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Alt 01-12-2005, 16:39   #16
Benjamin
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WirtschaftsWoche - Technologie
Neue Exportmärkte erschließen
Montag 7. November 2005


Stroh und andere Abfälle sind die Basis von Biokraftstoffen der zweiten Generation. Sie schonen Umwelt und Ressourcen und erschließen Deutschland neue Exportmärkte.

Deutschlands Energiezukunft fällt derzeit von den Bäumen. Rund 26.000 Kubikmeter Herbstlaub fegen beispielsweise die Mitarbeiter des Münchner Gartenamtes in diesem Herbst auf Straßen, Plätzen und in Grünanlagen zusammen. Diese Masse wird zu Kompost verarbeitet. Schon bald dürften die bunten Blätterberge eine andere Verwendung finden: Sie lassen sich in einer Spezialanlage in synthetische Treibstoffe, in Diesel oder Ethanol, umwandeln, die sich als Beimischung zum Benzin eignen. Ein auch mengenmäßig interessanter Prozess: Die in München gesammelten Blätter dürften rund drei Millionen Liter ergeben.

Das Potenzial der Spritherstellung aus
Biomasse ist gigantisch. Allein in Deutschland könnten daraus rund 30 Millionen Tonnen Diesel gewonnen werden, hat Professor Konrad Scheffer vom Institut für Nutzpflanzenkunde an der Universität Kassel errechnet. Damit ließe sich der gesamte Bedarf an Diesel und Benzin in Deutschland decken, der nach einer Prognose des Mineralölwirtschaftsverbandes in Hamburg auch in den nächsten Jahren in dieser Größenordnung liegen wird.

Bei den hohen und vermutlich weiter steigenden Rohöl- und Treibstoffpreisen wittern Forscher und Unternehmer, die sich mit Techniken zur Herstellung von Biotreibstoffen beschäftigen, Morgenluft. „Ab (ABHG.OB - Nachrichten) einem Ölpreis von 100 Dollar pro Fass wäre Biotreibstoff schon mit heutiger Technologie konkurrenzfähig“, sagt Josef Auer, Energieexperte bei der Deutschen Bank (Xetra: 514000 - Nachrichten) . Da die Fortschritte bei der Entwicklung Kosten senkender Verfahren jedoch enorm sind, reicht schon ein niedrigerer Ölpreis.

Die Biotreibstoffe der Zukunft sind jedoch nicht die bereits weit verbreiteten Pflanzenöle und vor allem Biodiesel, das schon an rund 1900 deutschen Zapfsäulen zu haben ist. Deren Nutzung ist weitgehend ausgereizt – in Deutschland jedenfalls. Schon heute klagen Margarinehersteller über eine Kostenexplosion bei Rapsöl. Erst gentechnische Veränderungen könnten den Ertrag steigern. Doch diese Lösung ist in Deutschland bislang nicht durchsetzbar (WirtschaftsWoche 42/2005).

Besser, weil auf Dauer billiger, ist die Herstellung des Treibstoffs aus Bioabfällen, aus Herbstlaub, Stroh und Holzschnitzel, wie sie bei der Waldpflege und beim Zurückschneiden von Bäumen und Sträuchern an Straßen und Bahnstrecken anfallen, und aus dem, was die Deutschen in den grünen oder braunen Mülltonnen sammeln. Als „Schlüsseltechnologie für den Verkehr im nächsten Jahrzehnt“ preist Stefan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), die Umwandlung von Biomasse in Treibstoffe. Die dena sieht Deutschland bei diesen Techniken schon auf einem Spitzenplatz in der Welt. So ließen sich bei zunehmender Verknappung von Rohöl neue Exportmärkte erschließen und Arbeitsplätze schaffen, schwärmt Kohler. Unternehmen wie der Frankfurter Lurgi, die heute bereits zu den weltweit wichtigsten Lieferanten von Biodieselanlagen gehört, dürfte ein Boom bevorstehen.

Die Chancen sind umso größer, als das Interesse an Biokraftstoffen auch im Ausland rapide wächst. Europäischer Rat und Europaparlament haben vor zwei Jahren eine Richtlinie verabschiedet, nach der 2010 mindestens 5,75 Prozent des Treibstoffs aus Biomasse kommen müssen. Neues Denken zeigt sich auch beim weltgrößten Ölverbraucher USA, der sich lange so verhielt, als sei Rohöl in unendlichen Mengen verfügbar. So kündigte der amerikanische Energieminister Samuel W. Bodmann vor Kurzem an, 20 Prozent des Öls, das für die Treibstoffherstellung gebraucht wird, durch Biomasse ersetzen zu wollen – im Laufe der nächsten 25 Jahre. Die USA lassen sich die Forschung hierfür schon jetzt jährlich rund 300 Millionen Euro kosten. Da müssen die Europäer aufpassen, nicht ins Hintertreffen zu geraten. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gibt für die Biomasseforschung jährlich gerade Mal 28 Millionen Euro aus, der EU war sie in den vergangenen sechs Jahren nur insgesamt 75 Millionen Euro wert.

Deutschlands Hochburg für Biotreibstoffe ist das malerische sächsische Kreisstädtchen Freiberg. Jahrelang haben Wissenschaftler der Bergbaufakultät der dortigen Technischen Universität an Vergasungs- und Verflüssigungstechniken gearbeitet. Dieses Know-how haben TU-Wissenschaftler gemeinsam mit Bodo Wolf, einem ehemaligen Forschungsdirektor am Brennstoffinstitut der DDR in Freiberg, in eine erfolgreich getestete Pilotanlage umgesetzt (WirtschaftsWoche 21/2003).

Wolf, der mittlerweile die Geschäftsführung seines Unternehmens Choren Industries aus Altersgründen abgegeben hat, entwickelte mit Carbo V eine Technik, die Biomasse jeder Art (Berlin: FWP.BE - Nachrichten) in drei Prozessstufen besonders effektiv und kostengünstig in so genanntes Synthesegas und Koks umwandelt. Das hochreine Gas wiederum wandelt Choren mit einem Verfahren des Ölmultis Shell, dessen Tochter Shell Deutschland Oil seit einigen Monaten an Choren beteiligt ist, in SunFuel um, ein besonders edles Dieselöl. Es ist frei von Aromaten, sodass sich bei der Verbrennung selbst in Altmotoren kaum Ruß bildet. Da es auch keinen Schwefel enthält, lassen sich Autos, die mit SunFuel fahren, mit Katalysatoren ausstatten, die die Stickoxidemissionen drastisch reduzieren.

Die wirtschaftliche Anwendung steht unmittelbar bevor. Die auf 15.000 Jahrestonnen ausgelegte Vergasungsanlage in Freiberg wurde schon erfolgreich getestet, die SunFuel-Fabrik, aus der das fertige Produkt fließt, folgt 2006. Zwei Jahre später soll bereits eine 200.000-Tonnen-Produktionsstätte in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern anlaufen, die jährlich zwei Millionen Tonnen Biomasse verarbeitet. Die Produktionskosten liegen, so Choren-Manager Matthias Rudloff, bei etwa 70 Cent pro Liter. Die Herstellung von Diesel aus Mineralöl kostet derzeit 35 bis 40 Cent.

Unter diesen Wert will Professor Bernd Meyer kommen. Der Leiter des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen an der TU Freiberg erarbeitet gemeinsam mit Lurgi und der CAC Chemieanlagenbau Chemnitz im nächsten Jahr das Engineering (Mailand: ENG.MI - Nachrichten) für eine Pilotanlage, in der synthetischer Diesel, Synfuel genannt, mit einer völlig anderen, kostengünstigeren Technik gewonnen wird. Die Vergasung soll nach dem Verfahren erfolgen, mit dem Rheinbraun (heute RWE Power) einst Braunkohle in Gas umwandelte. Aus dem Gas wiederum wird nach einem von Lurgi bereits großtechnisch eingesetzten Verfahren Methanol gewonnen, das schließlich – und hier betreten die Freiberger Neuland – mit einer noch nicht erprobten Technik in Synfuel umgewandelt werden soll.

Die Choren-Ingenieure haben laut Manager Rudloff „sicherheitshalber“ auf die in der Kriegswirtschaft der Dreißigerjahre von den Deutschen entwickelten Technik zurückgegriffen, mit deren Hilfe an mehreren Standorten Braunkohle in Sprit für Panzer und Flugzeuge umgewandelt wurde.

Wissenschaftler der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften wollen die Umwandlung von Biomasse in Synfuel sogar in einem einzigen Schritt vornehmen. In einer Laboranlage haben sie gezeigt, dass es möglich ist, die Entwicklung steckt aber noch in einem frühen Stadium. Die Hamburger arbeiten mit dem fränkischen Unternehmen Alphakat zusammen, das ein ursprünglich ebenfalls in Deutschland für die Verflüssigung von Kohle entwickeltes Verfahren zur Verwertung von Altölen und Kunststoffabfällen modifizierte. Gemeinsam ist es ihnen gelungen, auch Biomasse mithilfe von Katalysatoren zu verflüssigen. Dazu reichen ihnen Temperaturen von 270 bis 350 Grad Celsius, weitaus weniger als bei anderen Verfahren.

Während sich die Biodiesel- und demnächst wohl auch die Sunfuelhersteller keine Sorgen um den Absatz machen müssen, sieht es bei den Bioethanolproduzenten schlechter aus. Zwar kann man zwei bis fünf Prozent Alkohol ins Benzin mischen. Doch dann, so Klaus Picard, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands, verringert sich die Qualität des Sprits. Wasser, das sich unvermeidlich in den Bodenlagerbehältern der Tankstellen ansammelt, wäscht den Alkohol aus, sodass die Klopffestigkeit des Treibstoffs leidet.

„Lauter lösbare Probleme“, meint Südzucker, einer der größten Hersteller von Bioethanol. Schützenhilfe erhalten die Mannheimer von Norbert Schmitz, vom Kölner Consultig-Unternehmen Meo, das sich intensiv mit Bioethanol beschäftigt hat. „Die Lösung ist allerdings mit Aufwand für die Mineralölindustrie verbunden“, räumt Schmitz ein. Deshalb bleibt das Benzin weit gehend bioethanolfrei. Lediglich zur Herstellung von ETBE, einer Chemikalie, die die Klopffestigkeit erhöht, wird Bioethanol im großen Stil genutzt. Die Zukunft von Sun- und Synfuel beschreibt Picard dagegen fast hymnisch: „Lasst uns mit den Biokraftstoffen der zweiten Generation den großen Sprung wagen.“

Geändert von Benjamin (01-12-2005 um 16:42 Uhr)
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