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Alt 16-10-2003, 21:39   #81
cade
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" 07.10.2003

Ü B E R N A H M E N
... und raus bist du




Heft 9/2003


Von Ulric Papendick

Immer mehr deutsche Unternehmen werden vom Kurszettel genommen. Die Leidtragenden beim Abschied von der Börse sind die verbliebenen Kleinaktionäre. Denn viele neue Eigner versuchen, die lästigen Anleger regelrecht über den Tisch zu ziehen.

So haben sich die Gebrüder Barilla ihren Ausflug an den Rhein nicht vorgestellt. Mit versteinerten Gesichtern verfolgen Guido und Paolo, die Sprösslinge der italienischen Nudeldynastie, das merkwürdige Spektakel, das sich da vor ihren Augen in der Düsseldorfer Stadthalle abspielt.





Squeeze-out: Bei großen Deals haben Kleinaktionäre oft das Nachsehen


Zehn Stunden lang liefern sich Management und Kleinaktionäre des Backwarenkonzerns Kamps an diesem Freitag Ende Juli einen erbitterten Kleinkrieg. Für die Kamps AG ist es das voraussichtlich letzte Gefecht als börsennotierte Gesellschaft - Hauptaktionär Barilla will die Aktie des einstigen Anlegerlieblings von der Börse nehmen.

Doch der Rückzug vom Kurszettel ist nicht so einfach. Der Preis von 12,14 Euro, den die italienischen Pastakönige für jede Brötchen-Aktie zahlen wollen, schmeckt einigen Kleinanlegern überhaupt nicht. Sie halten das Angebot für zu niedrig - und bombardieren das Management mit kritischen Fragen.

Wird der Wert des Backkonzerns künstlich kleingerechnet? Kann man ein Unternehmen überhaupt von der Börse nehmen, wenn noch Anleihen im Umlauf sind, die bis ins Jahr 2015 in Aktien umgetauscht werden dürfen? Und besonders merkwürdig: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der vollständigen Auszahlung des Vorstandsvertrags von Firmengründer Heiner Kamps und seiner plötzlichen Empfehlung an die übrigen Aktionäre, den Übernahmepreis der Italiener zu akzeptieren?

Obwohl die Vorstände des Börsenbäckers tagelang für die Veranstaltung geprobt haben, geraten sie schnell ins Schwimmen. Mühsam manövrieren sich die Kamps-Manager durch die erhitzte Debatte, unterstützt von einer Armada von Anwälten und Wirtschaftsprüfern, die hinter den Kulissen die Erwiderungen vorbereitet.

Als das stundenlange Frage- und Antwortspiel am Abend endlich zu Ende geht, werden alle Tagesordnungspunkte mit nahezu 100 Prozent Zustimmung angenommen. Kein Wunder: Großaktionär Barilla gehörten bereits mehr als 97 Prozent der Kamps-Aktien.

Wozu also das ganze Spektakel? Weshalb dieser immer wiederkehrende Showdown, der sich in den vergangenen Monaten auf anderen deutschen Hauptversammlungen dutzende Male in ähnlicher Weise abgespielt hat?

Der Streit um die Abfindung der letzten freien Aktionäre einer börsennotierten Gesellschaft, im Finanzjargon " Squeeze-out" (englisch für " Herausquetschen" ) genannt, ist die Stunde der Wahrheit. Es ist einer der wenigen Momente, in dem Manager und Großaktionäre den Kleinanlegern ein detailliertes Bild darüber liefern müssen, wie es um ihr Unternehmen wirklich steht.

Die De-facto-Enteignung der Kleinaktionäre

Denn der Rückzug von der Börse und das Herausquetschen der restlichen Anleger ist de facto eine Enteignung. Die Kleinaktionäre werden gezwungen, ihre Aktien abzugeben. Also haben sie Anspruch auf eine Entschädigung, die sich am wahren Wert der Gesellschaft orientiert. Und der kann weit über dem Kurs liegen, zu dem die Aktien zuletzt an der Börse notierten.


Der Fall Kamps

Bezahlt: Der Nudelkönig Barilla (r.) bot 12,50 Euro für die Aktie von Bäcker Kamps (l.).
Berechnet: Der Wert der Papiere soll nur bei 7,19 Euro liegen.
Beanstandet: Was Kamps wert ist, muss wohl ein Gericht prüfen.


Das Kreuzverhör befördert immer wieder Erstaunliches zutage. Vorstände, die sich persönlich daran bereichern, dass die Kleinanleger so billig wie möglich abgespeist werden; Großaktionäre, die mit fragwürdigen Methoden den Wert des Unternehmens kleinrechnen, um die Kontrolle über die Firma so preiswert wie möglich an sich zu reißen; willfährige Gutachter, die gegen satte Honorare jede noch so zweifelhafte Kalkulation abhaken - beim Squeeze-out zeigt sich oft genug, wie deutsche Börsenfirmen versuchen, lästige Aktionäre über den Tisch zu ziehen.

Eine Randerscheinung des Kapitalmarkts? Von wegen: Seit der Gesetzgeber Anfang vergangenen Jahres die Möglichkeit eines Squeeze-out eingeführt hat (siehe: " Streitsache" ), ist der Abschied von der Börse mächtig in Mode gekommen. Mehr als 170 Unternehmen haben seither die Gelegenheit ergriffen, Kleinanleger loszuwerden.

Vodafone setzte die letzten Mannesmann-Anleger vor die Tür; die Allianz warf die Rest-Aktionäre der Dresdner Bank und der Vereinten Versicherung hinaus; die Deutsche Bahn verabschiedete sich von den Stinnes-Anlegern; Barilla will sich der Kamps-Aktionäre entledigen.

Die Konzernlenker sind bemüht, den Abschied von der Börse so geräuschlos wie möglich durchzuziehen. Anleger, die sich gegen eine ihrer Meinung nach zu niedrige Abfindung sträuben, werden schnell als skrupellose Spekulanten und Wegelagerer abqualifiziert. " Räuberische Aktionäre" , raunen Vorstände und Konzernanwälte, versuchten die Firmen auszusaugen, scheuten gar vor Erpressung nicht zurück.

Mag sein, dass einige der Kleinaktionäre, die auf Hauptversammlungen ihre Rechte einklagen, mit harten Bandagen kämpfen. Tatsache ist aber auch, dass es diesen Anlegern immer wieder gelingt, höhere Abfindungen für alle Minderheitsaktionäre zu erstreiten - und Zusammenhänge aufzudecken, die die Unternehmen gern unter Verschluss gehalten hätten.

Beispiel Gerresheimer Glas: Bereits vor drei Jahren übernahmen die Finanzinvestoren Investcorp und Chase Capital Partners die ehemalige Viag-Tochter. Aber erst auf der Squeeze-out-Hauptversammlung des Verpackungsherstellers im Mai dieses Jahres stellte sich auf Nachfragen von Kleinaktionären heraus, dass Vorstandschef Axel Herberg an einer Dachgesellschaft namens " Gerresheimer Packaging Holdings B. V." mit Sitz in Holland beteiligt ist.

Das Pikante dabei: Der Firmenchef selbst profitiert davon, die Papiere der freien Aktionäre so günstig wie möglich einzusammeln. Wenn das Unternehmen in einigen Jahren erneut an die Börse gebracht oder verkauft werden sollte, verdienen daran auch Herberg und einige weitere Gerresheimer-Manager über ihre Anteile an der niederländischen Muttergesellschaft. Herberg wollte diesen möglichen Interessenkonflikt auf Nachfrage von mm nicht kommentieren.
Die unselige Rolle der Vorstände

Auch ansonsten legten die Gerresheimer-Manager einen erstaunlich lockeren Umgang mit den Rechten ihrer Minderheitsaktionäre an den Tag. Der Beschluss der Hauptversammlung, die verbleibenden Anleger abzufinden, wurde ins Handelsregister eingetragen, bevor die einmonatige Klagefrist verstrichen war.



Der Fall Edscha

Verkauft: Das Finanzhaus Carlyle übernahm den Autozulieferer für 26,50 Euro je Aktie.
Verrechnet: Kurz danach ergab ein Gutachten einen Wert von 32,50 Euro.
Verdient: Edscha-Chef Kuschetzki (im Bild) war an einer Übernahme-Gesellschaft beteiligt.


Noch deutlicher wird die unselige Rolle, die Vorstände bei Übernahmen und Squeeze-outs spielen können, im Fall Edscha . Das US-Finanzhaus Carlyle hatte Ende vergangenen Jahres ein Kaufangebot für den Autozulieferer aus Remscheid unterbreitet.

Firmenchef Horst Kuschetzki empfahl daraufhin den Kleinanlegern, das " faire" Angebot von 26,50 Euro je Aktie anzunehmen, das eine " attraktive Prämie" auf den Börsenkurs enthalte. Auch er selbst, gab der Edscha-Vormann bekannt, habe sein Paket von 23 Prozent der Aktien bereits an den Investor verkauft.

Tatsächlich war der Firmenchef, wie dem Übernahmeangebot zu entnehmen war, gemeinsam mit drei seiner Vorstandskollegen an der neuen Muttergesellschaft des Unternehmens beteiligt, ebenfalls mit 23 Prozent. Die Edscha-Manager hatten also ein erhebliches Eigeninteresse, die Aktien so billig wie möglich aufzukaufen. Je niedriger ihr Einstandspreis, umso größer dürfte der Gewinn bei einem späteren erneuten Börsengang ausfallen, über den Kuschetzki bereits laut nachdenkt.

Nachdem sie binnen weniger Wochen mehr als 95 Prozent der Edscha-Aktien eingesammelt hatten, verkündeten Kuschetzki & Co. in diesem Frühjahr, auch die letzten freien Aktionäre im Wege eines Squeeze-out abfinden zu wollen. Nun aber lag der Preis mit einem Mal bei 32,50 Euro je Aktie, immerhin ein Aufschlag von über 20 Prozent.

Aktionäre, die vorher zu dem billigeren Preis verkauft hatten, waren stinksauer. Man habe erst jetzt eine " Unternehmensbewertung im technischen Sinne" durchgeführt, redete sich der Edscha-Lenker ob der rätselhaften Wertvermehrung in derart kurzer Zeit heraus. Überzeugend ist Kuschetzkis Argumentation aber nicht. Denn die gewundene Erklärung bedeutet nichts anderes, als dass ausgerechnet der Vorstandschef nicht gewusst haben soll, was sein Unternehmen zum Zeitpunkt der Übernahme wert war.

Wie kann es sein, dass die Aktionäre mit einem Spottpreis abgefunden werden, obwohl sich kurz danach herausstellt, dass das Unternehmen viel mehr wert ist?

Das deutsche Aktienrecht gibt den Managern freie Hand. Beim Übernahmeangebot an alle Aktionäre darf der Aufkäufer einen Preis bieten, der sich in erster Linie am Börsenkurs orientiert. Beim Squeeze-out hingegen muss der Großaktionär in einer gründlichen Firmenbewertung aufzeigen, ob das Unternehmen einen höheren Wert hat, als in der Börsennotiz zum Ausdruck kommt.

In Zeiten heruntergeprügelter Aktienkurse ist häufig genau das der Fall - ein guter Grund für Finanzhäuser wie Carlyle, gerade in Baisse-Zeiten auf Einkaufstour zu gehen. Denn der Unterschied zwischen Aktienkurs - zu dem das Gros der Papiere eingesammelt wird - und tatsächlicher Firmensubstanz ist teilweise enorm.

Die freizügige deutsche Gesetzgebung

Als der Finanzinvestor Schroder Ventures (mittlerweile in Permira umbenannt) 2000 den Autozulieferer Kiekert übernahm, erhielten die freien Aktionäre für ihre Papiere 35 Euro. Zwei Jahre später, beim Squeeze-out der letzten Anleger, lag der Preis bei 64,45 Euro je Aktie - eine Steigerung von fast 85 Prozent. Auch in diesem Fall war mit dem ehemaligen Kiekert-Vormann (und heutigen Aufsichtsratschef) Werner Sterzenbach ein Topmanager und intimer Kenner des Unternehmens an der Übernahme beteiligt.



Der Fall Stinnes

Kalkuliert: Die Deutsche Bahn zahlte den Aktionären des Logistikers 32,75 Euro.
Korrigiert: Laut Gutachten war jede Aktie rund 40 Euro wert.
Kassiert: Die Stinnes-Vorstände konnten ihre Optionspakete zu 40 Euro abrechnen.


Die freizügige deutsche Gesetzgebung kommt jedoch längst nicht nur ausländischen Finanzinvestoren zupass. Sogar Staatskonzerne nutzen bisweilen die Möglichkeit, lästige Kleinaktionäre auszubooten. So wie die Deutsche Bahn AG bei der Übernahme des Logistikers Stinnes.

32,75 Euro bot die Bahn den freien Stinnes-Aktionären im August vergangenen Jahres an. Eine scheinbar äußerst attraktive Offerte, enthielt sie doch eine Prämie von fast 25 Prozent auf den Börsenkurs des Transportunternehmens vor Bekanntwerden der Übernahmepläne.

Auch Stinnes-Chef Wulf Bernotat, heute Vormann des Energieriesen Eon, zeigte sich angetan von der Großzügigkeit der Bahner. Der Preis sei " angemessen und attraktiv" , so Bernotat. Der Vorstand riet den Aktionären, das Angebot anzunehmen.

Bei solch wohlklingenden Worten fiel es den Bahn-Managern leicht, bis Mitte Oktober mehr als 99 Prozent aller Stinnes-Papiere einzusammeln.

Gerade mal neun Wochen später kündigte der Staatskonzern den Squeeze-out an - und war plötzlich bereit, den wenigen noch verbliebenen Stinnes-Aktionären rund 40 Euro zu zahlen. Der happige Nachschlag von fast 25 Prozent sei auf der Grundlage eines Wertgutachtens ermittelt worden, teilte die Bahn lapidar mit. Eine Erklärung, die für all die Aktionäre, die ihre Papiere für weniger als 33 Euro abgegeben hatten, wie blanker Hohn klingen muss.

Damit nicht genug: Die Stinnes-Manager um Firmenchef Bernotat, die noch kurz zuvor den Aktionären das Angebot von 32,75 Euro ans Herz gelegt hatten, konnten ihre üppigen Aktienoptionsprogramme auf der Basis des Wertgutachtens, also zu knapp 40 Euro, abrechnen.

Der Vorstand sahnt ab, der Kleinanleger hat das Nachsehen - im Verlauf vieler Übernahmen wird überdeutlich, dass die viel beschworene deutsche Aktienkultur häufig nicht mehr ist als eine leere Worthülse.

Zumal die Konzerne nicht nur beim ersten Angebot an alle freien Aktionäre, sondern auch beim Squeeze-out selbst tief in die Trickkiste greifen. Das Aktienrecht verlangt zwar vom Hauptaktionär, die Abfindung der letzten Anleger mit einem detaillierten Bericht über den Unternehmenswert zu untermauern - und diesen sogar von einem neutralen Gutachter prüfen zu lassen. In der Theorie ein faires Verfahren. Die Praxis sieht häufig anders aus: Die Großaktionäre beauftragen einen ihnen nahe stehenden Wirtschaftsprüfer (WP) mit der Bewertung. Außerdem schlagen sie den Gutachter vor - einen weiteren WP, den laut Gesetz ein Gericht bestellen soll. Die Richter nicken die Empfehlung der Firmen oft aber einfach ab.

Die kalkulierte Eile der Großaktionäre

Weil es die Großaktionäre stets eilig haben, ihre letzten freien Anleger hinauszudrängen, werden Firmenbewertung und Prüfung dann unter großem Zeitdruck und meist parallel durchgeführt. Häufig liegen zwischen Abschluss des Bewerters und Abschluss des Gutachters nur wenige Tage. Und in schöner Regelmäßigkeit sind sich beide Seiten erstaunlich einig darüber, welche Abfindung den restlichen Anlegern zusteht.
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viele grüsse

cade
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