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Alt 07-10-2004, 20:27   #8
Starlight
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Die Crux mit Vioxx und Celebrex

Pharma-Aktien haben an der Börse einen besonderen Status. Sie sind nicht nur eine gute (oder schlechte) Geldanlage, sondern die Unternehmen umgibt eine Aura zwischen Leben rettenden Pillen und Abzocke in der Apotheke. Der weltweite Rückruf eines Arthritis-Medikaments in der vergangenen Woche wirft ein neues Licht auf die Branche.

Anleger schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, als Merck in der vergangenen Woche völlig überraschend das Arthritis- und Schmerzmittel Vioxx weltweit vom Markt nahm. Doch für die Dow-Aktie und die Investoren war alles zu spät: Noch bevor der Handel eröffnete, hatte das Papier etwa ein Viertel seines Wertes abgegeben und es erholte sich nicht mehr.

Seit dem Rückruf von Vioxx ist die Stimmung im Pharmasektor flau. Große Sorgen macht man sich im Hauptquartier von Merck in Whitehouse Station im US-Bundesstaat New Jersey. Etwa eine Autostunde von New York entfernt werden zwar keine Medikamente hergestellt, hier laufen aber Forschung, Produktion, Vertrieb und Marketing zusammen und zwischen Labor und Werbepostern hängen eine Menge Merck-Jobs direkt an Vioxx.

Mitarbeiter zittern nun um ihren Gehaltsscheck, das Management hingegen um noch viel mehr. Dass Merck Vioxx nach ausführlicher Lektüre einer verhängnisvollen Studie – das Mittel erhöht die Gefahr von Kreislauf-Problemen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall – unverzüglich vom Markt nahm, dürfte die Anwälte einer Klage-freudigen Nation nämlich nicht davon abhalten, in Kürze Sammelklagen in Milliardenhöhe einzureichen. Der Merck-Aktie stehen auch nach den dramatischen Kursverlusten der letzten Woche noch schwere Zeiten bevor.

Umso schöner hätte das Leben für Pfizer-Aktionäre sein können. Der New Yorker Pharmazeut hat mit Celebrex das einzige große Konkurrenz-Präparat zu Vioxx auf dem Markt, man rechnete mit Millionen neuer Kunden. Doch die Aktie spiegelt diese Vorfreude nicht wieder – aus gutem Grund. Neue Studien belegen, was kritischen Beobachtern schon in der vergangenen Woche auffiel: Es könnte durchaus sein, dass die Herzinfarkt-Probleme nicht Vioxx-spezifisch sind, sondern auch andere Medikamente der so genannten COX-2-Reihe betreffen, also auch Celebrex.

Sicher ist das wohlgemerkt nicht, doch sieht der Herspezialist Dr. Garret FitzGerald die Beweislast bei Pfizer. „Dass es keinen Beweis für die Gefahr gibt, beweist nicht, dass es keine Gefahr gibt“, urteilt der Experte in einem Kommentar in der New York Times. Und seinem Urteil schließen sich andere Mediziner an. Pfizer-Aktionäre riechen den Braten und werfen die Aktie aus dem Portfolio, am Donnerstag notiert das Papier mit einem Abschlag von 5 Prozent.

Diskutiert werden auf dem Parkett aber nicht ausschließlich die börsenpolitischen Folgen der Vioxx- und Celebrex-Geschichte. Wann immer ein Unternehmen in der Krise ist, melden sich Fans und Gegner der Branche, um Sympathie und Antipathie beizusteuern – bei den Pharmawerten wird heftiger gestritten als sonst.

Da möchte einer gerne sagen, dass es nicht fair sei, Merck zu verklagen. Immerhin hat das Unternehmen sein Bestes getan, Patienten zu helfen. Und als die Hilfe neue Gefahren offenbarte, reagierte das Management unverzüglich und ohne Rücksicht auf eigene Verluste und Folgen für das Unternehmen. Das ist nobel. Doch lässt sich Merck – ebenso wie der Rest der Branche – seine Hilfe am Patienten auch fürstlich bezahlen. Nicht zuletzt dank der Industrie-freundlichen Politik von George W. Bush sind Medikamentenpreise in den USA so dramatische gestiegen, dass viele Senioren abwägen müssen, ob auf Arznei oder Essen leichter zu verzichten sei.

Mitleid mit der Pharma-Industrie zu haben ist also nicht leicht. Mancher schafft es trotzdem. Auf einem Radiosender in New Jersey mahnte am Tag der Vioxx-Panne eine besorgte Hörerin, Amerika müsse wieder einmal zusammenstehen und für die Pharmazeuten eintreten. Es gehe nicht an, so die besorgte Anruferin, dass Amerikaner ihre Medikamente günstiger in Kanada kaufen. Das schade den Unternehmen und bringe hohe Risiken mit: Immerhin entsprächen kanadische Medikamente nicht den hohen Sicherheitsstandards in den USA.

Das ist natürlich kompletter Quatsch, und umso schwieriger ist es, ein gutes Wort für Merck, Pfizer und Co. zu finden. Denn die Firmen und Bush belügen das Volk seit Jahren in Bezug auf Sicherheitsbedenken. Dabei sind die Medikamente auf dem kanadischen Markt dieselben Präparate wie auf dem US-Markt. Nördlich der Grenze wird lediglich besser verhandelt, und Patienten wehren sich nach den Prinzipien einer freien Marktwirtschaft gegen zu hohe Preise.

Die Pharma-Branche taugt in den USA nicht zum Sympathieträger, und das macht ein Investment in die Aktie nicht leichter. Denn der Unmut gegenüber den Konzernen ist es, der Merck – und im Falle eines Problems bei Celebrex – auch dem Konkurrenten Pfizer vernichtende Klagen einbringen kann. Wenn die Schadenersatz leisten müssen, dürfte die Aktie über eine lange Zeit im Keller sein.

Markus Koch © Wall Street Correspondents
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