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Alt 19-03-2009, 11:39   #377
OMI
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19.03.09 12:05
Börse Frankfurt-News: 'Die Reiter der Apokalypse' (Kolumne)

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Blick auf die Börse von Oliver Roth*

19. März 2009. Oliver Roth, Chefhändler bei der Close Brothers Seydler Bank, befasst sich in seinem Börsenkommentar mit der aktuellen Lage Deutschlands. Wo steht unser Land im internationalen Vergleich und wo wird es nach der Krise stehen?

Die Johannes Visionen der Apokalypse haben die Ängste und Sorgen der Menschheit seit Jahrhunderten geschürt. Die Propheten, die das Ende der Welt voraussagten, fanden in Krisenzeiten schon immer wachsenden Zulauf. So ist es auch in diesen Tagen, in denen wir nach Meinung nahezu aller Ökonomen, die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Ende des 2. Weltkrieges erleben. Einige Experten, die den Untergang der Welt prognostizieren, haben ja nicht unrecht mit ihren Thesen und Analysen. Wir stehen an der Klippe und müssen nun die Balance halten, sonst stürzen wir ab. Viele andere 'angebliche' Fachleute reiten aber auf einer Welle der destruktiven Hysterie und mit denen halte ich es wie Winston Churchill.' Ein Experte ist ein Mensch, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.' Wir brauchen weniger Problemfinder sondern mehr Problemlöser. Auch die Mutter der Wirtschaftskrisen wird nicht das Ende der Welt nach sich ziehen. So stellen sich mir die Fragen, wo steht Deutschland aktuell im internationalen Vergleich und wo wird Deutschland nach der Krise stehen? Welche Faktoren sprechen für Deutschland und welche dagegen?

Zweifellos werden wir im Jahr 2009 auch in Deutschland nicht viel zu lachen haben. Das deutsche BIP schrumpft wohl um 4% - 5%. Unsere Staatsverschuldung wächst die nächsten Jahre massiv an. Die Verschuldung des Staates geht jetzt bereits schon in die Richtung von € 1,6 Billionen. Die Arbeitslosenquote wird stark ansteigen und es könnten dieses Jahr noch bis zu vier Millionen Menschen 'offiziell' ohne Arbeit sein. Das wird zusätzlich die öffentlichen Kassen belasten. Die Finanzinstitute werden weiterhin unsere Steuergelder benötigen, um sich von diesem Tiefschlag zu erholen. Zur Verdeutlichung der Lage: Wir stecken in zwei unterschiedlichen aber miteinander zusammenhängenden Krisen. Zum einen haben wir eine Finanzkrise und zum anderen eine schwere Wirtschaftskrise. Erst nach dem Ende der Bankenund Finanzkrise kann es zu einer dauerhaften Erholung der Weltwirtschaft kommen. Wenn erstmal die Finanzwirtschaft repariert ist, können die Zahnräder der Weltökonomie wieder in einandergreifen. Da wir erst am Anfang der Restrukturierung und des Kapazitätsabbaus stehen, wird wohl noch bis zu einem Jahr vergehen, bis sich der Himmel wieder aufhellt. Der Sturzflug der Wirtschaft und der Absturz der globalen Nachfrage werden sicherlich Europa und Asien wirtschaftlich hart treffen. Als Exportweltmeister trifft es uns dabei besonders schwer. Unsere Banken gehören nicht gerade zu den Gewinnern der Krise und alles hätte sogar noch viel schlimmer kommen können. Wagen sie doch mal einen Blick ins Vereinigte Königreich. Das 3 Säulen Modell des deutschen Bankwesens bestehend aus Privatbanken, Landesbanken und Sparkassen sowie Volksbanken hat sich dagegen als einigermaßen stabil erwiesen. Die Eigenkapitalvorschriften der Banken, bekannt als Basel II, haben ebenfalls dazu beigetragen, dass der Damm nicht bricht. Es sind allerdings auch bei den europäischen Finanzregulierungen Nachbesserungen nötig. Denn mittlerweile ist offensichtlich, dass sich diese Regelungen teilweise pro-zyklisch auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Ergo verschärft die beabsichtigte Stärkung der Eigenkapitalbasis von Finanzinstituten die Wirtschaftskrise in dieser Form sogar.

Doch damit ziehen wir einen Schlussstrich unter die Sollseite. Kommen wir zur unserer Habenseite und damit zu Deutschlands Stärken. Im Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern steht Deutschland so gut da wie lange nicht mehr. Viele Reformen der Ära Schröder haben uns rank und schlank gemacht, so dass sich unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit auch dadurch signifikant verbessert hat. Im Vergleich mit vielen europäischen Nachbarn sind unsere Reallöhne seit zehn Jahren nicht gestiegen. Dies führte zu einer erhöhten Effizienz und Produktivität unser Wirtschaft.. Fiskalpolitisch stehen wir so gut da, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Deutschlands Haushalts-Defizit lag in 2008 bei nur 0,1 % vom Bruttoinlandsprodukt. Leider werden wir in den nächsten Jahren wieder mehr Schulden machen müssen. Im Jahre 2009 wird unser Defizit bei rund 3% liegen. Der Trend wird sich noch verstärken. Doch wer sagt denn, dass die Schulden eines Staates irgendwann einmal vollends zurückgezahlt werden müssen? Es geht doch in erster Linie darum, dass der Staat handlungsfähig bleibt und die Zinszahlungen den Gesamtetat nicht über Gebühr belasten dürfen. Aktuell belasten die Zins- und Tilgungszahlungen den Bundeshaushalt mit ca. € 42 Mrd. Das ist zu viel. Aber noch sind wir weit vom Staatsbankrott entfernt, wenn man das Gesamtvolumen des Bundesetats mit € 288 Mrd. für 2009 im Gegenzug betrachtet. Wer den Prinzen will, muss eben die Kröte küssen. Unsere Staatsanleihen genießen weiterhin die höchste Bonitätseinstufung. Wir sind industriell breiter aufgestellt als viele unserer europäischen Nachbarn, die einerseits vom Landwirtschaftssektor andererseits vom Finanzsektor abhängig sind. Die deutsche Industrieproduktion trägt über 30% zum Bruttoinlandsprodukt bei und als exportstärkste Nation werden wir vom schwächelnden Euro besonders stark profitieren. Zwei Maßnahmenpakete mit einem Volumen von über € 50 Mrd. wurden geschnürt, um den Konsum der deutschen Bürger wiederanzuregen und durch die Konjunkturpakete der Chinesen, Amerikaner und Inder werden unser Maschinenbau, Automobilbau und viele andere deutsche Industriezweige zusätzlichen Rückenwind erhalten. Wenn die Weltwirtschaft wieder anläuft, dann sind wir in der Pool Position. Die Rohstoffpreise fallen seit Monaten und das Öl ist so billig wie lange nicht mehr. Diese Faktoren werden unsere Produktionskosten deutlich senken. Die Verschuldung unserer Privathaushalte ist im internationalen Vergleich als eher niedrig einzustufen. Wir haben eine traditionell hohe Sparquote von über 11% (Sparquote der USA stieg erst kürzlich von 0 auf 5%) und voraussichtlich langfristig niedrige Zinsen. Unsere Immobilienpreise sind seit Jahren nicht nachhaltig gestiegen, deshalb ist ein so dramatischer Preisverfall wie in den USA, Spanien oder im Vereinigten Königreich sehr unwahrscheinlich. Dort, wo keine Spekulationsblase entstanden ist, kann auch keine platzen.

Wer kämpft, der kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren. In den nächsten Monaten müssen wir tun was zu tun ist. Es wird ein steiniger Weg ohne Wenn und Aber. Die Marktbereinigung und der Abbau von Überkapazitäten werden schmerzvoll sein. Aber nur zu lamentieren hilft nicht weiter. Wenn jemand aus dieser Krise gestärkt wieder hervor kommt, dann sind es die Deutschen. Ich zitiere wieder Churchill. ' Es ist sinnlos zu sagen: Wir tun unser Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun was erforderlich ist.' Als erstes ist es erforderlich die Finanzkrise zu beenden. Wenn dieser Schritt konsequent erfolgt, dann werden die falschen Propheten und Reiter der Apokalypse ganz von selbst wieder verschwinden. Genauso, wie das schon seit Jahrhunderten nach Krisen geschieht.

© 19. März 2009/Oliver Roth

* Oliver Roth ist Chefhändler und Börsenstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Das Unternehmen ist eine der größten Wertpapierhandelsbanken in Deutschland. Roth arbeitet seit 1990 an der Frankfurter Wertpapierbörse und ist seit 11 Jahren bei der Close Brothers Seydler Bank AG, bei der er sowohl Erfahrungen im Rentenhandel als auch im Handel mit deutschen und ausländischen Aktien auf dem Frankfurter Parkett der Deutschen Börse gesammelt hat.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

Quelle: dpa-AFX
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