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Alt 04-11-2004, 12:28   #39
niemandweiss
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Die amerikansiche Scheuklappenmentalität und die auf das Kapital aufgebaute Wahlüberlegenheit zugunsten Bush ist ja hinlänglich bekannt. Die Wiederwahl Bush insofern auch nicht verwunderlich. Kerry ist wohl auch nicht der richtige Gegner gewesen, der für diesen chaotischen Zustand bzw. diese Zerrissenheit Amerikas neue überzeugende Perspektiven bieten konnte.

Bis Amerika aufwacht, ist es womöglich schon zu spät.



mal etwas für den Sachverstand:

Die US-Präsidenten- und Kongresswahlen kosteten knapp 4 Mrd. $ gegenüber 3 Mrd. $ vor vier Jahren. Diese Summe macht deutlich, daß nur sehr reiche Kandidaten und Parteien überhaupt eine Chance haben, den Präsidenten zu stellen.

Trotzdem ist Amerika gespalten wie nie, und die Ablehnung gegen Bush ist an den Küsten so stark, daß einige Beobachter von einergrößeren Zerrissenheit des Landes sprechen als während des Vietnam-Krieges.

Zunehmend Probleme macht auch die Integration der (schnellwachsenden) Latino- und Hispanics-Zuwanderer. Abgesehen von den international schlechtestenwirtschaftlichen Ausgangsdaten (nebenwirtschaftlichen Ungleichgewichten, wie Extremverschuldung bei Verbrauchern und Rekord-Neuverschuldung beim Staat, sind dies einextremes Handelsbilanzdefizit - was gleichzeitigentsprechende Außen-Neuverschuldung bedeutet-, sowie eine fehlende Sparquote und die gefährlichste Immobilienblase in der US-Wirtschaftsgeschichte),hat Amerika also auch potentielle gesellschaftliche Probleme, die wederin Europa, noch Asien, zu finden sind.

Die USA könnten damit in den nächsten 10 Jahren anstatt der gewohnten Lokomotivfunktion für die Weltkonjunktur nicht nur eine Bremse, sondern sogar das Problem für Konjunktur und Kapitalanlage schlechthin sein.

Probleme kann man auf verschiedene Art und Weise angehen: Man kann versuchen, einen anderen das Problem zumindest teilweise lösen zu lassen (wie z.B. bei den Kämpfen im Irak mit der Nordallianz oder im Zweiten Weltkrieg mit Stalin). Dadurch schafft man aber höchst gefährliche Abhängigkeiten für die Zukunft. Man kann versuchen, das Problem hinauszuzögern und sich "durchzuwursteln" (Muddle-through-Politik).Je länger man eine solche Strategie betreibt, desto größer wird das Problem.

Bei der Bush-Regierung hatte man den Eindruck, daß die meisten Probleme überhaupt nicht angegangen werden oder sogar massenweise neu kreiert werden in einer Art Flucht nach vorn. Im Grunde werden ähnliche Strategien auch von Unternehmen verfolgt. Karstadt z.B. wählte eine Mischung aus Verdrängen und Flucht nach vorn, indem man sich in einer ganzen Reihe von unsinnigen Neuakquisitionen engagierte. Solche Verdrängungs- oder Ablenkungsstrategien haben in der Vergangenheit nicht funktioniert. Sie werden auch heute nicht in den USA funktionieren. Das Land steht vor einer Periode höchst schmerzhafter Einschnitte (die die Kapitalanlage in den USA, aber auch weltweit, beeinflussen werden). Verschiebt man die Probleme dagegen weiterhin (auch Greenspan ist geldpolitisch ein Meister dieser Strategie), kann das Ganze noch viel gefährlichere Ausmaße annehmen.

Die fast 4 Mrd. $ Wahlkosten sind zwar im Vergleich zu den US-Militärausgaben weit weniger als 1%, aber sie liegen trotzdem im Vergleich zu anderen Ländern auf absurd hohem Niveau und vor allen Dingen über 30% höher als vor vier Jahren, was ein bezeichnendes Licht auf die US Inflationsrate wirft. Die offizielle Statistik nach dem Deflator für das 3. Quartal (Privatverbrauch) weist allerdings lediglich eine Teuerungsrate von 1,1% aus (unter Ausklammerung von Energie und Nahrungsmitteln sogar nur 0,7%, was der geringsten Zunahme in fast 42 Jahren entspricht). Angesichts der Schwäche des Dollars gegenüber dem Euro müsste die Ölpreisinflation Amerika eigentlich wesentlich stärker (und nicht weniger!) getroffen haben (genauso wie die sonstigen Rohstoffpreisverteuerungen), und wieder einmal hat man den Eindruck, dass eher statistische US-Künste als die Realität mit der dadurch extrem niedrigen Teuerung einerseits und dem wahrscheinlich real viel zu hoch ausgewiesenen US-Wachstum von 3,7% zu tun haben.

Hier zeigt sich, dass das Vertrauen in die USA nicht nur aufgrund der Kriegslügen gelitten hat, sondern auch deshalb, weil immer mehr Fachleute innerhalb und außerhalb der USA die angeblich guten US-Wirtschaftsdaten anzweifeln.

Wie in der letzten FINANZWOCHE angekündigt, hat die tatsächlich eingetretene Ölpreisreaktion nach unten eine Erholung der Aktienmärkte ausgelöst. Der Chart oben verdeutlicht die in der jüngeren Vergangenheit gegensätzliche Entwicklung zwischen dem Aktienmarkt (Dow Jones Industrieaktiendurchschnitt) und dem Ölpreis. Nach dem jüngsten Trendbruch des Ölpreises nach unten lässt sich aus diesem Blickwinkel ein gewisses Maß an kurzfristiger Entwarnung für die Aktienmärkte ableiten.

Weitsichtige amerikanische Investoren scheinen die Weichen bereits in Richtung Europa zu stellen: Noch nie dürften amerikanische Investitionen in Deutschland
(im Bereich Unternehmenskäufe, bis hin zu mehr oder minder notleidenden Kreditportfolios der Banken) so groß gewesen sein wie heute
und es erscheint nach wie vor realistisch, dass am Ende dieses Jahres eine größere Summe dabei herauskommt, als jene ca. 50 Mrd. $, die die Ausländer im weltweiten Investitionsland Nr. 1, China, zur Zeit pro Jahr investieren.

Hinter den amerikanischen Käufen (siehe zuletzt Beru mit rund 620 Mio. € bzw. 0,8 Mrd. $) stehen zwei Faktoren: Einmal die relative Preiswürdigkeit deutscher Vermögensgüter (von Aktien über Immobilien bis hin zu nicht börsennotierten Unternehmen) und zum anderen die Währungsgewinne, die sich die Amerikaner bei einer Investition im Euro-Raum erhoffen. Schon länger, aber auch seit dem Jahre 2000 (als der Dollar noch rund 50% höher stand als heute) hat sich auch gezeigt, daß die amerikanische Börse weit schlechter abschneidet als die anderen Weltbörsen. Abgesehen vom Einbruch der deutschen Börse von Mitte 2002 bis März 2003 (im wesentlichen eine Kettenreaktion, die durch Verkaufsauflagen der Aufsicht bei den Versicherungen ausgelöst wurde), schnitt auch die deutsche Börse (besonders währungsbereinigt) besser ab als Wall Street. Vor allen Dingen dann, wenn man eher repräsentative Börsendaten heranzieht und nicht den DAX, der bei seinem Anstieg auf über 8.000 beträchtlich durch die absurd hohe Gewichtung von Technologie- und Telekommunikationsaktien einen Verlauf nahm, der der Masse der Aktien nicht entsprach.

Der ausländische Aufkauf von deutschen Vermögensgütern lässt für die absehbare Zukunft weiterhin ein besseres Abschneiden gegenüber den meisten Auslandsmärkten erwarten. Österreich hat dies ebenfalls bereits in den zurückliegenden 18 Monaten mehr als deutlich gemacht. Der Hauptmotor dieser Entwicklung dürfte weiterhin die zu erwartende Dollarschwäche sein. Die US-Währung wäre schon weit mehr verfallen, hätten nicht die Notenbanken (von den Asiaten bis hin zu den Russen) massiv den Dollar gestützt und mit den aufgenommenen Dollars wiederum den amerikanischen Bondmarkt über Wasser gehalten. Die künstlich tiefen amerikanischen Zinsen sind also nicht nur eine Folge der Greenspan-Politik am Geldmarkt, sondern auch eine Folge der Dollarstützung am Bondmarkt.

Die extremen Aufkäufe (siehe Graphik Seite 10 rechts unten) lassen sich aber wahrscheinlich kaum auf die Dauer fortsetzen. Die große Frage ist, wie die Japaner reagieren, die das letzte Mal mit rund 350 Mrd. $ (nach wie vor die größte Stützungsaktion der Wirtschaftsgeschichte) am stärksten einen unkontrollierten Dollarverfall verhinderten. Die Japaner haben zwar vorsichtig wieder entsprechende Stützungen in jüngster Zeit in den Raum gestellt, allerdings ist dies keinesfalls eine Garantie für einen stabilen Dollar. Ein weiteres Positivum für die US-Währung könnten Rückführungen von amerikanischen Auslandsgewinnen sein.

Bekanntlich haben sich Manager beim Kauf von US-Vermögensgütern überwiegend als Versager (siehe Herr Schrempp) erwiesen, während Amerikaner im Ausland mit ihren um ein Drittel niedrigeren Investitionen (6.000 Mrd. $) wesentlich besser gearbeitet haben als die Nicht-Amerikaner, die rund 50% mehr (9.000 Mrd. $) in den USA investiert haben. Die in absoluten Zahlen höheren US-Auslandsgewinne sollen durch den "American Jobs Creation Act 2004" zurückgeholt werden, indem man diese ab 2005 nur noch mit 5,25% (statt bisher 35%) versteuern will. Die Gelder müssen allerdings investitionsmüßig zweckbedingt verwendet werden, um die hohe amerikanische Arbeitslosigkeit zu vermindern (auch die amerikanische Arbeitslosenquote ist nicht mit z.B. Deutschland vergleichbar, weil nur wenige Monate Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird und die Arbeitslosen dann mangels neuen Anträgen oft schnell aus der Statistik verschwinden. Bush hatte die schlechteste Arbeitsplatzbilanz seit Anfang der 30er Jahre).

Forschungsinstitute schätzen, dass der Dollar um 25% fallen muss, um zwei Prozentpunkte in der US-Leistungsbilanz auszugleichen. Da das Defizit 2005 bei voraussichtlich ca. 6% liegen wird, würde ein Ausgleich der Leistungsbilanz je drei 25% Dollarabwertungsschritte bedeuten. Die Amerikaner könnten (im Gegensatz zu den Europäern) in diesem Falle auch von einer Anleihebaisse bzw. steigenden Zinsen (höchst gefährlich vor dem US-Verschuldungshintergrund) getroffen werden, während europäische Anleihen aufgrund von Währungszuströmen steigen könnten. Die Aussichten für amerikanische Vermögensgüter, von Aktien über Anleihen, bis hin zu Immobilien, erscheinen damit ungleich schlechter als vergleichbare Aussichten in Europa oder Asien - obwohl auch diese Märkte z.B. bei überbewerteten Aktien nachhaltig getroffen werden dürften. Im Gegensatz zu früheren Aktienbaissen, die durch Liquiditätsentzug der Notenbanken ausgelöst wurden (was diesmal wegen der schlechten internationalen Konjunktur kein Thema ist), dürften die Anlagegelder zukünftig eher international umdisponiert werden (was Teil-Baissen und Teil-Haussen auslöst), als daß generell alle Anlagekategorien und alle Aktienmärkte gleichförmig fallen. Angesichts der äußerst schwierigen Wirtschaftsprobleme, die international vor uns liegen, ist allerdings nirgendwo eine echte Hausse zu erwarten.
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Börsen-Borderliner :twister:
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