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Alt 06-11-2004, 04:54   #70
Starlight
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Die kurzfristige Freude an der Wall Street

Was für ein Start für den Präsidenten: Drei Tage nach seiner Wiederwahl blickt George W. Bush – wenn er von seinem Wochenendsitz in Camp David die Börse verfolgt – nichts als grüne Pfeile. Ein starker Arbeitsmarktbericht für den Oktober dürfte ihn vor dem Wochenende noch erfreuen. Doch es wartet viel Arbeit.

Ein starker Arbeitsmarktbericht allein macht nämlich noch keinen Konjunktur-Erfolg, das muss George W. Bush wissen. Sicher, mit 337 000 neuen Jobs, die Amerika im Oktober geschaffen hat, ist das Monats-Soll zunächst einmal deutlich übererfüllt. In zehn der vergangenen zwölf Monate indes waren die Zahlen deutlich unter den Erwartungen zurück geblieben.

Und auch der Oktoberbericht ist schließlich nicht makellos. So fällt auf, dass im Produzierenden Gewerbe erneut 5000 Stellen angeschafft wurden. Umso erstaunlicher übrigens ist, dass Bush sich die Stimmenmehrheit im Industrie-Staat Ohio sichern konnte. Dort sind in den letzten vier Jahren mehr als 200 000 Jobs abgebaut worden, die Arbeitslosigkeit liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt.

Erstaunlicherweise allerdings, das beweisen immer mehr Studien, hat eine schlechte Wirtschaftpolitik Bush in den Präsidentschaftswahlen ebenso geschadet wie die schlichtweg katastrophale Außenpolitik. Amerika hat vor wenigen Tagen die moralischen Wertvorstellungen des Wahl-Texaners bestätigt. Ein Land unter Gott, Abtreibung gehört verboten, Schwule dürfen auf keinen Fall heiraten.

Dass solche Fragen an der Urne mehr Gewicht haben würden als alle Probleme, die Bush in Wirtschaft und Haushalt, im Irak und sonstwo im Kampf gegen den Terror hat, überraschte die Demokraten um John F. Kerry sichtlich – jetzt müssen sie, und das Land, aber damit leben.

Das dürfte ihnen indes nicht leicht fallen. In seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl versprech Bush zwar, in seiner zweiten Amtszeit zunehmend auf die Demokraten, oder zumindest auf einen moderaten Mehrheitskurs einschlagen zu wollen, für entsprechendes Handeln spricht aber nicht viel. Bush bestätigt bei ersten Nachfragen seine Position als Hardliner, wenn er Sitze im Supreme Court neu vergeben muss.

Und auch mit Blick auf die Kabinettsumbildung dürfen sich die Gegener der Falken kaum Hoffnungen machen: So sehr ein Abschied von Ashcroft und Rumsfeld und eine weitere Amtszeit für Außenminister Powell wünschenswert wären, so sehr deutet vieles auf einen Abschied von Powell und ein Aufrücken des Rumfsfeld-Adjudanten Wolfowitz hin. Allein Ashcroft dürfte aus gesundheitlichen Gründen von selbst den Hut nehmen.

Zurück zur Wirtschaft: Ein Blick auf die politischen Positionen des neugewählten Präsidenten lässt nicht die Vermutung zu, dass Bush an seiner bisherigen Konjunkturpolitik irgend etwas ändert. Die Steuervorteile für Industrie und Oberschicht dürften schon bald auf Jahre festgeschrieben werden. Und während die Wall Street jubelt – Halliburton notiert auf einem Drei-Jahres-Hoch, Öl-Aktien und die Papiere des Pharma- oder Autosektors klettern –, dürfte das wenig Stabilität bringen.

Kerry Position, nach der die Top-Verdiener mehr und die Mittel- und Unterschicht weniger Steuern bezahlt hätten, hätten den Konsum angeheizt. Davon hätte der Arbeitsmarkt profitiert, der auch nach dem Oktober-Bericht kein Plus für Bush ist. Bush hingegen hat die Wahl gewonnen, die Wall Street freut sich über kurzfristige Gewinne – muss sich aber langfristig auf Schwäche einstellen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents
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