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Alt 05-08-2006, 16:59   #3
Benjamin
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Aktuelles aus dem IFM-GEOMAR
2.12.05
Verändert sich der Golfstrom?



Das nordatlantische Stromsystem gilt als Achillesferse der globalen Ozeanzirkulation (Abb. nach E. Maier-Reimer, MPIfM, Hamburg).

Verändert sich der Golfstrom?

– Gerät die Warmwasserheizung Europas wirklich ins Stottern? -

Am 1. Dezember 2005 veröffentlichten der Ozeanograph Harry Bryden und Kollegen vom britischen Zentrum für Ozeanographie in Southampton im Fachmagazin „Nature“ einen Artikel, der Hinweise auf eine Abnahme der ozeanischen Umwälzbewegung im Nordatlantik liefert. Diese Umwälzbewegung wird in der Öffentlichkeit i.a. als „Golfstrom“ bezeichnet. Eine deutliche Abschwächung des Golfstroms hätte für sich alleine eine signifikante Abkühlung Nord- und Mitteleuropas zur Folge. Die Frage, ob sich der „Golfstrom“ bereits abschwächt oder dies in Zukunft bedingt durch die globale Klimaveränderung tun wird, ist ein zentrales Thema aktueller ozeanographischer Forschung am IFM-GEOMAR. Im Vordergrund stehen Fragen nach den natürlichen Schwankungen und möglichen, durch den anthropogenen Klimawandel hervorgerufenen, langfristigen Veränderungen der atlantischen Umwälzbewegung. Die von Bryden und Kollegen vorgestellten Ergebnisse sind ein interessanter Beitrag zu diesem Thema, ihre Schlussfolgerung, die nordatlantische Umwälzbewegung weise einen abnehmenden Trend über die letzten 30 Jahre auf, steht allerdings im Widerspruch zu Messergebnissen und Modellrechnungen des IFM-GEOMAR.

Da die Umwälzbewegung mit einem nordwärtigen Transport von Wärme verbunden ist, gibt es einen wichtigen "Fingerabdruck" für die Stärke dieser Zirkulation und damit des Golfstroms: Das großräumige Muster der Temperatur an der Meeresoberfläche. Die Meeresoberflächentemperatur ist aus den seit Ende des 19. Jahrhunderts routinemäßig durchgeführten und von den hydrographischen Diensten gesammelten Beobachtungen von Handelsschiffen sehr gut bekannt. Darüber hinaus gibt es hochauflösende Satellitenmessungen seit etwa 20 Jahren. Veränderungen der Umwälzbewegung müssen sich – infolge der damit verbundenen Änderungen des Transports warmen Oberflächenwassers aus dem Südatlantik in den Nordatlantik - in entsprechenden Änderungen des Temperaturgefälles zwischen Süd- und Nordatlantik niederschlagen, ein Zusammenhang, der übereinstimmend in verschiedenen Modellrechnungen gefunden wurde. Eine jüngst gemeinsam von Prof. Latif und Kollegen im Forschungsbereich "Ozeanzirkulation und Klimadynamik" durchgeführte Studie zeigt tatsächlich signifikante Änderungen dieses Temperaturkontrastes: Allerdings hat danach die Umwälzbewegung im Atlantik seit etwa 1970 zugenommen. Als Ursache dieser Intensivierung kommt vor allem die in diesem Zeitraum deutlich verstärkte Tiefenwasserbildung in der Labradorsee in Frage, eine seit längerem bekannte Konsequenz der Intensivierung der Winterstürme in diesem Gebiet. Weltweit durchgeführte Modellsimulationen zeigen darüber hinaus ebenfalls eine Verstärkung der Umwälzbewegung um rund 20% seit etwa 1970.

Direkte Strömungsmessungen unter Federführung des IFM-GEOMAR am Ausgang der Labradorsee sowie östlich der Karibik, also nördlich bzw. südlich der von Bryden analysierten Breite (25°N), weisen zwar große Schwankungen auf Zeitskalen von Wochen und Monaten auf, aber keine dramatischen langfristigen Trends, die Bryden’s Schlussfolgerungen unterstützen würden. Auch alle Klimamodelle, die weltweit für den nächsten Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gerechnet wurden, zeigen eine eher moderate Abschwächung des Golfstroms bis 2100, selbst unter stark erhöhten Treibhausgaskonzentrationen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass alle Modelle für den Bereich des Nordatlantiks eine Erwärmung zeigen, obwohl einige von ihnen eine deutliche Abnahme des Golfstroms um bis zu 40% simulieren. Demnach „gewinnt“ in allen Modellen die Erwärmung infolge des anthropogenen Ausstoßes von Treibhausgasen über die Abkühlung durch den sich abschwächenden Golfstrom.

Diese unterschiedlichen Befunde zeigen sehr deutlich, dass es bezüglich der Quantifizierung von Änderungen im nordatlantischen Zirkulationssystem nach wie vor dringenden Forschungsbedarf gibt. Die ozeanographischen Institute in Deutschland entwickeln derzeit gemeinsam ein ambitioniertes Verbundprojekt, in dem es um einen konzertierten Einsatz neuer technologischer Entwicklungen, vor allem autonomer Messsysteme, und ihre systematische Verknüpfung mit realistischen Modellrechnungen geht. Nur mittels einer solchen Daten-Modell-Synthese wird sich ein "Frühwarnsystem" entwickeln lassen, das mögliche (Klima-)Trends von kurzfristigen natürlichen Schwankungen zu trennen vermag und belastbare Aussagen zum Ozean der Zukunft ermöglicht.

Claus Böning, Mojib Latif und Martin Visbeck

Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik
Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, Kiel
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