Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 23-12-2004, 08:34   #65
niemandweiss
TBB Goldmember
 
Benutzerbild von niemandweiss
 
Registriert seit: Mar 2004
Ort: Kieler Sprotte auf der Achterbahn
Beiträge: 890
Talking "Alice Schwarzer" der CDU

und immer noch beherrschendes Thema heute: der Rücktritt von CDU-Generalsekretär Meyer.



Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG attestiert der CDU-Vorsitzenden Merkel in diesem Zusammenhang Führungsschwäche und vermutet: "Merkel wollte nicht neuerlich als politische Männermörderin dastehen, als jemand, der Getreue, selbst sehr Getreue, in schwieriger Lage schwuppdiwupp fallen lässt, und das noch vor dem Weihnachtsfest. Das ist unverständlich deshalb, weil niemand, der einen klaren Verstand hat, auf die Idee kommen konnte, dass am Sturz Meyers jemand anders schuld sei als Meyer selbst. Der Generalsekretär war aus eigenem Verschulden zu einer schweren Belastung für die Partei geworden. Wenn Merkel dies nicht erkannt hat, dann muss man nicht nur an ihrer Führungsstärke zweifeln, sondern auch an ihrer Urteilskraft", findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.


In der RHEINISCHEN POST aus Düsseldorf ist zu lesen: "Merkel steckt offenbar in einem Dilemma: entweder sie zögert, dann ist sie machtscheu; greift sie durch, ist sie Männermörderin . Beides ist falsch: Kohl, Schäuble, Merz, Seehofer, Arentz und Meyer waren längst selbst in ihre jeweilige Sackgasse marschiert; Merkel schob nur noch den Riegel vor den Notausgang. Auch wird es nicht einsamer um sie: Eine Truppensammlerin wie Kohl ist sie nie gewesen. Sie lebt vom Respekt, nicht von Zuneigung. Genau darum wiegen ihre Fehler aber umso schwerer", analysiert die RHEINISCHE POST.


"Viele Freunde hat die CDU-Chefin in der Parteispitze nicht mehr", warnt die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden und fährt fort: "Das zeigt, wie dünn ihre Machtbasis innerhalb der Union ist. Wenn die CDU im Mai nächsten Jahres die Wahlen in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, verlieren sollte, ist Merkels Position als Parteichefin und mögliche Kanzlerkandidatin ernsthaft gefährdet. Dann werden die zahlreichen Gegner, die Merkel in der eigenen Partei hat, ihre Zurückhaltung aufgeben", ist sich die SÄCHSISCHE ZEITUNG sicher.


Die BERLINER ZEITUNG unterstreicht: "Vor ein paar Monaten schien der Machtwechsel sowohl im Norden wie im Westen für die CDU in greifbarer Nähe. Der Vorteil ist verspielt, aus zwei Wahlchancen sind für Angela Merkel zwei Wahlrisiken geworden. Sollte die CDU in beiden Wahlen scheitern, wird die Kanzlerkandidatur völlig neu diskutiert werden. Eine durch Misserfolge und Affären beschädigte Vorsitzende wird es dann mit den erfolgreichen Ministerpräsidenten zu tun bekommen: Koch, Wulff, Müller, Althaus... Ach ja, und Stoiber lauert auch noch", erinnert die BERLINER ZEITUNG.


Auch die in Düsseldorf herausgegebene WESTDEUTSCHE ZEITUNG meint: "Die Oppositionsschefin in Berlin steht der krafttrotzenden Riege der Unionsministepräsidenten von Stoiber über Koch und Müller bis zu Wulff immer schwächer gegenüber. Zurzeit halten allein die entgegengesetzten Interessen der machtbewußten Länderchefs Angela Merkel an der Spitze der Partei. Sie wirkt wie die geduldete Vorsitzende. Wenn aber die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW im Frühjahr verloren gehen, dann war der Abgang von Laurenz Meyer der Anfang vom Ende der Ära Merkel", prophezeit die WESTDEUTSCHE ZEITUNG.


Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG aus Leutkirch beschäftigt sich mit dem designierten neuen Generalsekretär Kauder: "Volker Kauder ist einer ihrer wenigen Vertrauten, der trotzdem als eigenständiger Denker und erfolgreicher Macher gilt. Ob er mit diesen Eigenschaften den festgefahrenen Karren der CDU wieder flott machen kann, wird weniger von ihm als von Merkel abhängen. Sie muss dringend eigene Akzente setzen, statt fortwährend schlecht gelaunt die Regierung zu kritisieren", fordert die SCHWÄBISCHE ZEITUNG.


Die Zeitung DIE WELT ist überzeugt: "Kauder wird die Partei mindestens so effizient managen wie Laurenz Meyer. Aber er hat, anders als sein Vorgänger, einen der mächtigsten Landesverbände hinter sich - wenngleich nach den Zerwürfnissen um die Teufel-Nachfolge in Baden-Württemberg nur noch bedingt. Aber seine Basis sind gewachsene Strukturen, nicht nur Stimmungsbilder von Regionalkonferenzen. Er ist nicht nur ein Mann der Apparate. Er verkörpert konservative wie soziale Traditionen der Partei und könnte in die Rolle hineinwachsen, deren Besetzung der CDU so bitter fehlt: die eines Vordenkers, der auch noch loyal zur Vorsitzenden steht", so die Auffassung der Zeitung DIE WELT.


Ganz anders sieht es die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG : "Der Abgang Meyers wird an Geist und Seele der Partei genausowenig ändern, wie es der Abgang von Polenz getan hat - kein Vergleich also zum seinerzeitigen Wechsel von Geißler zu Rühe. Die Berufung Kauders wird wiederum genauso wenig ändern wie zuvor die Bestellungen von Polenz und Meyer - die Partei bleibt einstimmig und eintönig. Sie ist geschlossen genug, um in Wahlkämpfe zu gehen, aber sie hat kein Lied, keine Botschaft auf den Lippen, welche die Wähler mehrheitlich mitsingen mögen: Daran könnten die Wahlsiege der CDU in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auch nach dem jüngsten Befreiungsschlag der Parteivorsitzenden Merkel noch scheitern", gibt die FAZ zu bedenken.


Mit dem Verhalten Meyers gehen die NÜRNBERGER NACHRICHTEN ins Gericht: "Ausgerechnet CDU-Generalsekretär Meyer, der Mann, der die Politik der Union 'verkaufen' soll, wurde dabei ertappt, dass er zweierlei Maß anlegte. Um es mit Heinrich Heine zu sagen: Er predigte öffentlich Wasser und trank heimlich den Wein. Scheibchenweise rückte er mit der Wahrheit heraus. Von Schuldbewusstsein keine Spur. Meyer fand das alles in Ordnung. Ausgerechnet er, der als CDU-Generalsekretär für die Kürzung sozialer Leistung eintrat und beim Parteitag die Wertedebatte der Union verteidigte. Außer seinem Parteifreund Arentz, der ebenfalls wegen Zahlungen der RWE zurücktreten musste, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten kein Politiker so gründlich um seine eigene Glaubwürdigkeit gebracht wie Laurenz Meyer", unterstreichen die NÜRNBERGER NACHRICHTEN.


Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld fragt erstaunt: "Hatten CDU-Chefin Merkel und ihr Generalsekretär Meyer wirklich geglaubt, sich mit einer 80.000-Euro-Spende aus der Affäre ziehen zu können? Dass ein solcher Mann bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zu einer schlimmen Belastung werden würde, hätte Angela Merkel bei den dortigen Landesvorsitzenden abfragen können. Entweder sie hat es nicht getan oder sie hat ihnen nicht geglaubt. Beides ist für die Vorsitzende blamabel. 'Wir müssen so reden, dass uns die Leute an den Stammtischen verstehen', lautet Meyers Motto auf seiner Bundestags-Homepage. Was er nicht verstanden hat, war, dass auch das Handeln der Politiker von den Stammtischen verstanden werden muss", notiert die NEUE WESTFÄLISCHE.


"Am Beispiel Meyer macht sich die Selbstbedienungsmentalität fest, der sich Minister und Abgeordnete offenbar nur schwer entziehen können", schreibt die FULDAER ZEITUNG . "Ständig in Klüngelei mit der Wirtschaft, mit Verbänden und anderen Interessenvertretern gilt es, so manchen Verlockungen zu widerstehen. Dass da der ein oder andere einknickt, sich wahrscheinlich oft gar nichts dabei denkt, gewisse Angebote anzunehmen, ist zwar menschlich verständlich. Toleriert werden dürfen diese Grenzüberschreitungen aber nicht. Helfen könnte mehr Transparenz bei Zusatzgehältern der Politiker und zwar gesetzlich verordnet. Meyer war nicht der erste und wird auch nicht der letzte Volksvertreter sein, der über dubiose Einnahmen stolpert", so die Meinung der FULDAER ZEITUNG.


Noch weiter geht die FRANKFURTER RUNDSCHAU in ihrer Bewertung der Vorgänge: "In der Geschichte der Demokratien ist die Korruption sicheres Indiz des Niedergangs. Gegen Korruption baut die Idee des demokratischen Republikanismus auf die politische Tugend. Sie verlangt vom Berufspolitiker ein eigenes Verständnis von Professionalität: Zur Profession gehört dann auch das Selbstverständnis, sich zu diesem Beruf berufen zu fühlen. Dieses Schicksal teilt der Politiker etwa mit dem Richter, dem Universitätsprofessor, dem Arzt oder dem auch unter einem bestimmten Ethos stehenden Journalisten: Sie sind - auch ohne einen eigenen Ehrenkodex - in besonderer Weise der zivilgesellschaftlichen, demokratischen Öffentlichkeit verpflichtet, um sie auch durch Krisen zu lenken, die mit der Korrumpierbarkeit der Eliten entstehen. Denn ohne die politische Tugend, das wusste der französische Staatstheoretiker Montesquieu bereits Mitte des 18. Jahrhunderts, 'ist die Republik ein Beutestück'."
Das war zum Abschluss die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die Redaktion hatte Karin Kays Sprecher/in war:
__________________
Börsen-Borderliner :twister:
niemandweiss ist offline   Mit Zitat antworten