaskugel.

Weiter wird gesagt, daß, wenn nicht die für einen Squeeze-Out notwendigen 95 % der Aktien angedient werden, daß dann das Übernahmeangebot zurückgezogen wird.

"Nachteilige Auswirkungen auf die Kursentwicklung der W.E.T. AG-Aktien im Falle eines Scheiterns dieses Übernahmeangebots können nicht ausgeschlossen werden."

Die erdrutschartigen Kursverluste soll sich jeder unwillige W.E.T.-Aktionär nur einmal vor Augen führen.

"Nach Abschluß dieses Übernahmeangebots wird voraussichtlich die Liquidität der nicht zum Erwerb eingereichten Aktien der W.E.T. AG erheblich eingeschränkt und ein ausreichend liquider Markt nicht mehr bestehen."

Na, mit dem Argument muß doch jeder freie Aktionär noch schnell seine Aktien losschlagen, bevor die Aktien nicht mehr zu verkaufen sind.

OK, den Herrn Ruthenberg mit einem prall gefüllten schwarzen Geldkoffer überredet und die freien Aktionäre ausreichend eingeschüchtert -- jetzt kann eigentlich schon nichts mehr schiefgehen. Nur noch die Finanzierung muß geklärt werden.

Das sollte aber bei einem Finanzvermögen von ca. 1,1 Mrd. Euro in Besitz der HgCapital Funds kein ernsthaftes Problem darstellen. Am besten wäre es jedoch, wenn sich der ganze Deal aus der Portokasse finanzieren ließe, denken sich die HgCapital Experten.

Und das geht so:

Man gründet einfach eine Holding mit Sitz in Luxemburg mit dem Namen "Bahamas", wobei die Namenswahl das Höchstmaß an Seriosität verkörpern muß. Diese Holding wird mit insgesamt 7,5 Mio. Euro ausgestattet, wobei 7,05 Mio. Euro aus der Portokasse von HgCapital stammen und je 225.000 Euro von Herrn Dr. Moll und Herrn D. Haap, dem Vorstandsvorsitzenden bzw. dem Finanzvorstand der W.E.T. AG. Dazu gewährt die HgCapital der Bahamas Holding noch einen Kredit (zu unbekannten Konditionen) von 62,5 Mio. Euro.

Über den Umweg zweier neu-gegründeten Blitz GmbHs kommt das Kapital zu einer ebenfalls neu-gegründeten Blitz Holding GmbH & Co. KG; 10 Mio. Euro als Eigenkapitalausstattung und 60 Mio. Euro als Gesellschafterdarlehen.

Jetzt fehlen noch gut 110 Mio. Euro zur Finanzierung des Paket-Vertrages mit dem Herrn Ruthenberg. Dafür nimmt die Blitz Holding GmbH & Co. KG Bankkredite in Höhe von 113 Mio. Euro auf. Die knapp 3 Mio. Euro Differenz zu den gut 110 Mio. Euro scheinen den üblichen Paketaufschlag an Herrn Ruthenberg auszumachen, auch wenn das natürlich im Übernahmeangebot vorsorglich dementiert wird.

Zum Schluß überweist die Blitz Holding GmbH & Co KG die insgesamt ca. 180 Mio. an die Ontario Inc., welche die eigentliche Übernahme abwickelt.

Fassen wir die Fakten nochmals zusammen:

Die aufkaufende HgCapital hat also die stolze Summe 7,05 Mio. Euro aus ihrem 1,1 Mrd. Euro Vermögen abgezwackt, um die Übernahme eines mit ca. 170 Mio. Euro bewerteten Unternehmens zu finanzieren. (Die 62,5 Mio. Euro des Gesellschafterdarlehens fließen ja über die Bahamas Holding wieder zurück.) Nach einer erfolgten Übernahme würde die HgCapital (über Umwege) 94% der W.E.T. Aktien besitzen, was ca. 158,5 Mio. Euro entspricht.

Die beiden Herren Dr. Moll und D. Haap haben ihr Konto geplündert und je 225.000 Euro aufgetrieben. Dafür besitzen sie (über Umwege) je 3% der W.E.T. Aktien, was einem Wert von je gut 5 Mio. Euro entspricht. Für weitere Glücksmomente der beiden Herren dürften die neuen (und wahrscheinlich großzügig ausgestatteten) Arbeitsverträge sorgen, sie schon einmal vorsorglich fixiert wurden.

Cool! Die beiden Herren sind natürlich überglücklich und raten den freien Aktionären -- natürlich in deren Interesse – das Übernahmeangebot anzunehmen.

Die Finanzierung der insgesamt 175,5 Mio. Euro Schulden hat das Unternehmen W.E.T. im Laufe der nächsten Jahre selbst zu leisten. Die liquiden Mittel und insbesondere der Cashflow sind ja bekanntlich sehr hoch – und die W.E.T. Mitarbeiter sehr fleißig. Na dann, „frohes Arbeiten“!
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viele grüsse

cade
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