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Alt 15-09-2003, 16:57   #1
Vogtlandsiggi
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Die Verschuldungsgefahren des Dollarsystems

Die Verschuldungsgefahren des Dollarsystems
von F. William Engdahl, USA

George W. Bush hat ein paar wirklich grosse Probleme. Der Präsident muss die Wiederwahl im November 2004 gewinnen, und das Problem, über welches die Wähler sich die grössten Sorgen machen, ist die Gesundheit der US-Wirtschaft, nicht die von Saddam Hussein oder seiner Söhne. Um die wirtschaftliche Gesundheit der Vereinigten Staaten steht es schlechter als in den Regierungsstatistiken zugegeben wird. Der Krieg der USA im Irak wurde nicht geführt, weil Amerika so stark ist. Es war ein Eingeständnis der fundamentalen Schwäche, ein hochriskantes Spiel, ein Versuch, die ökonomischen Grundfesten des globalen Dollarsystems zu stabilisieren, welche schwächer denn je sind. Wirft man einen Blick auf den tatsächlichen Zustand der amerikanischen Wirtschaft, dann bekommt man eine Vorstellung davon, wie die Realität aussieht. Der Zusammenbruch des Aktienmarktes 2000 war nur der Anfang einer Serie grösserer finanzieller Schocks, die mit Sicherheit die Dollarwelt bald treffen werden.

«Ist es für eine Wirtschaft wichtig, eine produzierende Industrie zu haben?»

Der Chef der US-Notenbank verblüffte den amerikanischen Kongress kürzlich mit einer Aussage. Alan Greenspan gab zu, dass die amerikanische Wirtschaft heute kaum noch irgendeine herausragende Leistung in der industriellen Technologie oder Produktion aufweisen kann. Seine eigentliche Sorge bestehe jedoch darin, wie man ein amerikanisches Finanz-«Kartenhaus» stützen könne (das auf Tricks und Drohungen aufgebaut sei), um den Fluss von wenigstens 1,5 bis 2 Milliarden Dollar täglich an frischem Geld aus dem Ausland am Laufen zu halten, damit die Konsumenten weiterhin Unmengen geborgtes Geld ausgeben könnten.

In seinem Bericht vor dem Committee on Financial Services im Repräsentantenhaus am 15. Juli stellte Greenspan die schockierende Frage: «Ist es für eine Wirtschaft wichtig, eine produzierende Industrie zu haben? Diese Frage ist sehr umstritten.» Er antwortete: «Wichtig ist, dass die Wirtschaft Werte schafft, und ob diese Werte dadurch geschaffen werden, dass man Rohstoffe nimmt und aus diesen etwas produziert, was die Konsumenten wollen, oder ob Werte geschaffen werden durch verschiedene Dienstleistungen, die die Konsumenten wollen, sollte wahrscheinlich keinen grossen Unterschied in bezug auf den Lebensstandard machen, weil das Einkommen, die Fähigkeit zum Kauf vorhanden ist. Solange man sich nicht um den Zugang zu ausländischen Produzenten von Industriegütern sorgen muss, denke ich, dass man argumentieren kann, dass es keine Rolle spielt, ob man selbst produziert oder nicht.»

Übersetzt heisst das, dass Greenspan sagt, «es ist egal», ob die amerikanische Industrie sich hin zu billigen Produktionsstandorten in China oder Indien davonmacht. Es ist egal, dass die amerikanische Industrie nicht mehr genug Qualitätsprodukte im eigenen Land produziert oder dass - als Folge der Importe von Erzeugnissen - das amerikanische Handelsbilanzdefizit mit Japan, China, der EU und dem Rest der Welt die rekordbrechende Höhe von 500 Milliarden Dollar jährlich erreicht hat.

Was für Greenspan und Washington zählt, ist der Umstand, dass Ausländer weiterhin ihren Dollarüberschuss zurück in die US-Wirtschaft führen, eine weitere Form des Dollar-Recycling zusätzlich zum Petrodollar-Recyling. Das gibt dem gewöhnlichen Bürger «das Einkommen, die Kaufkraft», aber mit dem Geld anderer Leute!

Da sich der Welthandel mit Öl und vielen anderen Dingen in Dollar abspielt, kann die US-Wirtschaft Schulden auftürmen und mit geborgter Zeit und von geborgtem Geld leben, solange die Welt weiterhin den Dollar als Zahlungsmittel akzeptiert. Amerika lebt von geborgtem Geld, das heisst letztlich von den Ersparnissen der Welt, einschliesslich derjenigen Deutschlands, Frankreichs, Japans und Chinas. Da der Dollar immer noch Standard- oder Reservewährung für beinahe 65% des ganzen Welthandels ist, können nur die USA damit durchkommen, von «geborgtem» Geld zu leben. Dabei hilft auch, dass Amerika die einzige verbleibende militärische Supermacht ist.

1970 waren 30% der gesamten US-Arbeiterschaft in der produzierenden Industrie tätig. Mit dem Trend zum billigen globalen Outsourcing ist diese Zahl auf nur noch 15% gesunken. Multinationale Unternehmen der USA investieren 140 Milliarden Dollar jährlich in die Produktion im Ausland, eliminieren dabei Arbeitsplätze in den USA und höhlen die produzierende Industrie aus. Da bleibt nur eine «Dienstleistungs-» oder Konsumentenwirtschaft übrig, die von ausländischen Geldern und dem Dollar als Weltreservewährung abhängig ist. Eine gefährliche Kombination!

Greenspan spielt das financial «chicken»

Die heutige US-Wirtschaft konsumiert mindestens 150 Milliarden Dollar mehr, als im Inland produziert wird. Für Greenspan ist das in Ordnung. Keine andere Nation könnte sich solch ein Handelsbilanzdefizit leisten, ohne mit einer Währungskrise rechnen zu müssen. Ausländische Investoren würden das Risiko als zu hoch erachten, wenn - sagen wir - Deutschland oder Dänemark oder Japan ein Jahr nach dem anderen ein solches Defizit aufweisen würden. Die USA als einzige Supermacht glauben, dass sie es sich leisten können. Bisher haben sich die USA fast jedes Jahr dieses Defizit geleistet, seit Nixon den Goldstandard 1971 aufgehoben hat. Dieses Jahr wird das US-Handelsbilanzdefizit einen noch nie erreichten Rekord von 500 Milliarden Dollar erreichen. Das Finanzministerium lässt einfach Banknoten drucken, um den Prozess in Gang zu halten.

Die Frage ist, wie lange der Rest der Welt noch akzeptieren wird, dass seine realen Waren vom US-Finanzministerium und der amerikanischen Notenbank mit inflationären Dollars bezahlt werden?

Mit dem Euro hat die EU nun zum ersten Mal das Potential, eine Alternative zum Dollar zu bilden, die stark genug wäre. Die EU müsste allerdings auch entschlossen danach handeln. Eine knallharte Botschaft aus Washington war der Irak-Krieg. Er war eine Warnung an die EU, nur ja nicht irgendwelche Öl-für-Euro-Ideen zu entwickeln! Japan, China und Asien reden bereits über eine Alternative zum Dollar, scheinen aber das Risiko zu scheuen. Solange der Dollar der König des Welthandels und der Finanzwelt bleibt, wird es mit der Weltwirtschaft langsam bergab gehen, während die Dollarschulden steigen.

Ausländische Zentralbanken sind heute Gläubiger von mindestens 43% der gesamten Schulden des US-Finanzministeriums. Entschlössen sie sich plötzlich, nur einen kleinen Teil dieser Wertpapiere zu verkaufen und den Dollar fallenzulassen, dann würde das in den USA und anderswo grosse wirtschaftliche Schocks bewirken. Seit 1971 spielt Washington mit seinen Handelspartnern das Spiel financial chicken, das heisst, Washington spielt mit den Ängsten seiner Verbündeten, dass nämlich, falls der Dollar zusammenbräche, Deutschland oder Japan oder andere Hauptgläubiger der US-Schulden ebenfalls zu den Verlierern zählen würden. Dadurch konnte Washington in den vergangenen 30 Jahren weiter auf Pump und weit über seine Verhältnisse leben.

Die Bank von Japan und die Bank von China und einige andere asiatische Zentralbanken haben mittlerweile schätzungsweise 1,5 Billionen Dollar an US-Staatsanleihen oder Wertpapieren von halbstaatlichen Immobilienfinanziers wie Freddie Mac oder Fannie Mae (siehe Kasten auf Seite 2) gekauft, die hinter der momentanen «Immobilienblase» in den USA stehen.

Warum führen sie ihre Überschüsse in die USA zurück, indem sie amerikanische Obligationen kaufen? Weil den Ausländern, seit Nixon die Golddeckung des Dollars abschaffte, nichts anderes übrigblieb, wenn sie mit ihren Dollars wenigstens etwas Gewinn erzielen wollten. Sie können sie nicht mehr in Gold umtauschen. Und die «sicherste» Investition sind US-Staatsanleihen oder solche von halbstaatlichen Unternehmen wie diejenigen, die den amerikanischen Immobilienmarkt stützen.

China besitzt heute 340 Milliarden solcher Dollarreserven, Japan mehr als 200 Milliarden. Wenn ein Teil davon verkauft würde, sänke der Dollarkurs und dadurch entstünden grosse Verluste. Deshalb bleiben sie beim Dollar, sogar wenn dieser schwächer wird. Als Folge steigt die Nettoverschuldung der USA beim Rest der Welt. Heute sind es etwa 3 Billionen Dollar, und diese Summe wird bis Anfang 2004 auf mindestens 3,7 Billionen Dollar anwachsen. Asiatische Zentralbanken halten ungefähr 1,5 Billionen Dollar. Der Rest wird von Europäern oder anderen privaten oder öffentlichen Investoren gehalten.

Bis jetzt sind die USA in der Lage gewesen, vom Geld anderer Leute zu leben, weil sie wussten, dass der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der Bank von Japan und anderen nichts anderes übrigblieb, als weiterhin mit den Dollars US-Staatsanleihen oder US-Wertpapiere zu kaufen. Denn wenn der Dollar tiefer als bisher fiele, wären auch die chinesischen, japanischen oder europäischen Exporte und Arbeitsplätze betroffen. Um das Risiko zu begrenzen, haben die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan seit dem Irak-Krieg sehr viele Dollarwertpapiere gekauft. Mit den so erzwungenen Käufen übernimmt der Rest der Welt die Kosten einer ausser Kontrolle geratenen Verschuldung von Wirtschaft und Staat in den USA - eine De-Facto-«Steuer» für die restliche Welt.
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Grüße von SIGGI
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