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Alt 08-07-2003, 10:58   #237
Stefano
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hola,

Im Visier des Erbarmungslosen-Willi Reimann übt sich hinter den Dünen von Sylt als Zuchtmeister der juvenilen Eintracht-Profis

Der raue Wind aus Nordwest, am Sonntag noch mit 60 Sachen über die Insel hinweggefegt, ist zu einem lauen Lüftchen verkommen, das allenfalls eine würzige Brise Meeresluft an Land weht. 22 Grad ist mit Kreide auf die Tafel am Strand von Westerland gekritzelt, weshalb sich Touristen vom Festland Sonnencreme auf den weißen Buckel schmieren. Ein paar Abgehärtete stürzen sich sogar in die seichten Fluten der Nordsee, die 17 lausige Grad kalt ist. Ein paar Meter weiter recken sich zwei rote Baukräne dem hellblauen Himmel entgegen, überragen selbst den mächtigen Wall, der die imaginäre Trennlinie zwischen dem Laissez-faire der Urlaubenden und der Plackerei der Aufsteiger von Eintracht Frankfurt darstellt.

Es ist halb elf am Montagmorgen in Westerland auf Sylt, die Sonne strahlt wie ein Honigkuchenpferd, was aber offenbar keinen Einfluss auf den Gemütszustand von Willi Reimann hat. Der scheint gar nicht gut drauf zu sein. Der Trainer des Bundesligisten steht mit hinterm Rücken verschränkten Händen im Mittelkreis des hinter den Dünen gelegenem Fußballplatzes, wo für gewöhnlich das Team Sylt 2002 den unfallfreien Doppelpass übt, und beobachtet mit Adleraugen jede Bewegung seiner Profis, die er, wie jeden Morgen im Trainingslager auf Sylt, bereits um 7.15 Uhr zu einem Strandlauf gebeten hat.

Plötzlich - zack - fährt Reimann, der Besonnene, aus der Haut. "Was spielen wir hier?", raunt er Baldo di Gregorio an, der sich erdreistet hatte, den Ball nicht einzuwerfen, sondern einzurollen. Fünf Minuten später bekommt Masseur Björn Reindl sein Fett weg, als er nach einem Zusammenprall den Verletzten mit einem Arzneiköfferchen zur Hilfe eilt. "Das gibt's doch nicht. Was willst du denn mit der Ersten-Hilfe-Box?", blafft Reimann übers halbe Feld, "da nimmt man ein bisschen Eisspray, aber doch keinen Arztkoffer. Meine Güte." Reimann ist nicht der einzige Schreihals, es ist Leben auf dem Trainingsplatz, auf dem die Spieler - in drei Mannschaften eingeteilt - jeweils in einer Spielhälfte abwechselnd angreifen und verteidigen.

Die Profis gehen hohes Tempo, schonen weder sich noch den Kollegen: Jurica Puljiz senst Lars Weißenfeldt um, Jens Keller erklärt Jean-Clotaire Tsoumou-Madza lautstark, was Sache ist. Und immer wieder Reimann, der in einer für ihn so untypischen Lautstärke anweist, dass die Befürchtung bleibt, ein Fenster der benachbarten Häuser könnte sich öffnen und ein ungehaltener Urlauber ebenso bestimmt um Ruhe bitten. "Verteidigen, verteidigen", brüllt der Coach über den Platz, und wieder nimmt er Baldo di Gregorio, 19 Jahre alt, ins Visier. "Konzentrier' dich, Mensch! Im Spurt zurück an den Sechzehner, mach' das mal von allein." Dann Lars Weißenfeldt, 23 Jahre alt. "Lars, wie willst du da angespielt werden, biet' dich an." Und schließlich noch Daniyel Cimen, 18 Jahre alt: "Cimen, das war der fünfte Ballverlust. In Norderstedt hast du auch nur die Bälle verloren. Meine Güte." Nach gut 90 Minuten ist die intensive Einheit vorüber, und die jungen Männer wissen spätestens jetzt, das die Sitten auf dem Fußballplatz eines Bundesligisten rau sind; wer einfühlsamer pädagogisch Wertvolles sucht, sollte in ein Seminar für angehende Sozialarbeiter in den Hörsaal gehen.

Wenige Minuten später und wenige Meter weiter in dem feudalen Dorint-Hotel zwischen Schützenstraße und Stranddistelweg, in dem der Eintracht-Tross direkt am Strand abgestiegen ist, sitzt ein anderer Willi Reimann; wirkt aufgeräumt, lächelt höflich in die Runde, lässt sogar mitunter den Flachs blühen. Keinen Spaß kennt er aber, wenn er auf die Jungmänner in Reihen der Eintracht angesprochen wird, die er bewusst auf Normalmaß zurecht gestutzt hat. "Ich erwarte mehr Engagement. Das ist mir zu leidenschaftslos, da brennt kein Feuer, da fehlt mir der Pepp." Er könne nicht erkennen, dass die durchaus talentierten Akteure sich um jeden Preis weiter entwickeln wollen, "ich weiß nicht, ob es Selbstzufriedenheit oder Phlegma ist", aber wenn sie so weiter machten, "dann liegt ein langer, steiniger Weg vor ihnen".
q: e-hp
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Ciao Stefano

Ich wurde nicht gefragt...ob ich geboren werden wollte...
Ich werde nicht gefragt...ob ich sterben will...
also lasst mich LEBEN...wie ich es will...!
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