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Alt 31-03-2006, 09:14   #14
OMI
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Vollbeschäftigung dank Geburtenschwäche?

Laut einer Aufsehen erregenden Studie könnte sich das Problem der Arbeitslosigkeit in den Niederlanden von selbst lösen, weil die Bevölkerung schrumpft. "Das ist auch in Deutschland möglich", behauptet der Autor. Deutsche Forscher sehen das skeptisch.

Nachfrage nach Arbeitskräften größer als das Angebot
Alles ganz simpel, sagt der Ökonom Wim Derks von der Uni Maastricht: Die Wirtschaft in den Niederlanden wächst mit zwei Prozent, die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt, während die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach den Arbeitsmarkt verlassen. In fünf Jahren, sagt der Volkswirt, beginne die Zahl der arbeitenden Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren sogar zu schrumpfen. In zehn Jahren werde die Nachfrage nach Arbeitskräften dann größer sein als das Angebot - es würde quasi Vollbeschäftigung herrschen.

Ein europäisches Phänomen
Seine Studie hat Derks im Auftrag des "VROM"-Rats erstellt, eines Gremiums unabhängiger Fachleute, das Parlament und Regierung in Den Haag in Fragen von Städtebau, Raumordnung und Umweltschutz berät. Der Autor ist Wirtschaftsprofessor an Universität Maastricht. " Der selbe Effekt wird sich früher oder später auch in Deutschland einstellen. Das ist ein europäisches Phänomen", sagt er im Gespräch mit Spiegel Online über seine Vollbeschäftigungsthese. Denn die Wirtschaft werde auch hier bald kräftiger wachsen, während die Bevölkerung schrumpft: Die Deutschen zeugen mit 1,36 Kindern pro Frau sogar noch weniger Nachwuchs als die Niederländer, wo eine Frau im Schnitt 1,7 Kinder zur Welt bringt.

Blanker Hohn?
Vollbeschäftigung in Deutschland - das klingt ungeheuer. Knapp fünf Millionen Menschen suchen Arbeit. Vollbeschäftigung in Ostdeutschland - das klingt nach blankem Hohn. Die Arbeitslosigkeit in Sachsen zum Beispiel beträgt laut Agentur für Arbeit 19,5 Prozent. Einer Studie des ifo-Instituts Dresden zufolge geht die arbeitende Bevölkerung im Osten jedes Jahr um ein bis 1,5 Prozent zurück, bis 2020 um etwa 20 Prozent. Bei einer Arbeitslosigkeit von heute über 19 Prozent müsste das nach Wim Derks, Wirtschaftswachstum vorausgesetzt, eigentlich zur Vollbeschäftigung führen.

Keine Chance für Geringqualifizierte
"Tut es aber nicht", sagt Marcel Thum, Geschäftsführer des Forschungsinstituts in der sächsischen Landeshauptstadt. Er hält die Studie des niederländischen Kollegen für zu einseitig. Denn der Rückgang der Bevölkerung ist nur der eine Trend. Der andere geht dahin, dass die vorhandenen Arbeitsplätze immer anspruchsvoller werden. "Die Firmen suchen Biotech-Ingenieure. Leute ohne Abschluss will keiner", sagt Thum. Von denen, die ohne Abschluss die Hauptschule verlassen haben, sind in Sachsen laut ifo-Institut 50 Prozent arbeitslos. Selbst wenn bis 2020 ein Fünftel der arbeitenden Bevölkerung in den Ruhestand geht, können die Geringqualifizierten die entstehende Lücke nicht füllen - sie bleiben arbeitslos.

"So einfach ist die Welt nicht"
Johann Fuchs, Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, glaubt auch nicht an die These der Vollbeschäftigung durch demografischen Wandel. Aber immerhin: "Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird dadurch sicher weniger werden", sagt er. Aber Vollbeschäftigung? "So einfach ist die Welt nicht. Die Theorie taucht immer mal wieder auf. Ich kenne aber keinen Forscher, der das ernsthaft vertritt." Bei Hochqualifizierten wie Akademikern und Facharbeitern könnte es tatsächlich zu einem Engpass kommen, räumt auch Fuchs ein.

"Zumindest rechnerisch möglich"
Außerdem sind die Voraussetzungen in den Niederlanden anders als hierzulande. Dort liegt die Arbeitslosenquote nicht wie in Deutschland bei rund elf, sondern nur bei sechs Prozent. Das sind gerade 438.000 Niederländer, die einen Job suchen. Fast so viele waren im Februar allein in Sachsen ohne Arbeit. Und noch etwas ist anders als in Deutschland: Die Schere zwischen den gut ausgebildeten und den gering qualifizierten Menschen ist nicht so groß wie hier. Darum hält Thum die Prognose Derks auf die Niederlande bezogen "zumindest rechnerisch für möglich". Immerhin haben es die Niederländer in den neunziger Jahren schon einmal geschafft, die Arbeitslosigkeit von über acht auf unter vier Prozent zu drücken.

Hauptthema in den Abendnachrichten
Das Echo auf der anderen Rheinseite auf Derks Studie ist groß und überwiegend positiv. Sie war am Tag ihres Erscheinens Hauptthema in den Abendnachrichten. "Die Studie ist seriös, aber das Ergebnis hat mich trotzdem überrascht", sagt Jan Oosterhaven, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Groningen. "Die Tendenz ist schon korrekt, aber in dem Ausmaß?", fragt er sich.

Vielleicht etwas Dick aufgetragen
Derks ging sogar noch weiter: Die Arbeitslosigkeit unter den jungen, schlecht ausgebildeten Migranten werde sich ohne weitere staatliche Eingriffe von alleine in Luft auflösen. "Das ist eine revolutionäre Information", prahlte er in der niederländischen Zeitung "Volkskrant". Dafür hat er dann doch viel Prügel auch von niederländischen Kollegen eingesteckt. "Vielleicht war das ein bisschen dick aufgetragen", räumte er später ein.

Quelle: t-online
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