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Alt 06-09-2007, 18:42   #18
Franki.49
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Spätestens nun wird es klar, hier geht es um unterschiedliche Themen bei Hart aber fair des WDR.

Der Sommer ist vorbei und gestern abend konnte ich wieder eine spannende Diskussionsrunde erleben ; der Inhalt: Die Pflege der alten Menschen in den Heimen.

Doch lest selbst:
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Hart aber fair: Glücksspiel Pflege
Faktencheck: Aussagen auf dem Prüfstand


Zu wenig zu trinken, zu wenig gefüttert, wund gelegen - alte Menschen leiden bei der Pflege viel zu oft, egal ob im Heim oder bei ambulanten Diensten. Auch der neueste Prüfbericht zeigt: Wer seine Eltern ins Heim gibt, spielt russisches Roulette mit ihrer Gesundheit. Was läuft schief bei der Pflege? Wer ist schuld? Wie geht es besser?

Eine politische Talkshow ist turbulent. Auch in 90 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "Hart aber fair" nach und lässt einige Behauptungen von Experten unter die Lupe nehmen. Die Antworten gibt es am Tag nach der Sendung hier im Faktencheck.


Jürgen Fliege über mangelnde Zuwendung

Jürgen Fliege
Jürgen Fliege, TV-Moderator und evangelischer Pfarrer, sagt, neben den Mängeln in der körperlichen Pflege vermissten die meisten alten Menschen in Pflegeheimen die Zuwendung durch andere Menschen. Diese Zuwendung komme in Heimen, auch wegen mangelnder Zeit des Personals, viel zu kurz. Stimmt das?

Stefan Görres: Das stimmt! Häufig sind die Pflegenden in Heimen deshalb frustriert, weil sie aufgrund einer engen Personalsituation, einer hohen Arbeitsintensität und mangelnder Ressourcen nur bedingt auf die Wünsche der Bewohner eingehen können. Dabei kommt es nicht auf die Häufigkeit an, sondern die subjektiv erlebte Qualität der Kontakte. Viele ausgebildete Altenpfleger/innen haben in ihrer Ausbildung gelernt, dass vor allem die Zuwendung enorm wichtig ist, um die Lebensqualität älterer Menschen im Heim zu gewährleisten. Da die Praxis oft anders ist und dem Anspruch der Pflegenden nicht gerecht wird, führt dies nicht nur zu Frustrationen, sondern auch zum Burnout und schließlich im Extremfall auch zum Berufsausstieg. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass es sich bei den heutigen Heimbewohnern ganz überwiegend um schwer- und schwerstpflegebedürftige Personen mit einem Durchschnittsalter über 80 Jahren handelt und immer häufiger finden sich bei diesem Personenkreis auch demenzielle Erkrankungen, psychische Problemlagen und Verhaltensauffälligkeiten. Das Problem der mangelnden Zuwendung ist auch ein Ausdruck dafür, dass die strukturellen, konzeptionellen und fachlichen Rahmenbedingungen der Heimversorgung mit diesen Veränderungen nicht Schritt gehalten haben.

Doris Schiemann: Es ist richtig, dass bei der derzeitigen Personalsituation in Pflegeheimen neben fachlichen Mängeln in der Pflege häufig auch zu wenig Zeit für die persönliche Betreuung bleibt. Hier besteht ein enger Zusammenhang. Eine individuelle und therapeutisch wirksame Pflege setzt einen kontinuierlichen persönlichen Austausch zwischen der verantwortlichen Pflegekraft und den Bewohner/innen - möglichst auch ihren Angehörigen - voraus, um flexibel auf das aktuelle Befinden und veränderte Bedürfnisse reagieren zu können. Individuelle Pflege setzt ein geeignetes Organisationssystem voraus. In guten Einrichtungen besteht der Trend, das so genannte Primary Nursing oder Bezugspflegesystem einzuführen. In diesem Pflegesystem wird den Pflegebedürftigen ein/e persönliche/r Ansprechpartner/in und verantwortliche Pflegefachkraft zugeordnet.


Karl Lauterbach über geplante Verbesserungen in der Pflege

Karl Lauterbach
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte im Bundestag, sagt, die Pflegereform, deren Eckpunkte bereits vorliegen und die im zweiten Halbjahr 2008 in Kraft treten soll, bringe eine wesentliche Verbesserung der Pflegequalität. Stimmt das?

Stefan Görres: Ob das stimmt, wird sich erweisen müssen! Jedenfalls werden durch die Pflegereform tatsächlich wichtige Veränderungen auf den Weg gebracht, von denen eine Qualitätsverbesserung erwartet werden kann: Dies sind unter anderem:

Anreize für aktivierende Pflege durch eine Einmalzahlung von ca. 1.500 Euro
stufenweise Anhebung der stationären Sachleistungsbeiträge für Pflegestufen III und III mit Härtefall
Stärkung der ambulanten Versorgung z.B. durch Förderung betreuter Wohnformen/Wohngemeinschaften
Anhebung von zusätzlichen Leistungsbeträgen für Menschen mit erheblich eingeschränkten Alltagskompetenzen (z.B. bei Demenz)

Inwieweit eine Verbesserung der Pflegequalität eintritt, muss dann nach dem Inkrafttreten der Pflegereform überprüft werden. Spätestens der nächste Qualitätsbericht des MDS wird dazu Zahlen vorlegen können.


Doris Schiemann: Das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums enthält begrüßenswerte Ansätze zur besseren Ausgestaltung der Prävention und Rehabilitation in der Pflege und zum Ausbau der Qualitätssicherung in der Pflege. Die Ausführungen sind in diesem Papier im Hinblick auf den Ausbau von Strukturen und Maßnahmen zur Qualitätsförderung und -sicherung aber noch zu allgemein formuliert, um einen großen Qualitätssprung für die stationäre Pflege prognostizieren zu können.


Peer Juhnke über falsche Anreize im Pflegesystem

Peer Juhnke
Peer Juhnke, Arzt und Sohn von Harald Juhnke, sagt, das derzeitige Pflegesystem belohne keine Anstrengungen, die dazu führen, dass Pflegeheim-Bewohner in eine niedrigere Pflegestufe kommen. Vielmehr würden Heime belohnt, wenn der zu Pflegende in eine höhere Pflegestufe gelangt, da das Heim dann mehr Geld erhält. Heime hätten somit überhaupt keinen finanziellen Anreiz für eine höhere Qualität in der Pflege zu sorgen. Stimmt das?

Stefan Görres: Das stimmt! Wenn Heime durch aktivierende Pflege und rehabilitative Maßnahmen sich bemühen, die Selbstständigkeit der Bewohner zu fördern, erfordert dies zunächst einmal höhere Anstrengungen, Zeit und personelle Ressourcen. Untersuchungen zeigen aber, dass Pflegende häufig unter dem Zwang stehen, die Selbstständigkeit der Bewohner nicht zu fördern und ihnen durch die Abnahme vieler Tätigkeiten eher ein passives Verhalten antrainieren. Das geht oft schneller und ist daher oft mit weniger Zeitaufwand verbunden. Hat ein Heim durch aktivierende Pflege eine Verbesserung im Gesundheitszustand der Bewohner dennoch erreicht, wird es anschließend mit einem geringeren Entgelt durch die Pflegekassen (Herabsetzung der Pflegestufe) "belohnt". Neben besseren Rahmenbedingungen fehlen also tatsächlich Anreize, eine Verbesserung der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen zu erreichen.

Doris Schiemann: Es trifft zu, dass es im derzeitigen System keinen finanziellen Anreiz gibt, so gut zu pflegen, dass Bewohner/innen in eine geringere Pflegestufe gelangen. Hier soll im Rahmen der Pflegereform eine andere Dynamik geschaffen werden. Es zahlt sich aber auch bereits heute aus, wenn Pflegeheime ein hohes Qualitätsniveau anbieten. Diese Einrichtungen haben keine Nachfrageprobleme und eine geringe Personalfluktuation.


Christa Müller über fehlende Sanktionen gegen schlechte Heime

Christa Müller
Christa Müller, familienpolitische Sprecherin der Saar-Linken, sagt, es mangele an Sanktionen gegen Heime, die durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) als qualitativ schlecht bewertet werden. Stimmt das?

Stefan Görres: Das stimmt teilweise! Sanktionen gegen Heime sind zwar durchaus möglich, jedoch nicht durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), sondern durch die Heimaufsicht und die Pflegekassen. MDK und Heimaufsicht überprüfen zunehmend gemeinsam die Qualität der Heime. Werden Mängel festgestellt, so erfüllen MDK und Heimaufsicht in erster Linie ihren Beratungsauftrag. Mit den Heimen wird die Beseitigung der Mängel vereinbart und deren Beseitigung durch einen weiteren Besuch überprüft. Bei gravierenden Mängeln können Heime geschlossen werden. Jedoch wird von diesem Recht selten Gebrauch gemacht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die Schließung eines schlechten Heimes derzeit als schwierig gestaltet und juristisch betrachtet ein langwieriger Prozess ist. Aufgrund der Tatsache, dass die Heime nur in großen Abständen kontrolliert werden können, werden Missstände oft erst spät aufgedeckt. Zudem dürfen Heime mit schlechter Qualität der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt gemacht werden. Die Pflegereform beabsichtigt, dies zu ändern.


Karl Lauterbach über Pflegequalität in teuren und preiswerten Einrichtungen

Karl Lauterbach
Karl Lauterbach sagt, mangelhafte Pflegequalität liege nicht am fehlenden Geld der Einrichtungen. Mangelnde Pflegequalität gebe es in teuren Heimen ebenso, wie in preiswerten. Stimmt das?

Stefan Görres: Das stimmt wahrscheinlich! Vom MDK werden als Strukturdaten keine Zahlen über die Pflegesätze erhoben. Daher können auch keine statistischen Zusammenhänge zwischen Pflegekosten und Pflegequalität erhoben werden. Studien zu dieser Fragestellung sind aus Deutschland nicht bekannt. Untersuchungen aus den USA zeigen jedoch, dass es keine statistischen Zusammenhänge zwischen Preis und Qualität gibt. Also: Teuer ist nicht gleich gute Qualität. Dies bestätigt für Deutschland der Geschäftsführer des MDS, Dr. Peter Pick. Auch teure Heime seien nicht automatisch besser als billigere. Ein Zusammenhang zwischen Kosten und Qualität gebe es nicht. Der Standard einer Einrichtung hänge vielmehr vom Managementgeschick seiner Leitung ab.

Doris Schiemann: Dem stimme ich zu. Mangelhafte Pflegequalität ist das Resultat unzureichender Fachlichkeit und die ist auch in teuren Heimen anzutreffen. Pflegeheime, die ein gutes Qualitätsniveau in der Pflege nachweisen können, verfügen vom Management bis zur Pflegekraft am Bett über qualifiziertes Personal auf aktuellem Wissensstand. Es mangelt in Deutschland weder an hochqualifiziertem Personal noch an wissenschaftsbasierten Pflegekonzepten und -standards. Aus Kostenerwägungen wird in vielen Einrichtungen aber darauf verzichtet, die Schlüsselpositionen in der Pflege mit den Bestqualifizierten zu besetzen und wissenschaftlich ausgebildetes Personal für das Qualitätsmanagement und die Pflegeentwicklung einzustellen.

Stand: 04.09.2007, 11:59 Uhr


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Letzter Funkspruch der TITANIC: "Wir schaffen das!





Gruss Franki

Geändert von Franki.49 (06-09-2007 um 18:46 Uhr)
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