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Alt 01-10-2004, 20:33   #18
crazy_coco
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Ganz Amerika hat einen Sieger. Ganz Amerika...?

Trotz des Merck-Desasters am Vortag und einiger Konjunkturdaten (Verbrauchervertrauen schwach, Bau-Ausgaben gut) gibt es zum Wochenschluss auf dem Parkett nur ein Thema: das Fernsehduell der Präsidentschaftskandidaten. Amerika scheint sich weitgehend auf einen Gewinner geeinigt zu haben – es gibt nur eine Ausnahme.

Es ist nicht überraschend, dass am Freitagmittag nicht alle Umfragen zum TV-Duell von George W. Bush und John F. Kerry zum selben Ergebnis kommen. Es ist noch viel weniger überraschend zu sehen, welche Zeitung und welches Umfrage-Institut, welcher Fernsehsender und welcher Internet-Provider die Antworten beider Politiker auf 15 Fragen werten. Ein Überblick, wer in Amerika wen wo sieht:

Der Nachrichtensender CNN, der in den USA und weltweit gerne als seriöse Quelle zitiert wird, kommt in einer Umfrage wenige Stunden nach der Debatte in Miami auf ein klares Ergebnis für Kerry. Der Senator aus Massachusetts hat für 71 Prozent der Leser die erste Schlacht gewonnen, nur 21 Prozent sahen den Amtsinhaber vorne.

Ähnlich in der Tendenz, aber weniger deutlich sieht das der Internet-Riese AOL, der zum gleichen Mutterkonzern gehört wie der Nachrichtensender, nämlich zu Time Warner. AOL lädt auf seiner Startseite zur Umfrage per Mausklick ein: 53 Prozent der User fanden Kerry stärker, 47 Prozent den Mann aus Texas, der im Duell eine andere Strategie wählte und wählen musste: Buch wiederholte seine Vorwürfe gegen den angeblich unsoliden und wankelmütigen Gegenkandidaten bis zum Abwinken – viele haben das offensichtlich auch getan.

Mit ähnlichen Zahlen kommt das Gallup-Institut, das in Amerika als angesehenstes Umfrage-Institut gilt. 53 Prozent von mehr als 600 kurzfristig Befragten hätten sich für Kerry als TV-Sieger entschieden, nur 37 Prozent für George W. Bush.

Dass deutliche Zahlen – fast wie bei AOL – ausgerechnet beim Börsensender CNBC aufkamen, darf Kerry als echte Chance begreifen. Bis Mittag haben in einer noch laufenden Umfrage 75 Prozent der Zuschauer für Kerry gestimmt und 25 Prozent für Bush. Dabei gehört der Sender nicht nur zum Wall-Street-Riesen General Electric mit besten Verbindungen nach Washington, sondern hat seine Zuschauer fast ausschließlich in Chefetagen und in der Finanzwelt, wo bislang Bush favorisiert worden war.

Ganz erstaunlich deutlich ist das Umfrage-Ergebnis auf dem Fernsehsender CBS, der zur Viacom-Familie gehört und mit Bush ein wenig auf Kriegsfuss steht. 89 Prozent des dennoch nicht gerade linkslastigen Netzwerks sahen am Donnerstagabend Senator Kerry vorne, nur 10 Prozent sahen Bush am längeren Hebel. Wie zuverlässig diese Zahl ist, sei einmal dahingestellt: CBS hat nach einer Rekordstrafe für Janet Jacksons Nippel-Show allen Grund, sauer auf die konservative Regierung zu sein.

Dabei dürfte CBS immer noch näher an der Wahrheit liegen als der Haussender des Weißen Hauses. Fox News, der TV-Arm von Rupert Murdochs News-Corp-Imperium, sieht die Kandidaten nach anderthalbstündigem Schlagabtausch fast auf einer Höhe – mit einem leichten Vorteil für Bush. Der Präsident soll 40 Prozent der Zuschauer begeistert haben, Herausforderer Kerry nur 39 Prozent.

Dabei – und das ist das einzig wirklich überraschende an der Fox-Berichterstattung – gingen die Moderatoren gleich nach dem Rededuell ungewöhnlich harsch mit dem Präsidenten um. Der habe nicht nur „genervt“ ausgesehen bei mancher Kerry-Aussage, wie Moderator Brit Hume erklärte, sondern hätte, nach Ansicht von Kommentatorin Ceci Conolly, „schon nach zwei Dritteln sein Pulver verschossen“ gehabt. Kerry hingegen, so Conolly, habe den Bildschirm besser gefüllt als der Präsident.

Man mag sich denken, wem der nächste Anruf aus dem Weißen Haus gelten wird. Wenn es schon im Irak nicht gelingt, dürfte George W. Bush wenigstens beim Mediengeneral an der Heimatfront versuchen, Kommentatoren und Schreiberlinge in Reih’ und Glied zu bringen. Eine Woche hat er Zeit, dann geht es zum nächsten Schlagabtausch: Am Freitag nächster Woche geht es in Arizona um die Innenpolitik, vorher treffen sich die Vize-Kandidaten Cheney und Edwards in Cleveland zu ihrer eigenen Debatte.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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