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Alt 12-05-2003, 07:35   #5
OMI
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12.05.2003, 08:26
ZERTIFIKATE - Verkannte Gewinnchancen (EurAmS)

Bisher werden Zertifikate von vielen Privatanlegern links liegen gelassen.Dabei bieten sie das optimale Investment für jede Marktlage. Worauf Anleger achten müssen. Wo die Vorteile liegen


von Joachim Spiering, Euro am Sonntag 19/03

Was nun? Kaum hatte der DAX die wichtige Hürde von 3000 Punkten übersprungen, legte er Ende vergangener Woche erst mal eine Verschnaufpause ein. Für viele Privatinvestoren besonders bitter: Sie hatten das kräftige Kursplus seit Anfang März, als Aktien im Zuge der Frühjahrsrally plötzlich wieder en vogue waren, schlicht verpasst und ärgern sich heute. Gerade die vergangene Woche hat aber auch gezeigt, mit welchen Überraschungen an der Börse zu rechnen ist: Während Henkel, immerhin einer der stärksten Werte während der Baisse, bei der Vorlage der Quartalszahlen enttäuschte, überraschten die Sorgenkinder Bayer und Commerzbank positiv.


Dabei ist das Kopfzerbrechen, welche Aktie man kaufen soll, gar nicht nötig. Denn neben dem Investment in Einzeltitel gibt es eine hervorragende Alternative, in verschiedene Indizes, Branchen oder Regionen zu investieren: den Kauf von Zertifikaten.


In den Portfolios der Börsenprofis ist diese Anlageform längst ein absolutes Muss. „Beispielsweise lässt sich durch ein Zertifikat auf den DAX die Entwicklung des deutschen Marktes am besten abdecken“, sagt der Münchner Vermögensverwalter Jens Ehrhardt und investiert regelmäßig in diese Papiere. So mancher Privatanleger lässt dagegen lieber die Finger von Zertifikaten. „Vielen ist nicht verständlich, wie sie funktionieren. Da gibt es noch viel Aufklärungsbedarf“, glaubt Ralph Luther. Er verwaltet bei der Berenberg Bank einen Fonds, der ausschließlich in Zertifikate investiert. Die Unlust der Privatanleger könnte nach Ansicht von Luther aber noch einen weiteren Grund haben: „Vielleicht glauben einige, dass die Banken ordentlich in die eigene Tasche wirtschaften.“


Genau das Gegenteil ist der Fall – zumindest normalerweise. Während bei Fonds Ausgabe-Aufschläge und Management-Gebühren einen Teil der Performance aufzehren, sind die Gebühren bei den meisten Zertifikaten deutlich geringer. Zudem zahlen Anleger, die beispielsweise ein Index-Zertifikat auf den DAX kaufen und damit die Kursentwicklung des wichtigsten heimischen Aktienindex 1:1 abbilden, nur einmal die übliche Transaktionsgebühr. Wer dagegen breit in Aktien investiert und sich sieben DAX-Werte ins Depot legt, wird von der ausführenden Bank sieben Mal zur Kasse gebeten. Luther glaubt deshalb, dass auch Privatanleger sich zunehmend Zertifikaten zuwenden. „Wenn die Kunden diese Anlagemöglichkeit erst einmal entdeckt haben, werden sie erkennen, welche Superidee dahinter steckt“, prophezeit er.


An Auswahl mangelt es bei Zertifikaten nicht. Seit die Dresdner Bank 1990 erstmals ein Index-Papier auf den DAX aufgelegt hat, zog praktisch jedes namhafte Geldinstitut nach. Allein auf den deutschen Leitindex gibt es derzeit rund 30 Zertifikate, die sich nur durch unterschiedliche Laufzeiten unterscheiden. Im Archiv des Internet-Finanzdienstleisters Onvista sind über 9000 Zertifikate aufgeführt. Und fast täglich kommen neue hinzu.


Die Zertifikate-Welt lässt sich in vier große Gruppen einteilen: Index- und Garantie-Zertifikate, Baskets und Discounter. Am einfachsten zu verstehen sind die Index- und Basket-Zertifikate. „Ihre Funktionsweise ist für jeden Anleger leicht nachzuvollziehen“, meint Andreas Niessl, Derivate-Spezialist bei Sal. Oppenheim. Etwas komplizierter sind die Discounter sowie viele Garantie-Zertifikate. Hier sind die Banken äußerst erfinderisch, fast wöchentlich kommen neue, zum Teil recht komplizierte Konstrukte auf den Markt. Zusätzliches Problem: Durchaus interessante Produkte verstecken sich nicht selten hinter Wortungetümen, die auf Anleger eher abschreckend wirken.


Eine Sonderrolle nimmt der relativ neue Typ der Hebel-Zertifikate ein. Sie sind bei sehr spekulativ eingestellten Anlegern inzwischen als Alternative zum klassischen Optionsschein äußerst beliebt, lässt sich damit doch im Depot der Turbo einschalten. So kompliziert muss es aber nicht sein. Das Schöne daran: Je nach Marktlage und Einschätzung der weiteren Entwicklung gibt es für den klassischen Anleger, der kein allzu hohes Risiko eingehen möchte, auch unter den gängigen Zertifikaten das passende Produkt.


In Bullenmärkten sind Index-Papiere erste Wahl. Das hat die Frühjahrsrallye gezeigt, als der DAX in der Spitze um fast 40 Prozent zulegte. Anleger, die sich rechtzeitig ein entsprechendes Index-Zertifikat ins Depot legten, konnten diese Performance voll mitnehmen. Wer dagegen auf Einzeltitel gesetzt hat, dürfte unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Während sich Werte wie TUI, MLP oder Commerzbank fast verdoppelt haben, hinkten Titel wie Volkswagen oder Fresenius Medical Care dem Gesamtmarkt deutlich hinterher.


„Natürlich lässt sich mit den richtigen Einzeltiteln im Vergleich zum Gesamtmarkt eine bessere Performance erzielen“, sagt Berenberg-Fondsmanager Luther. „Wer aber auf den Gesamtmarkt setzen will und sich nicht entscheiden kann, welche Aktien er kaufen soll, für den ist ein Index-Zertifikat besser geeignet.“ Zumal auch die herkömmlichen Fonds, die sich an einem Index orientieren, nicht immer eine gute Alternative sind. Nach einer Untersuchung der Vermögensverwaltungsgesellschaft Feri Trust schnitten in den vergangenen zehn Jahren mehr als 85 Prozent aller europäischen Aktienfonds schlechter ab als der Vergleichsindex MSCI Europe. Warum also in einen teuren Fonds investieren, wenn man es als Anleger auch billiger und direkter haben kann?


Sind in Bullenmärkten Index-Zertifikate das Richtige, sieht es in eher richtungslosen Börsenphasen, in denen sich die Kurse – mit leichten Ausschlägen nach unten und oben – seitwärts bewegen, anders aus. „Dann sind Discount-Papiere ein optimales Investment und Index-Zertifikaten überlegen“, meint Luther. Der große Charme dieser Produkte, die es auf Indizes wie auf Einzelwerte gibt: Der Anleger hat einen Sicherheitspuffer nach unten, dafür ist im Gegenzug die Gewinnchance begrenzt.


Dennoch scheuen viele vor den oft attraktiven Discountern zurück. Derivate-Spezialist Niessl hat zwei Erklärungen dafür. Da ist zum einen der psychologische Effekt: „Die Kunden sehen sich durch den Cap nach oben in der Ertragsaussicht begrenzt“, meint er. Zum anderen hänge es mit der Art des Produkts zusammen. „Es ist einfach ein bisschen komplexer als ein Index- oder Basket-Zertifikat.“


Dabei lohnt es, sich mit den Produkten genauer auseinander zu setzen. Für die kommenden Wochen erwarten viele Experten eher eine Seitwärtsbewegung. Zwar sind Ausschläge nach oben auf 3300 Punkte jederzeit drin, doch scheint der DAX nach der jüngsten Rally erst einmal Luft zu holen. Zudem haben die Wirtschaftsdaten für Ernüchterung auf dem Parkett gesorgt: Die Arbeitslosenquote ist weniger stark zurückgegangen als erwartet, die Auftragseingänge der deutschen Industrie sind stärker eingebrochen als erhofft. „Das belastet den Markt zusätzlich“, heißt es in Frankfurter Händlerkreisen.


Gift war am Donnerstag zudem, dass die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nicht gesenkt hat. Das setzte die deutschen Aktien, allen voran die Finanzwerte, neuerlich unter Druck. Zudem hängt der DAX weiter eng an den US-Börsen, was Tag für Tag zu beobachten ist: Je nachdem, wie Dow Jones und Nasdaq eröffnen, geht es mit dem deutschen Index von 15.30 Uhr an entweder nach oben oder nach unten. Der Sprengsatz, der in dieser Kopplung liegt, besteht darin, dass US-Aktien immer noch als zu teuer gelten. Daher ist mit weiteren Rückschlägen beim DAX oder Euro Stoxx 50 durchaus zu rechnen. „Ich erwarte, dass der DAX in den kommenden Wochen in einer Range zwischen 3300 und 2750 Punkten pendelt“, prognostiziert Luther. „Für solche Phasen sind Discounter optimal.“


Welche Discounter aber bieten sich im Einzelnen an? Was ist das Besondere an ihnen? EURO hat zusammen mit der Berenberg Bank zwei Musterdepots mit Discount-Zertifikaten erstellt, anhand derer sich die Funktionsweise dieser Papiere ohne weiteres nachvollziehen lässt. Ein Depot verfolgt einen eher konservativen Ansatz, das zweite hat eine mehr spekulative Ausrichtung. Ein Blick auf die Tabelle macht die Unterschiede deutlich: Das konservative Depot erzielt eine maximale durchschnittliche Rendite von gut zehn Prozent, bei dem aggressiveren Depot liegt die Gewinnchance mit über 26 Prozent deutlich höher. Dafür sind hier die Sicherheitspolster geringer.


Das konservative Rabattpapier auf den DAX kostet aktuell 22,13 Euro. Bei einem Bezugsverhältnis von 100:1 heißt das so viel wie: Der Anleger „kauft“ sich den DAX zu einem Stand von 2213 Euro. Gegenüber dem tatsächlichen DAX-Stand von 2956 Euro ist das ein Abschlag oder Sicherheitspuffer von etwa 25 Prozent. Der deutsche Leitindex kann also bis zum Laufzeitende auf 2213 Punkte fallen, ohne dass der Anleger mit seinem Engagement ins Minus gerät. Die Gewinnschwelle (Cap) liegt bei 2400 Punkten. Das heißt: Schließt der DAX zum Laufzeitende am 18. Juni 2004 über dieser Marke, erhält der Anleger die höchstmögliche Rendite von immerhin 8,5 Prozent.
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OMI
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