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Alt 09-08-2008, 23:16   #9
Benjamin
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Die Flamme im Kaukasus lodert, sollte sie sich zu einem Flächbrand ausweiten, wären die Folgen katastrophal - auch für den Westen. Denn nahe an den Schlachtfeldern liegt eine seiner wichtigsten Lebensadern: die BTC, zweitgrößte Ölpipeline der Welt.
Mit ihr wollten sich Amerika und Europa unabhängiger machen vom unsicheren Öl Arabiens und den Launen der russischen Energiepolitik. Der Weg des Öls sorgt dafür, dass Georgien von größtem geostrategischem Interesse für die Industrienationen des Westens ist - und mit ihm auch der Konflikt um Georgiens abtrünnige Provinzen Südossetien und Abchasien.
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Unterstützt und animiert wurden diese Bestrebungen aus Washington. Präsident Bush sah im Kaukasus vitale Interessen der letzten Supermacht berührt. Im Klartext: Hier gab es die Möglichkeit große Mengen Öl aus dem Kaspischen Meer über Georgien in die Türkei und damit in den Westen zu transportieren.

US-Truppen in Moskauer Hinterhof

Amerika schickte Militärberater und Ausrüstung nach Georgien. US-Truppen auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion, direkt im Moskauer Hinterhof! Für Präsident Putin war dies ein offener Affront. Die Regierung intensivierte daraufhin ihre Kontakte zu den Separatisten in Südossetien und behielt ihre Truppen in Georgien. Seit dem Eingreifen Jelzins Anfang der 90er sicherten russische "Friedenstruppen" den brüchigen Waffenstillstand im Kaukasus, trotz georgischer Proteste.

Die neuesten Kämpfe sind der Vorwand für Russlands Großoffensive. Sie könnte nicht nur den Anschluss Südossetiens an Russland erzwingen, sondern vor allem die Zurückdrängung des Einflusses des Westens im eigenen Hinterhof erreichen.
Der Brand im Kaukasus schwelt, ein Großfeuer in der Region wäre auch bei uns zu spüren - und das nicht nur an der Tankstelle.

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In Georgien treffen die Interessen der beiden Großmächte USA und Russland aufeinander. Das macht die Situation so brisant. Präsident Saakaschwili setzt völlig auf die Unterstützung der USA und der EU, die ihn beim – letztlich wenig erfolgreichen – Aufbau der Demokratie unterstützen und halfen, die georgische Armee auszubilden und aufzurüsten. Im Westen besteht zudem weitgehende Übereinstimmung darüber, dass das Land im Südkaukasus eine Beitrittsperspektive für die Nato hat.
Nicht weniger wichtig für die USA und die westliche Welt ist die Erdölpipeline, die von Baku über georgisches Territorium in die Türkei führt und dabei Russland umgeht. Sehr zum Ärger Moskaus, das den gesamten Kaukasus und vor allem das christliche Georgien als untrennbaren Teil seines Einflussgebietes betrachtet, seit Ostgeorgien 1783 einen Schutzvertrag mit Russland abschloss. Allerdings wehrten sich die anderen georgischen Provinzen sehr lange gegen die russische Vorherrschaft. Das Land kam erst mit der Annexion des Fürstentums Abchasien im Jahr 1864 völlig unter die Herrschaft Moskaus, wo man noch heute gern vom „freiwilligen Anschluss“ spricht.
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Für Washington, wie übrigens auch für die EU, ist Stabilität in der Region das oberste Gebot. Wo Öl fließt, zündelt man nicht. Und eine Konfrontation mit Russland will ohnehin niemand.
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Für US-Präsident Bush ist Georgien als Vorzeigeprojekt für Demokratisierung und Marktwirtschaft eine Art Musterschüler im Kaukasus geworden. Das Land zählt zu den größten Pro-Kopf-Empfängern von US-Hilfe, seit 1991 floss weit mehr als eine Milliarde Dollar. Die USA haben etwa 130 Militärausbilder in Georgien stationiert, Tiflis wiederum war mit etwa 2000 Soldaten zuletzt drittgrößter Truppensteller der US-geführten Koalition im Irak.

Bedrängt vom Eingreifen der russischen Truppen fordert Georgiens Präsident nun vom großen Freund USA Hilfe, die dieser womöglich nicht leisten kann. "Hier geht es nicht nur um Georgien, sondern um die Prinzipien und Werte Amerikas", warb Saakaschwili im US-Sender CNN. "Wir lieben Amerika, weil wir die Freiheit lieben." Die USA ließen verlauten, dass sie sich militärisch aus dem Konflikt heraushalten und auf Diplomatie setzen. Georgiens Wunsch nach einem Beitritt zur NATO dürfte mit dem Konflikt ohnehin in weitere Ferne gerückt sein - was in Moskau als Erfolg gewertet werden dürfte.
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Dabei gibt es seit längerem gute, zunehmend intensive Beziehungen sowohl zwischen EU, als auch zwischen Nato und Georgien. Das einstige Sowjetland ist strategisch als Tor zu den zentralasiatischen Öl- und Gasfeldern enorm wichtig. Durch Georgien sollen Pipelines laufen, um Europas Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Mehr als 500 Millionen Euro hat die EU über Hilfs- und Entwicklungsprogramme in das Land gesteckt. Mit einem "Partnerschaftsvertrag" soll Georgien in einen "Ring von Freunden", so EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, integriert werden. "Wir wollen freien Handel mit euch, Visa-Erleichterungen und die EU-Mitgliedschaft", steckte Premierminister Wladimer Gurgenidse beim letzten Besuch der Brüsseler Emissärin den politischen Kurs des Landes ab. Über Nacht, so scheint es, hat der sich gründlich verändert.
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Geändert von Benjamin (10-08-2008 um 00:32 Uhr)
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