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Alt 01-12-2005, 12:28   #13
Benjamin
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Treibstoff für Europa
November 2005



Preiswerter Sprit vom Acker lockt immer mehr Kraftfahrer.
An einigen Tankstellen ist Biodiesel schon ausverkauft.
Europaweit hat im Kraftverkehr ein Trend weg vom Öl begonnen.

Text: Martin Bensmann

Europas Treibstoffkanister wird grün. Monat für Monat werden neue Pläne für Biodiesel- und Bioethanol-Produktionen publik. Die potenziellen Betreiber übertreffen sich gegenseitig mit Kapazitätsrekorden. Und an den Tankstellen ist der Run auf Ökosprit so groß, dass in Deutschland und Österreich erste Zapfsäulen den Ausverkauf von Biodiesel vermelden mussten.
Viele private Autofahrer sind inzwischen beim Neukauf auf Fahrzeuge umgestiegen, die von den Herstellern für Biodiesel freigegeben sind. Und im Transportsektor setzen Speditionen, Busunternehmer oder Betreiber von Fahrzeugflotten auf Biosprit. Ihre Motivation: Kosten sparen.
Aktuell ist Biosprit um bis zu 20 Cent je Liter günstiger als fossiles Benzin oder Diesel. Spekulationsgeschäfte und wachsende Nachfrage haben den Rohstoff Erdöl extrem verteuert, Biokraftstoffe profitieren zudem von der seit dem 1. Januar 2004 in Deutschland geltenden Mineralölsteuerbefreiung.

Weniger Steuern, mehr Biosprit
Auch andere EU-Länder versuchen mit Fördermaßnahmen wie Steuererleichterungen Biokraftstoffe in den Markt zu bringen. Laut Jan Henke vom Kieler Institut für Weltwirtschaft bestehen in Belgien, Frankreich, Irland, Italien, Österreich, Schweden und Spanien unterschiedliche Steueranreize für die Produktion und Verwendung von Biokraftstoffen. Allerdings gelte nur in Belgien, Deutschland, Österreich und Spanien eine 100-prozentige Verbrauchssteuerbefreiung für Biokraftstoffe ohne Mengenbeschränkung.
Die Niederlande haben mittlerweile eine Regelung zur Beimischung eingeführt. Ab dem Jahr 2007 muss die Mineralölwirtschaft herkömmlichem Benzin und Diesel zwei Prozent Bioethanol beziehungsweise Biodiesel beimischen. Nach Angaben des niederländischen Finanzministeriums soll eine Steuererleichterung in Höhe von 70 Millionen Euro die Nachfrage nach regenerativen Kraftstoffen ankurbeln. In Großbritannien gibt es seit Jahresbeginn eine Steuerermäßigung für Biokraftstoffe und in Griechenland und Portugal sind Fördermaßnahmen geplant.
Der Kieler Wirtschaftsexperte Henke berichtet weiter, dass auch in den neuen EU-Mitgliedsstaaten bereits Förderprogramme für Ökokraftstoffe bestehen beziehungsweise vorbereitet werden. In Polen werden Steuerbefreiung und Mindestbeimischungsquoten seit 2001 kontrovers diskutiert. „Die erste Gesetzesinitiative hat Präsident Aleksander Kwasniewski in 2003 per Veto gestoppt. Eine weitere kippte der oberste Gerichtshof 2004 aufgrund fehlender Wahlfreiheit für die Konsumenten zwischen reinen fossilen Kraftstoffen und solchen mit Bioanteil“, schildert Henke die Situation.
In Tschechien existiert dagegen bereits ein Förderprogramm und eine Steuerbefreiung. Der Sprit vom Acker wird dort als eine Möglichkeit gesehen, die landwirtschaftliche Überproduktion zu reduzieren. „Besonders Biodiesel, dessen Produktion seit 1991 gefördert wird, ist schon relativ stark im Markt vorhanden. Er wird in Form einer 31-prozentigen Beimischung zu fossilem Diesel separat an Tankstellen verkauft“, weiß Henke.
Auch Estland, Lettland, Litauen und Ungarn bieten Steueranreize für Biokraftstoffe. In Ungarn ist allerdings nur Biodiesel und ETBE steuerbefreit. Dänemark lehnt dagegen die Verwendung von Biokraftstoffen mit der Begründung von im Vergleich zu Benzin zu hohen Produktionskosten ab. In das gleiche Horn stößt Irland.
Doch das sind Ausnahmen. Die Bemühungen aller anderen Länder haben ihren Grund: Die Europäische Union will ihre wachsende Abhängigkeit von Ölimporten verringern und hat in der EU-Richtlinie 2003/30/EG vorgeschrieben, dass bis Ende 2009 EU-weit 5,75 Prozent aller Kraftstoffe aus pflanzlichen Rohstoffen kommen sollen. Deutschland ist auf einem guten Weg. Als einziges EU-Mitglied werden hierzulande in diesem Jahr mehr als zwei Prozent erreicht.

Biodiesel wird sich verdoppeln
Weil sich Biodiesel mit fossilem Diesel gut verträgt und ein Anteil von fünf Prozent Biodiesel ohne Umrüstung der Motortechnik problemlos beimischen lässt, haben die großen Mineralölkonzerne Shell, OMV, Total, Orlen und BP/Aral zu mixen begonnen.
Das hat wiederum einen solchen Nachfrageschub ausgelöst, dass in Deutschland erstmals die Produktionskapazitäten für Biodiesel ausgelastet sind. Diese lagen Ende vergangenen Jahres bei 1,2 Millionen Tonnen. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, stocken viele Anbieter jetzt auf. So auch im derzeit größten deutschen Biodieselwerk des US-amerikanischen Unternehmens Archer Daniels Midland in Hamburg. Die Produktionskapazität wurde hier kürzlich von 150.000 auf 300.000 Tonnen verdoppelt. Weil es andernorts ebenso steil nach oben geht, werden die Biodieselproduzenten in Deutschland zum Jahresende voraussichtlich die Zwei-Millionen-Tonnen-Grenze knacken.
Und wer fährt mit dem Sprit? Bislang vor allem die Großverbraucher. Nach den Statistiken des Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie e.V. (VDB) gingen im vergangenen Jahr 55 Prozent des Biodiesels an Speditionen und ihre Fuhrparks. 25 Prozent wurden in Form von B5, also einer Beimischung von fünf Prozent, verkauft und 20 Prozent als B100, sprich: reiner Biodiesel, für Pkw über Tankstellen abgesetzt. Im laufenden Jahr kommt ein neues Segment hinzu: Die Landwirtschaft wird fünf Prozent des Marktvolumens konsumieren. Das Tankstellengeschäft wird dagegen, so schätzt der VDB, auf zehn Prozent sinken. Der Absatz an Speditionen dürfte sich ebenfalls um zehn Prozent auf 45 Prozent der Marktmenge verringern. Deutlich zulegen wird aber der so genannte Blend-Markt: Der Mischkraftstoff B5 könnte auf 40 Prozent ansteigen.
Weil mit reinem Biodiesel betriebene Pkw die strengen Abgasnormen nach Euro IV künftig nur noch mit eingebautem Kraftstoffsensor einhalten dürften, werden Privatleute voraussichtlich
seltener 100 Prozent Bio tanken. Erschwerend kommt hinzu, dass Fahrzeughersteller wie Volkswagen oder Mercedes neue Modelle nicht mehr ab Werk für den Rapssprit freigeben. Schwere Nutzfahrzeuge haben keine vergleichbaren Toleranzprobleme. Deshalb brummen immer mehr Lkws zwischen 2,5 und 7,5 Tonnen mit Biodiesel über die Straßen.
Dafür werden viele Privatleute zumindest einen kleinen Teil Biosprit im Tank haben. Nach Berechnungen der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (Ufop) e.V. ergibt sich für die Beimischung von fünf Prozent bei den vorhandenen rund 15.000 Tankstellen, die den Ökosprit verkaufen, ein Biodieselbedarf von rund einer Million Tonnen. In diesem Jahr werden nach Ufop-Schätzungen etwa 500.000 Tonnen Biodiesel für die Beimischung verwendet. Da steckt also noch reichlich Potenzial drin.

Bioethanol mit Startproblemen
So ist Biodiesel im Hauptproduktionsland inzwischen zu einer wahren Erfolgsgeschichte geworden. Das lässt sich vom Bioethanol nicht sagen. Die EU-Richtlinie hat zwar dazu geführt, dass sich in Deutschland auch industrielle Bioethanolproduktion etabliert, doch die hat Schwierigkeiten ihre gerade in Betrieb genommenen Produktionslinien auszulasten (neue energie 10/2005).
Der Hauptgrund liegt in der Verweigerungshaltung der Mineralölwirtschaft, die Benzin nicht mit Ethanol mischen will. Die Ölwirtschaft argumentiert fadenscheinig mit technischen Problemen und zu hohen Kosten. Zum Glück für die deutschen Ethanolpioniere nehmen inzwischen ein paar Raffinerien den klaren Sprit ab und verarbeiten ihn zu Ethyl-Tertiär-Butyl-Ether (ETBE). Der ersetzt den aus Erdöl gewonnenen Kraftstoffzusatz Methyl-Tertiär-Butyl-Ether (MTBE) im Benzin. Beide Additive verbessern die Klopffestigkeit des Benzins – MTBE gilt allerdings als stark Krebs erregend.
Dabei könnte die deutsche Ethanolbranche weitaus mehr. Bei einem Ottokraftstoffverbrauch von 26 Millionen Tonnen pro Jahr wären für eine zweiprozentige Beimischung 590.000 Kubikmeter des Bioalkohols nötig. Bei einer fünfprozentigen Beimischung schlügen bereits 1,5 Millionen Kubikmeter zu Buche.
Allein die vier bestehenden Ethanolanlagen, die zusammen 580.000 Kubikmeter im Jahr produzieren können, erreichen fast das Zwei-Prozent-Ziel. Weitere sechs Großprojekte stehen in der Warteschleife – und warten auf das ‚go‘ der Mineralölwirtschaft. Für die Alternative ETBE werden diese Anlagen nicht gebraucht. Die Produktion des Additivs, das zurzeit einen Anteil um ein Prozent im Benzin ausmacht, benötigt derzeit nur knapp 190.000 Tonnen im Jahr.
Ein Ausweg wäre die Erhöhung der beizumischenden ETBE-Menge auf sieben oder gar 15 Prozent. Dann könnte eine Million Kubikmeter Ethanol und mehr in diese Schiene fließen. Doch dazu müssten mehr Raffinerien ihre MTBE-Produktion auf ETBE umstellen.
Ein anderer Weg wäre die Einführung von Kraftstoffen mit höheren Ethanolanteilen von zehn, zwanzig, fünfzig Prozent oder gar ein E100 als Ethanol-Reinkraftstoff analog zum Biodiesel. Den ersten E50-Kraftstoff, aus 50 Prozent Ethanol und 50 Prozent Benzin, in Deutschland gibt es seit Mitte Oktober an einer freien Tankstelle im oberfränkischen Bamberg. Mineralölhändler Michael Ultsch hatte die Idee, das hochprozentige Gemisch an die Tankstelle zu bringen. „Wir haben einfach einen vorhandenen Erdtank, in dem früher Biodiesel lagerte, gereinigt und E50 eingefüllt. Dann haben wir die Zapfsäule eichen lassen und mit dem Verkauf begonnen“, erzählt Ultsch. Schon innerhalb weniger Tage hat er von dem neuen Produkt 30.000 Liter verkauft.
Kein Wunder: Der 50prozentige Sprit kostet 1,209 Euro je Liter und ist damit zehn Cent günstiger als Super-Benzin. Großer Haken: Wer sein Fahrzeug damit betankt, muss davon ausgehen, dass die Garantie erlischt. Denn die deutschen Automobilhersteller haben ihre Fahrzeuge bislang nur für E5 freigegeben. Dennoch fahren inzwischen in und um Bamberg etliche Autos mit dem neuen Ökosprit. Ultsch berichtet, dass die Fahrzeuge nicht umgerüstet werden müssen. Eine Testflotte habe die Machbarkeit belegt.
Dass Fahren mit Alkohol im Tank keinerlei technische Probleme bereitet, belegt seit Jahrzehnten das Beispiel Brasilien (neue energie 3/2005). Während in Südamerika dutzende Autotypen mit Ethanol fahren, bietet im Musterland der Automobile derzeit einzig Ford zwei ‚Sprit’-Vehikel an. Die Modelle Focus und Cmax können problemlos und mit Garantie alle Ethanol-Varianten oder auch Normalbenzin tanken. Fords Autos sind so genannte Flexible Fuel Vehicles (FFV) – ein Kraftstoffsensor erkennt die jeweilige Kraftstoffsorte und gibt die Information an die Motorsteuerung weiter. So kann der jeweilige Kraftstoff immer optimal genutzt werden.

Schweden mischen vorbildlich
Große Fortschritte bei der Ethanolverarbeitung gibt es, anders als in Deutschland, in Schweden. Die Skandinavier begannen früh dem dort verkauften Benzin bis zu fünf Prozent Ethanol beizumischen. Darüber hinaus wird in Schweden ein als E85 bezeichneter Kraftstoff eingesetzt, der 85 Prozent Ethanol und 15 Prozent Benzin enthält. Fahrzeuge mit FFV-Technologie bieten in Schweden gleich drei Hersteller an – neben Ford auch Volvo und Saab. Allein von Ford fahren inzwischen rund 20.000 wandlungsfähige Karossen durchs Land.
Die Nordlichter verbrauchten im vergangenen Jahr etwa 200.000 Tonnen Ethanol, stellen aber im südschwedischen Norrköping und in Örnsköldsvik nur etwas mehr als 50.000 Tonnen her. Der größte Teil wird aus Brasilien importiert. Biodiesel spielt in Schweden keine bedeutende Rolle, dafür ist das Land aber Vorreiter bei Biogas. In Südschweden gibt es eine Infrastruktur mit Zapfsäulen für Busflotten oder private Pkw, die mit auf Erdgasqualität aufbereitetem Biogas über die Straßen flitzen.
Auch Nachbar Finnland will stärker auf Biokraftstoffe setzen (siehe Seite 87). Neste Oil will in einer Raffinerie in Porvoo, nordöstlich von Helsinki, Biodiesel und Bioethanol produzieren. Das Unternehmen ist bereits mit einer Bioethanolanlage in Portugal vertreten.
Im südlichsten skandinavischen Staat, in Dänemark, spielt Ethanolkraftstoff dagegen keine Rolle. Auch Biodiesel ist dort mit einer Produktionsstätte (100.000 Tonnen Kapazität) in Otterup des Unternehmens Emmelev A/S unbedeutend. Die vorhandene Kapazität wird nur zu 50 Prozent ausgelastet.
Laut Jens Haupt von der Arbeitsgemeinschaft Qualitätsmanagement Biodiesel e.V. in Berlin exportieren die Dänen ihren gesamten Biosprit zurzeit nach Deutschland. Da grüner Sprit von den politisch Verantwortlichen nicht gewollt ist, gibt es auch keine Förderinstrumente zur Einführung von Biokraftstoffen.
Im Südwesten Europas sind Frankreich und Spanien die bestimmenden Biokraftstoffproduzenten. Waren die Franzosen bislang die Nummer eins unter den europäischen Ethanol produzierenden Ländern, so werden die Spanier demnächst dank neuer Anlagen die Spitzenposition erobern. Führendes Unternehmen auf der iberischen Halbinsel ist Abengoa mit drei Großanlagen, die insgesamt 526.000 Kubikmeter Ethanol pro Jahr ausschütten. Das in Spanien und Frankreich produzierte Ethanol wird vornehmlich zu ETBE weiterverarbeitet und mit Benzin vermischt.

Spanien entdeckt Biodiesel
Aber auch in den spanischen Biodieselmarkt ist Bewegung gekommen. Die bisherigen 70.000 Tonnen Produktionskapazität haben sich inzwischen etwas mehr als verdoppelt. Das von der deutschen Sauter-Gruppe in der Region Cartagena geplante Werk mit einer
Kapazität von 250.000 Tonnen ist nach Unternehmensangaben zunächst auf Eis gelegt. Im Nachbarland Portugal wird dagegen Ibersol die erste 100.000-Tonnen-Anlage in Kürze in Betrieb nehmen.
Die französische Biodieselproduktion hat sich in den vergangenen vier Jahren rückläufig entwickelt. Ihren bisherigen Tiefpunkt erreichte sie mit knapp 350.000 Tonnen in 2004. Damit wurde die von der Regierung steuerbegünstigte Menge von 387.500 Tonnen nicht ausgenutzt. Trotzdem will die französische Regierung die steuerbegünstigten Produktionskapazitäten zur Herstellung von Biokraftstoffen ausbauen. Zwischen 2008 und 2010 wollen Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin und sein Landwirtschaftsminister Dominique Bussereau die Kapazitäten für Biodiesel um 700.000 Tonnen und für Bioethanol um 250.000 Tonnen ausweiten.
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