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Alt 07-09-2003, 21:12   #15
Vogtlandsiggi
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Liebe Leserinnen und Leser!

In seinen verschiedenen Artikeln zur Anatomie eines Bärenmarktes analysiert Nabil Khayat recht eindrucksvoll die Entwicklung der Aktienmärkte seit 2000 mit ihren technisch bedingten "Zwangsläufigkeiten", aber auch ihren Tücken.

Die Anatomie ist jedoch eine wissenschaftliche Disziplin, die die Strukturen von Lebewesen untersucht und ihr Wissen primär aus der Untersuchung toter Lebewesen schöpft. Demgegenüber studiert die Physiologie die Vorgänge, die in lebenden Organismen ablaufen, also physikalische und chemische, im weitesten Sinne energetische Prozesse. Etliche dieser Vorgänge lassen sich z.B.durch Oszillogramme erfassen, von denen Ihnen wahrscheinlich das Elektrokardiogramm (EKG), das Herzströme abbildet, und das Elektroenzephalogrammm (EEG), das Hirnströme darstellt, bekannt sein dürften. Die Wellenmuster eines EKGs oder EEGs ermöglichen den Ärzten durch Vergleich mit "Normmustern" die Diagnose von Anomalien und eventueller Herz- bzw. Gehirnerkrankungen. Eine ganze Reihe von Indikatoren der Charttechnik kann als "Oszillogramme" (nicht zu verwechseln mit einem bestimmten Indikatoren-Typ, den sog. Oszillatoren!) gesehen werden, die quasi Aufschluss geben über die Befindlichkeit der Indizes bzw. einzelner Aktienwerte.

Da wir nun schon mal bei Wellen sind, möchte ich Ihnen über eine persönliche Erfahrung vor vielen Jahren berichten:

Damals verbrachte ich mit meiner Frau einen Urlaub am Indischen Ozean. Ich war körperlich noch richtig fit und ein guter Schwimmer. Zu Beginn unseres Urlaubs war die See relativ ruhig, ziemlich langweilig für mich, da ich das Schwimmen bei etwas heftigerem Wellengang liebte. Eines Tages tat mir die See jedoch den Gefallen. Die Strandwache hatte zwar die gelbe Flagge gehisst, d.h. eine Warnung, dass nur noch geübte Schwimmer ins Wasser gehen sollten. Aber ich und etliche andere Strandgäste ließen uns dadurch nicht ins Bockshorn jagen. Wir liebten ja diesen Kick des Wellenreitens. Dieses Spiel mit den Wellen machte eine ganze Zeit lang riesigen Spaß - bis auf einmal eine Extremwelle auf uns zukam. Hei, dachte ich, toll! Die anderen Schwimmer und ich wurden von ihr hoch getragen - der ultimative Kick! - aber dann wurden wir in ein furchtbares Wellental geschleudert, dessen Folgen zwei Schwimmern so zusetzten, dass die anderen ihnen Hilfe leisten mussten. Seither bin ich nie wieder beim Signal einer gelben Flagge in einem Ozean geschwommen.

Was hat diese Story nun mit den Wellen von Kursentwicklungen bzw. mit denen in deren grafischen Abbildungen zu tun?

Sie werden dies sicherlich verstehen, wenn Sie einmal einen Blick auf die nachfolgenden langfristigen Wochencharts mit Indikatoren geworfen haben.

Die von mir verwendeten Indikatoren sind: Alexander´s Filter (ALF), weitgehend vergleichbar mit dem MOMENTUM-Indikator, Commodity Channel Index (CCI), Ratio of Strength (ROS), Relative Strength Index Wilder (RSI) und Tom DeMark`s Range Expansion Index (TD-REI), letzterer in der von der Standardeinstellung von 10 Perioden abweichenden Einstellung von 20 Perioden, die m.E. in Extremphasen von Kursentwicklungen signifikanter ist als die Standardeinstellung.

Im Prinzip benötigen Sie keine speziellen Kenntnisse über diese Indikatoren, um deren Aussage zu den Chartbildern zu verstehen, sondern lediglich Ihre Augen und Ihren Verstand.









Wie Sie erkennen können, liegen die aktuellen Niveaus fast aller Indikatoren auf denen von Anfang 2000 bzw. von Anfang 2002, also in den Bereichen der großen Top-Phasen der oben abgebildeten Indizes bzw. Aktienwerte, ja einzelne rangieren sogar noch darüber. Dies sehe ich als eine starke Anomalie, die auf eine bedrohliche "Krankheit" mit Kollapsgefahr hindeutet. Einige von Ihnen mögen nun vielleicht einwenden, von 1999 bis 2000 hätten sich die Indikatoren ja auch über Monate hinweg auf sehr hohen Niveaus bewegt, und die Kurse seien gestiegen, gestiegen und ...
Richtig, doch wir sollten eines nicht vergessen: Dies war die exzessive Endphase einer Jahrhunderthausse! Der "Ballon" hatte sich dann schließlich derart aufgebläht, dass in seiner Hülle ein großes Loch entstand, aus dem nach und nach das Gas entwich. Man hat dann in der Folge versucht, das Loch zu reparieren - mit einem Gewebe aus Zinssenkungen, Steuererleichterungen, getürkten Bilanzen (Pro-forma-Umsätzen bzw. -Gewinnen) und fragwürdigen offiziellen Verlautbarungen zur Wirtschaftslage - und hat den Ballon immer mal wieder aufgeblasen. Doch dieses Gewebe ist brüchig, und ein Aufblasen über einen "zulässigen Grenzwert" hinaus birgt die große Gefahr in sich, dass der Flicken reißt und sogar das ursprüngliche Leck noch vergrößert wird, so dass eine noch größere Menge Gas als je zuvor ausströmen kann.

Noch eine Anmerkung zum Chart des AMEX Computer Technology Index (XCI):
Hat das Verlaufsmuster der Indexkurve seit Oktober 2002 (rechte Ellipse) nicht eine große Ähnlichkeit mit der Phase zwischen 1998 und 2000 (linke Ellipse)?

Da ich anfangs kommender Woche mit meiner Frau für etwa 18 Tage auf Reisen gehen werde, verabschiede ich mich heute schon von Ihnen. Ich möchte Sie jedoch noch darüber unterrichten, dass ich letzten Donnerstag etliche Short-Positionen eingegangen bin, und zwar Bear-Zertifikate bzw. Put-Optionsscheine auf den DAX mit Basis 3400, 3200, 3000 und 2800 und Laufzeiten zwischen Dezember 2003 und März 2004. Warum denn gerade jetzt? Nun, schauen Sie sich bitte mal die Indikatoren ALF und insbesondere TD-REI zum DAX-Chart und zum TecDax-Chart an - erste Anzeichen für ein Ende der Bullenparty!

Um noch einmal auf meine obige "Wellen-Geschichte" zurück zu kommen: Extremwellen bergen höchste Gefahren - die nachfolgenden Wellentäler können tödlich sein!

Mit freundlichem Gruß und besten Wünschen für ein gelingendes Handeln

Hajo Bier









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