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Alt 20-10-2004, 20:08   #54
Starlight
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Ein früher Blick auf 2005

Im Rahmen der Ertragssaison wird eines deutlich: Immer wenige Anleger kümmern sich um die Aussichten für das vierte Quartal, die Zahlen für das abgelaufene Viertel interessieren ohnehin nur am Rande. Wirklich wichtig scheint nur noch der Ausblick auf 2005 zu sein – mit dem auslaufenden Jahr hat die Wall Street abgeschlossen.

Viel ist ja auch nicht mehr zu holen in 2004. Für die Börse ist das Jahr gelaufen, zumal man sich weder von der Präsidentschaftswahl – unabhängig von deren Ausgang – einen positiven Ausschlag für die Kurse verspricht, noch vom anstehenden Weihnachtsgeschäft. Der Dow notiert gegenüber dem letzten Neujahr mit einem Minus von 5 Prozent, und die übrigen Schlüsselindizes stehen nicht besser da. Selbst im Falle einer (nicht zu erwartenden) Rallye dürften sich Anleger über ein Breakeven noch freuen.

Das ist umso tragischer, als man nach den schlechten Börsenjahren 2000, 2001 und 2002 auf einen schnellen und deutlichen Trendwechsel gehofft hatte. 2003 brachte der Wall Street satte Gewinne – und jetzt soll alles vorbei sein. Wie auch immer, die Augen sind streng nach vorne gerichtet: Man setzt die rosarote Brille auf und freut sich auf 2005.

Einige Anleger geben sich da von vorne herein sachlich und bemühen sich um Trendforschung: Was machen die Hightechs in 2005, wie wird sich die Nachfrage gestalten im Computer-, im Handy- und im Heimelektroniksektor? Welche Auswirkungen wird der hohe Ölpreis langfristig auf den Preis von Materialien und auf den Gütertransport haben? Was macht der Arbeitsmarkt?

Solche Überlegungen machen es dem Beobachter freilich schwer, den dicken Optimismus in den Markt zu drücken, den man sich gemeinhin wünscht. Doch zum Glück gibt es Statistiken und den guten alten Aberglauben. 2005 werde ein gutes Jahr, heißt es, weil alle Jahre, die auf eine „5“ enden, überdurschnittlich stark seien. Seit 1875 ließe sich das feststellen.

Charttechniker wie Mark Hulbert vom Hulbert Financial Digest haben die Legende nun einem Wahrheitstest unterzogen. Danach haben die US-Börsen seit 1875 zwar in allen dreizehn Jahren zugelegt, die auf eine „5“ endeten, doch lässt sich dieser Zeitraum nicht beliebig ausdehnen. In den ersten sieben Jahrzehnten seit Aufnahme des New Yorker Handels lässt sich ein solches Muster beispielsweise nicht feststellen.

Und dass die Fünfer-Jahre unterm Strich immerhin noch in 85 Prozent der Fälle positiv waren, verblasst ein wenig angesichts der Tatsache, dass auch die Zweier-Jahre (86 Prozent) und die Achter-Jahre (84 Prozent) historisch stark sein sollen. Eine Lieblings-Legende der Wall Street riecht streng nach Zufall.

Das Team von Hulbert hat noch eine zweite Statistik aufgestellt, die die durchschnittlichen Marktgewinne aller Jahre festhält, die auf die jeweils gleiche Ziffer enden. Auch hier scheinen die Achter- deutlich zu führen, die Fünfer-Jahre stehen nur an zweiter Stelle.

Das soll nicht heißen, warnen die Experten, dass 2005 kein starkes Jahr werden kann. Aber es wird manchen unglücklich stimmen, dass es dafür keine statistische Garantie zu geben scheint. Die Wall Street muss sich ihren Optimismus für 2005 anderswo suchen. Aber keine Angst: Man wird ihn irgendwo finden.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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