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Alt 21-03-2005, 10:42   #19
PC-Oldie-Udo
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Billiglöhne: Ein Gespenst geht um in Europa Osteuropäer dürfen bald überall nach Heimattarifen arbeiten. Massenprotest gegen neue EU-Richtlinie .


Von Günther Hörbst


60 000 Menschen zogen am Wochenende durch Brüssel ? vorneweg Gewerkschafter aus Slowenien in Karnevalskostümen. Foto: AP
Hamburg/Brüssel - "Das ist vollkommen krank und komplett abwegig! Wenn diese Regelung kommt, kann das deutsche Handwerk einpacken", schimpft der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Der Sozialdemokrat steht nicht allein mit seiner Meinung. In Brüssel versammelten sich am Sonnabend rund 60 000 Menschen, um gegen die sogenannte EU-Dienstleistungsrichtlinie zu demonstrieren, die ab 2010 gelten soll. Zu dem Protest hatte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) aufgerufen: Er forderte die EU auf, "Sozialabbau und Lohndumping" zu verhindern.

Die Dienstleistungsrichtlinie soll die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit von Unternehmen innerhalb der 25 EU-Länder verbessern. Kern der Richtlinie, die auf den früheren EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Frits Bolkestein, zurückgeht, ist das Herkunftsland-Prinzip. Es besagt, daß Firmen aus der EU in anderen EU-Staaten Dienstleistungen auf Basis der Regelungen ihrer Heimatländer anbieten dürfen. Bolkestein hat dabei Branchen von Abwasserbehandlung über Energieversorgung, Fremdenverkehr und Immobilienmakler bis zu Zertifizierungsstellen aufgelistet.

Laut Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di käme es so "zu massenhaften Unternehmensverlagerungen in Länder mit den niedrigsten Standards". Aber es droht noch weiteres Ungemach: Für eine Firma aus Osteuropa würden in Deutschland die Bestimmungen in bezug auf Arbeitssicherheit, Umweltschutz, Löhnen oder Sozialversicherungen des Heimatlandes gelten.

Was das dann im Großen hieße, läßt sich im Kleinen schon jetzt betrachten. In der deutschen Fleischindustrie, vor allem in Norddeutschland, werden seit einigen Jahren zu Tausenden akzeptabel bezahlte deutsche Schlachter durch osteuropäische Hungerlöhner ersetzt. 26 000 einheimische Fleischarbeiter, so die Gewerkschaft Nahrung Genuß Gaststätten, haben so schon ihren Job verloren. In der Fleischregion um Oldenburg wurden Hunderte Deutsche gefeuert, die zwischen acht und zwölf Euro die Stunde verdienten, dafür Tschechen und Polen eingestellt, die rund drei Euro verlangen und 14 bis 16 Stunden am Tag arbeiten.

In Deutschland formiert sich deshalb massiv Widerstand. Die SPD-Bundestagsfraktion, so Kahrs zum Abendblatt, habe sich vergangene Woche "geschlossen gegen die Richtlinie ausgesprochen". Und auch in der Union regt sich Empörung. "So wie sich Brüssel das ausgedacht hat, darf es auf keinen Fall in Kraft treten", sagte der Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), dem Abendblatt. Das Herkunftslandprinzip sei ein "Instrument eines Verdrängungswettbewerbs, den deutsche Firmen nicht gewinnen können".

Wenn etwa Bauarbeiter aus Polen ihre Dienste in Deutschland zu den in ihrem Land geltenden Bedingungen anbieten dürften, könnten Deutsche nicht mithalten. "Das verstehe ich nicht unter Wettbewerb", schimpft Bosbach. EU-Binnenkommissar Charlie McCreevy hat auf Grund der massiven Proteste aus Deutschland und auch Frankreich angekündigt, die Richtlinie zu ändern. Man wolle aber, so McCreevy, prinzipiell daran festhalten.

Kahrs hält all dies für Unsinn. "Man muß doch sehen, daß das gar nicht praktikabel ist", sagt der SPD-Abgeordnete. "Deutsche Gerichte müßten ja jeden Fall in diesem Zusammenhang nach nationalem Recht verhandeln. Da hätten wir plötzlich 25 verschiedene Rechtssysteme nebeneinander. Das ist abenteuerlich."

erschienen am 21. März 2005 in Politik
http://www.abendblatt.de/daten/2005/03/21/412419.html
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Es grüßt euch
Udo

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