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Alt 26-05-2003, 08:27   #24
OMI
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26.05.2003, 09:20
Neues Krisenszenario - Streit um des Kaisers Bart? (EurAmS)
Nach Reformstau und Dollarschwäche nun das neueste Schlagwort zum Fürchten: Deflation. Anleger sollten sich davon allerdings nicht verunsichern lassen. Warum die Börse weiter Chancen bietet


von Stephan Bauer und Stefan Beste, Euro am Sonntag 21/03


Alan Greenspan schaffte es mal wieder, alle zu verwirren: Ja, er rechne mit einer baldigen wirtschaftlichen Erholung in den USA. Nein, genaueres könne er nicht sagen. Zeitpunkt und Ausmaß der Verbesserung blieben weiter ungewiss. Ja, das Problem einer drohenden Deflation sei sehr ernst. Nein, es gebe keine unmittelbare Deflationsgefahr in den USA.


Es ist das alte Spiel: Die Äußerungen, die der einflussreiche Chef der Fed vor dem US-Kongress zum Besten gab, ließen viel Raum für Deutungen. Wird die US-Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung am 25. Juni die Zinsen erneut senken? Oder wird sie diese auf dem gegenwärtigen Satz von 1,25 Prozent belassen, dem ohnehin schon niedrigsten Stand seit 40 Jahren?


Viel hängt von dieser Frage ab. Nicht nur in den USA. Auch die europäischen Märkte blicken dieser Tage - wie so oft - gebannt nach Amerika. Von dort, so hoffen die Investoren, soll erneut der entscheidende Impuls kommen, der Konjunktur und Aktienmärkte auch hier zu Lande in Fahrt bringt.


Denn dass Europa dazu allein nicht in der Lage sein wird, das haben die vergangenen Tage mal wieder eindrucksvoll bewiesen. Die Reihe der schlechten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik setzte sich fort. Und ausgerechnet die größte Volkswirtschaft des alten Kontinents ging erneut mit schlechtem Beispiel voran.


So ist inzwischen amtlich, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal um 0,2 Prozent geschrumpft ist. Immer lauter werden daher die Stimmen, die vor einem drastischen ökonomischen Niedergang Deutschlands warnen - wenn die Regierung nicht endlich durchgreifende Reformen auf den Weg bringt. "Jeden Tag ein neuer Vorschlag für Steuererhöhungen, das macht alles Vertrauen in die Zukunft kaputt", schimpft der unabhängige Anlageexperte Robert Halver. Die Folgen seien verheerend: Unternehmen verschieben ihre Investitionen in die Zukunft, Bürger halten sich beim Einkaufen zurück und legen das Geld lieber auf die hohe Kante. "Die Regierung muss endlich dafür sorgen, dass die Zuversicht zurückkehrt", fordert Halver.


Davon ist vorerst wenig zu spüren. Stattdessen schickte der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer pessimistischen Prognose den DAX zu Beginn der Woche erst einmal wieder auf Talfahrt. Sollte es bei dem für dieses Jahr erwarteten Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent bleiben oder das Wachstum gar noch schwächer ausfallen, drohe "mit erheblicher Wahrscheinlichkeit" eine Deflation, so die IWF-Volkswirte.



Deflation - das klingt nach Demontage, Desillusionierung, Depression. Ist es wirklich so schrecklich? "Wenn wir wirklich in eine Deflation rutschen, dann ja", sagt der Chefvolkswirt der Dresdner Bank, Michael Heise. Deflation, also der dauerhafte Verfall des Preisniveaus, würde unweigerlich eine Nachfrageschwäche nach sich ziehen - es droht eine Abwärtsspirale, die nur schwer zu durchbrechen ist (siehe rechts).


Doch so weit ist es nach Ansicht Heises noch lange nicht: "Wenn wir drei oder vier Jahre lang Stagnation in Europa hätten, würde die Gefahr einer Deflation sicherlich steigen", sagt er. "Doch daran glaube ich nicht." Gottfried Heller, Chef der Fiduka Depotverwaltung und einst Partner von André Kostolany, hält auch den Einfluss etwaiger Deflationsängste auf die Börsenkurse für überzogen: "Das Thema wird genauso aufgebauscht wie damals die Aufregung um den Jahrtausendwechsel. Was ist am Ende passiert? Gar nichts."


Trotzdem: Die Verunsicherung an den Börsen wächst. Zumal der anhaltend starke Euro Wirtschaft und Märkte zusätzlich belastet. Am Freitag erreichte das Euro/Dollar-Verhältnis mit 1,1819 vorübergehend ein neues Hoch. Der Rekordstand (1,1885 Dollar) stammte aus den ersten Handelstagen der Einheitswährung vom Januar 1999. Doch auch hier gilt: Auf den zweiten Blick sieht vieles gar nicht mehr so schlimm aus: "Ein Eurokurs zwischen 1,10 und 1,20 Dollar ist völlig normal", findet Dresdner-Volkswirt Heise. "Die Wirtschaft wird damit leben müssen."


Für einzelne Unternehmen freilich können die Folgen auch jetzt schon unangenehm sein. "Im Falle eines weiteren Anstiegs des Euro drohen Gewinneinbußen bei einer Vielzahl von Unternehmen", warnt etwa Stefan Schiesser, Leiter der Aktienstrategie bei der DZ Bank. Die Liste derer, die wegen des starken Euros einen Gewinnrückgang meldeten, wird immer länger: In der vergangenen Woche gaben unter anderem Philips, SGL Carbon und Epcos sinkende Erträge als Folge des schwachen Greenbacks bekannt. Es könnte noch schlimmer kommen: "Ich fürchte, dass es wegen des schwachen Dollars bei den Ergebnissen des zweiten Quartals zu einigen negativen Überraschungen kommen wird", so Analyst Schiesser.


Für Anleger lohnt es sich also durchaus, die Währungseffekte nicht zu unterschätzen. Laut Schiesser dürften vor allem exportstarke Pharma- und Chemiewerte sowie Maschinenbau- und Autotitel zu den Verlierern der Entwicklung zählen. Allerdings gibt es auch Profiteure - allen voran die Deutsche Telekom. Das Unternehmen hat rund 20 Milliarden Verbindlichkeiten in Dollar. Eine Abwertung um zehn Prozent bedeutet somit, dass die Tilgungs- und Zinsverpflichtungen der Bonner sich um zwei Milliarden Euro verringern werden. Dazu kommt, dass die Verluste der US-Tochter Voicestream durch die Umrechnung in Euro weniger stark zu Buche schlagen. Auf ähnliche Weise, wenn auch nicht so stark, dürften nach Einschätzung Schiessers auch Unternehmen profitieren, die viel im Dollarraum einkaufen oder produzieren und in Euroland verkaufen. Aktien wie BASF und Bayer, Sportartikel-Hersteller Adidas oder Halbleiterproduzent Infineon gehören dazu.


Wie das Euro-Risiko können Anleger auch das Deflations-Risiko umgehen. Es sind vor allem defensive Titel, die in Zeiten flauer Konjunktur die größten Chancen bergen. Beispiel Deutsche Post: Deflations-Gespenst und Euro-Gefahr können der Aktie Gelb wenig anhaben. Der Konzern macht das Gros seines Gewinns im Briefverkehr, und der ist unsensibel gegenüber den Unbilden der Konjunktur. Auch der starke Euro ist für die Post keine Gefahr: "Der Hauptgewinnbringer, die Briefsparte, ist absolut unabhängig vom Euro", sagt Analyst Nils Machemehl von M. M. Warburg.


Die Beispiele zeigen: Attraktive Anlagemöglichkeiten gibt es zuhauf. Anleger sollten sich von der Flut der tagesaktuellen Meldungen nicht zu sehr schrecken lassen, meint DZ-Stratege Schiesser. Gerade an Tagen, an denen die Kurse wegen vermeintlich schlechter Nachrichten ins Rutschen geraten, böten sich gute Einstiegs-Chancen. "Aktien sind gegenüber Renten noch immer massiv unterbewertet. Das wird sich mittelfristig ausgleichen."


Fondsmanager Heller ist ähnlicher Auffassung: "Es gibt gute Gründe, um jetzt in Aktien zu investieren: Die Zinsen sind niedrig, der Ölpreis wieder gefallen, die Unsicherheit über den Irak-Krieg beseitigt, und Aktien sind im Vergleich zu Renten immer noch sehr billig." Heller sieht in der Kursschwäche der vergangenen Tage eine logische Erholung nach dem starken Anstieg. "Das ist ganz normal und ändert nichts daran, dass man jetzt Aktien kaufen sollte."


Heller setzt vor allem auf eine hohe Dividendenrendite: "Bayer, VW-Vorzüge oder RWE sind mit einer Dividendenrendite von fünf Prozent und mehr schon jetzt deutlich attraktiver als Anleihen. Dazu kommt die Chance, dass die Unternehmen ihre Dividenden in den kommenden Jahren erhöhen."


Fehlt nur, dass die Mehrzahl der Investoren wieder Zuversicht schöpft. In den USA ist es schon so weit: Dort haben Aktienfonds dem Fondstracker Lipper Inc zufolge im April Mittelzuflüsse von netto 14 Milliarden Dollar verzeichnet und damit den höchsten Absatz seit April 2002 erreicht. Wenn sich US-Notenbankchef Alan Greenspan zu einer kräftigen Zinssenkung entschließt, dürfte es mit der Verwirrung der Investoren vorbei sein. Auch in Europa.


Deflation

Grund für das sinkende Preisniveau ist eine Situation, in der das Angebot an Waren und Dienstleistungen die Nachfrage übersteigt. Dieses Überangebot drückt die Preise. Der Begriff Deflation kommt vom lateinischen deflare ( = wegblasen, im Sinn von: die Luft aus den Preisen herausnehmen). Das Sinken der Inflationsrate bedeutet allein noch keine Deflation, solange die Preissteigerungsrate über null liegt.

Die Abwärtsspirale: Gelingt es bei stetig sinkendem Preisniveau nicht, die Nachfrage anzuheizen, besteht die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung. Die Verbraucher rechnen mit weiter fallenden Preisen und warten mit Käufen. Die Unternehmen müssen die Preise senken. Dadurch schrumpfen ihre Gewinne. Hält die Situation an, müssen Firmen die Produktion drosseln, Kapazitäten verringern und Mitarbeiter entlassen. Es kommt zu Konkursen. Die niedrigeren Gewinne drosseln die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das Preisniveau sinken weiter.

Besonders gefährlich: Bei fallenden Preisen steigt die reale Last für Schuldner. Sie tun sich schwerer, Kredite zurückzuzahlen. Die Zahl fauler Kredite nimmt zu, weshalb auch Banken vom Zusammenbruch bedroht sind.


DAX UND DEFLATION

Deflationsängste drückten den DAX am Montag aus seinem Aufwärtstrend. Nach den Marktforschern von Cognitrend ist die Stimmung der Anleger derzeit so schlecht wie lange nicht - 34 Prozent Bullen stehen 41 Prozent Bären gegenüber. Dies könnte sogar positiv sein. Cognitrend-Direktor Gianni Hirschmüller: "Der DAX blieb nach dem Einbruch für viele Pessimisten überraschend stabil. Setzt sich dies fort, könnte bald eine Eindeckungswelle folgen."

Quelle: finance-online
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