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Alt 17-07-2003, 17:49   #9
cade
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Kommt auch selten vor, dass ein Finanzvorstand die Aussichten seines Unternehmens herunterredet. Aber was bleibt ihm anderes übrig?:

W.E.T.: "52,70 Euro sind angemessen"

(Instock) Die W.E.T. AG soll nach einem Übereinkommen zwischen dem jetzigen Hauptaktionär Bodo Ruthenberg und der kanadischen 2026140 Ontario vollständig übernommen werden. Den freien Aktionären hat der Finanzinvestor 52,70 Euro je Anteilsschein geboten. Instock sprach darüber mit Dieter Haape, Finanzvorstand des Herstellers von Autositzheizungen.

Instock:
W.E.T. soll übernommen werden und den Aktionären liegt ein entsprechendes Angebot über 52,70 Euro je Aktie vor. Analysten halten dieses Gebot für viel zu niedrig und sehen den fairen Wert angesichts der Umsatz- und Gewinnsituation des Unternehmens bei etwa 74 Euro. Ihrem Lachen ist zu entnehmen, dass Sie deren Ansicht nicht teilen?
Haape:
Nein, ich bin nicht dieser Ansicht.

Instock:
Wieso halten Sie das Unternehmen bei 52,70 Euro für fair bewertet?
Haape:
W.E.T. hat in der Vergangenheit, da haben die Analysten recht, ein schönes Umsatz- und Ertragswachstum gehabt. Dieses jetzt einfach in die Zukunft zu projizieren und zu unterstellen, dass dies auch künftig in diesem Umfang möglich sein wird, halte ich für sehr, sehr ehrgeizig. Wenn man so etwas macht und dann auf die 74 Euro kommt, dann bin ich der Ansicht, dass es falsch ist. Es ist allgemein bekannt, dass in der Automobil-Zulieferbranche ein ganz gewaltiger Preisdruck herrscht. Es ist auch bekannt, dass sich die Autokonjunktur zunehmend eingetrübt hat. W.E.T. befindet sich zur Zeit in einer sehr, sehr komfortablen Situation, von der aus es fast nur noch schlechter werden kann. Deutliche Ertragssteigerungen sind kaum noch zu erzielen. Trotz Umsatzwachstums kann es sich von der Ertragsseite her fast nur verschlechtern. Die jetzt angebotenen 52,70 Euro je Aktie resultieren aus einer Due Diligence, die die Bieterin durchgeführt hat. Im Rahmen dieser Bewertung werden Chancen und Risiken abgewogen und berücksichtigt. Ich bin der Meinung, dass 52,70 Euro angemessen sind.

Instock:
Das scheinen bis auf den Hauptaktionär die Anteilseigner anders zu sehen. Schließlich hat bisher kaum jemand der Bieterin Aktien angedient.
Haape:
Das halte ich für ganz normal. Die Angebotsfrist läuft ja gerade etwas länger als zwei Wochen. Von der praktisch-organisatorischen Vorgehensweise her ist es so, dass die Angebotsunterlagen erst einmal an die Depotbanken gehen, die dann ihrerseits die Aktionäre anschreiben und in der Regel die Angebotsunterlagen mitschicken. Allein dieser Vorgang nimmt mindestens eine Woche in Anspruch. Der einzelne Aktionär schaut sich dann in Ruhe die Unterlagen an. Wir gehen davon aus, dass mit zunehmender Dauer der Angebotsperiode die Zusagen zunehmen werden.

Instock:
Ist das Angebot null und nichtig, wenn die Kanadier nicht die angestrebten 95 Prozent der W.E.T.-Aktien zusammenbekommen?
Haape:
So steht es in den Angebotsunterlagen. Die Bieterin hat für den Fall, sie bekommt die 95 Prozent der Aktien nicht zusammen, einseitig das Recht, vom Angebot zurückzutreten. Das gilt auch für den Vertrag, den sie mit dem Großaktionär geschlossen hat. Ob es dazu kommen wird, vermag ich nicht einzuschätzen. Dass die Bieterin 95 Prozent anstrebt, ist nachvollziehbar. Mit dam dann möglichen Delisting sind ja gewisse Vorteile, schon allein auf der Kostenseite, verbunden. So eine Börsennotierung kostet immer Geld. Wenn die Bieterin aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus an uns Interesse hat, wäre es denkbar, dass sie auch unter den angepeilten 95 Prozent von der einseitigen Option keinen Gebrauch macht und zu ihrem Angebot steht. Das könnte aus meiner Sicht ziemlich negative Auswirkungen für einige Aktionäre haben. Wenn wir unterstellen, dass 75 Prozent der Anteile erreicht werden, reicht auch dieser Stimmenanteil aus, um Satzungs- und Rechtsformänderungen vorzunehmen. Auch so könnte W.E.T. von der Börse genommen werden. Dann wären die bisherigen Aktionäre im Nachgang Kommanditisten oder GmbH-Gesellschafter mit allen damit verbundenen Nachteilen.

Instock:
Was würde es für Ihr Haus bedeuten, wenn die Bieterin von ihrer einseitigen Option Gebrauch macht, sofern die 95 Prozent nicht zustande kommen?
Haape:
Wir müssten dann für die weiterhin geplanten Übernahmen den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen. Was ja, je nach Börsenlage, mal besser und mal weniger gut funktionieren kann. Insofern würde sich für W.E.T. als Gesellschaft nichts an der strategischen und operativen Ausrichtung ändern. Wir hätten den Nachteil, nach wie vor veröffentlichungspflichtig zu sein sowie Kosten und Zeit für die Börsennotierung aufwenden zu müssen. Wir könnten dann unser weiteres Wachstum nur über den Kapitalmarkt finanzieren. Das würde ich nicht unbedingt als Nachteil ansehen. Das ist nur eine andere Art der Finanzierung, eine andere Art der Gesellschaftsform. Ich sehe durchaus Vorteile, wenn man mit einem finanzstarken Investor im Hintergrund kein börsennotiertes Unternehmen mehr ist.

Instock:
Es ist ja sehr wahrscheinlich, dass die Bieterin W.E.T. wieder verkaufen oder an der Börse plazieren wird.
Haape:
Ich kann nicht für die Bieterin sprechen. Im allgemeinen ist es tatsächlich so, dass Private Equity-Firmen in der Regel nach fünf bis sieben Jahren einen Verkauf anstreben. Ein möglicher Exit kann ein erneuter Börsengang oder der Verkauf an Dritte sein. Das ist bestimmt eine mögliche Alternative, wie diese Gesellschaft nach der Übernahme mit uns umgehen könnte. Das betrachte ich aber nicht als negativ.

[ Mittwoch, 16.07.2003, 13:37 ]
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viele grüsse

cade
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